Drei Monate ist es her, dass die politischen Spannungen in Italien das breite Regierungsbündnis von Mario Draghi zu Fall brachten und in der Folge das Parlament aufgelöst wurde. Am Sonntag waren rund 50 Millionen Italiener und Italienerinnen bis 23.00 Uhr aufgerufen, ein neues Parlament (sowohl Senat als auch Abgeordnetenkammer) zu wählen. Erste Hochrechnungen in der Nacht auf Montag sahen die Rechts-außen-Partei Fratelli d'Italia (FDI) von Giorgia Meloni auf Platz eins bei rund 25 Prozent – gefolgt von der Mitte-links-Partei Partito Democratico (PD) von Enrico Letta bei rund 19 Prozent, die bereits ihre Niederlage einräumte.

Meloni steuert damit auf eine Regierungsmehrheit zu – dank ihres Rechtsbündnisses mit der Lega von Ex-Innenminister Matteo Salvini und der Forza Italia des viermaligen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi. Salvini schnitt demnach zwar schlechter ab als erwartet (rund 8,5 Prozent), Berlusconi dagegen besser (rund acht Prozent). Die Rechtsallianz liegt jedenfalls mit rund 43 Prozent, die für eine Parlamentsmehrheit ausreichen, klar vorne. "Italien hat uns gewählt, und wir werden das Land nicht verraten", sagte Meloni in der Nacht und sprach bereits von einem "Sieg". Zahlreiche Rechtspopulisten Europas, wie das französische Rassemblement National, gratulierten bereits.

Der sozialdemokratische PD sprach dagegen von einem "traurigen Abend". Im Mitte-links-Lager waren die ideologischen Divergenzen in diesem Wahlkampf zu groß für eine breite Allianz: Der von der PD angeführte Linksblock, die linkspopulistische Fünf-Sterne-Bewegung und die liberale Zentrumspartei Azione traten jeweils getrennt an. Die Fünf Sterne, die 2018 auf Platz eins gelandet waren, erreichten auf dem dritten Platz nur rund 16 Prozent.

Es zeichnete sich eine niedrige Wahlbeteiligung von 64 Prozent ab – das sind rund zehn Prozent weniger als bei den letzten Parlamentswahlen 2018 und damit auch die historisch niedrigste Wahlbeteiligung seit 1945.

Meloni erste Ministerpräsidentin?

Mit der voraussichtlichen Machübernahme der Rechtsallianz dürfte Meloni nun Geschichte schreiben: Weil die Parteien von Berlusconi und Salvini – einst jeweils die mächtigsten Figuren im Mitte-rechts-Lager – heute weit hinter den postfaschistischen FdI liegen, gilt es als wahrscheinlich, dass Meloni die erste Frau an der Spitze einer italienischen Regierung wird. Diese wird frühestens Mitte Oktober stehen.

Da Meloni die beiden Herren ideologisch rechts überholt, droht Italien außerdem die radikalste Regierung seit dem Zweiten Weltkrieg. Denn Meloni, einst Ministerin für Jugend und Sport im Kabinett Berlusconis, gilt als ultrakonservativ. Sie hat starke Wurzeln im Neofaschismus, ist offen nationalistisch und hat ein Faible für Autokraten wie Viktor Orbán und Donald Trump. Sollte Meloni also Premierministerin werden, sind Divergenzen mit der EU vorprogrammiert – vor allem in Sachen Migration und Steuerpolitik.

Parlament schrumpft

Die Wahlen sind auch in weiterer Hinsicht ein Novum: Nach einer 2020 gebilligten Verfassungsreform wählen die Italiener ein um ein Drittel reduziertes Parlament. Nur 600 statt bisher 945 Parlamentssitze werden vergeben. Das machte den Wahlkampf noch schärfer.

Das Wahlsystem, eine Mischung aus Verhältnis- und Mehrheitswahlrecht, ist kompliziert: In einem Drittel der Wahlkreise zieht nur der Kandidat mit den meisten Stimmen in das Parlament ein. Die übrigen zwei Drittel der Mandate werden proportional – also nach der Stärke der erhaltenen Stimmen – besetzt.

Regionalwahlen in Sizilien

Zudem finden am Sonntag auch Regionalwahlen auf der Insel Sizilien, die über eine Sonderautonomie verfügt, statt. Als Favorit für das Amt des Regionalpräsidenten gilt Renato Schifani, ein langjähriger Vertrauter Berlusconis. Seine Herausforderin ist die sozialdemokratische EU-Parlamentarierin Caterina Chinnici, Tochter des von der Mafia ermordeten Staatsanwalts Rocco Chinnici. (red, 25.9.2022)

Liveticker-Nachlese: Giorgia Meloni stellt nach Wahlsieg der Fratelli d'Italia den Führungsanspruch