"Lanz kocht": Kolja Kleeberg, Sarah Wiener, Alfons Schuhbeck, Markus Lanz und Steffen Henssler

Foto: ZDF/Ulrich Perrey

Zuschauen ist offenbar verlockender, als es selbst zu tun - Von Severin Corti.

Wenn Meryl Streep als Amerikas legendäre TV-Köchin Julia Child ein Hendl brät (siehe Filmkritik zu Julie & Julia), wird man als Zuseher Zeuge, wie viel Zärtlichkeit und Hingabe eine gute Köchin in ihr Tun fließen lässt. Die liebevolle Art, mit der sie immer wieder über das nackte, noch rohe Tier streichelt, könnte man ebenso wie ihre kindliche Freude über das knusprige Endprodukt als verhuschte Verliebtheit interpretieren.

In den frühen 1960ern, als Julia Child Amerika mit ihrer Kochshow aus dem gastronomischen Wachkoma holte und in die Kunst der französischen "Grande Cuisine" einweihte, da hatten Hygieneaufpasser und Salmonellenexperten ganz offenbar noch keinen Auftrag. In einem Land, wo zuvor faschierter Braten und Nudelauflauf als gastronomische Offenbarung gelten durften, wurden dank Child plötzlich Flugenten entbeint, gefüllt und in zarter Teighülle gebacken.

Streep versteht es grandios, den ansteckenden Enthusiasmus für gutes Essen und große Rezepte zu verkörpern, der Child auszeichnete. So wird dem Zuseher die Angst genommen und die unbändige Lust wachgekitzelt, es ihr gleichzutun: Gutes Essen, so die Botschaft, ist viel zu schön und zu wichtig, um es nicht selbst zu machen!

"Wenn die Kochkunst ausstirbt, stirbt auch die Intelligenz – und der soziale Zusammenhalt"
(Antonin Carême)

Heute haben Kochsendungen auf allen Sendern Hochkonjunktur. Kein Tag vergeht, an dem nicht zur besten Sendezeit ein (oder, viel besser: mehrere) große Köche am Schnippeln und Sautieren sind, mit perfekt geführtem Schnitt Fisch filetieren oder mit sicherer Hand Fleisch flambieren. Im Handumdrehen ist eine ganze Reihe verlockender Gerichte serviert, so schnell kann man gar nicht schauen. Geschweige denn nachvollziehen, wie man selbst zu ähnlichen Ergebnissen kommen sollte.

Das ist auch nicht das Thema, schließlich geht es um Unterhaltung, um möglichst effektives Antörnen, um zielsicheres Aufgeilen des Appetits, um den schnellen Bildschirmsex für die Geschmacksnerven. Allzu detaillierte Anleitungen, echte Kochvorgänge würden da nur schaden – schließlich kommt gleich die Werbepause, gerade lang genug, um sich einen schnellen Snack in die Mikro zu schieben.

Das Fernsehen hat das Kochen als verlässlichen – und unschlagbar billigen – Quotenbringer entdeckt. Klar wird der jetzt gemolken. Während Jamie Oliver, dem britischen Initiator des neuen Kochbooms, zugute gehalten werden kann, dass er es auf brillante Weise versteht, Begeisterung zu wecken, Ängste zu nehmen und selbst aussichtslose Koch-Analphabeten zu durchaus essbaren Erfolgen am Herd zu führen, ist diese Fähigkeit bei seinen Epigonen keineswegs gefragt – im Gegenteil. In den Kochshows der zweiten Generation soll nur noch zugesehen werden, Selbstversuche am offenen Backrohr wären kontraproduktiv: Wer sich selbst an den Herd stellt, schadet schließlich der Quote.

Je mehr Kochstars das TV serviert, desto weniger Grund gibt es, selbst am Herd zu stehen. Das Fernsehen macht es vor: "Lanz kocht" (ZDF) ist der programmatische _Titel einer populären Kochshow – dabei rührt Moderator Markus Lanz in Wahrheit keinen Finger, sondern lässt von fünf Promiköchen schnellkochen. Weshalb sollten die Zuseher es anders machen?

Ist doch viel bequemer, sich den Appetit von der Kiste anpimpen zu lassen, damit Tiefkühlpizza und Schlemmerfilet aus dem "Frischeregal" entsprechend leichter runterflutschen. So hat das Koch-TV den perversen Effekt, dass nicht mehr, sondern weniger gekocht wird. Und nicht weniger, sondern immer mehr Convenience-Fraß in die verfettenden Leiber der Konsumenten gestopft wird.
Im Jahr 2007 wurden laut Eurostat in deutschen Haushalten (zu Österreich liegen keine Zahlen vor) täglich 33 Minuten für die Zubereitung von Essen aufgewendet – noch in den 1960er-Jahren war dafür mehr als das Doppelte zu veranschlagen. Nur zum Vergleich: "Lanz kocht", wofür Millionen Deutsche und Österreicher alleweil Zeit haben (und null übers Kochen lernen), dauert eine Stunde.
Kein Wunder, dass Fertigpizzen und Aufreißsalate zu den am stärksten wachsenden Warengruppen der großen Handelsketten gehören. Kein Wunder, dass es laut Marktforscherin Sophie Karmasin heute schon als „Kochen" gilt, Fertigdressing über gewaschenen Salat zu pappen.

Der Philosoph Claude Lévi-Strauss hat das Kochen als gleichnishafte Handlung definiert, mit der Wildnis in Kultur verwandelt wird. Der Schriftsteller und Gastrosoph Jean Anthelme Brillat-Savarin hat die Küche als jenen Ort beschrieben, in dem Zivilisation überhaupt entstehen konnte. Der Koch und Historiker Antonin Carême hat gewarnt, dass das Ende der Kochkunst auch das Ende der Intelligenz und des sozialen Zusammenhalts mit sich bringen würde.

Abseits der luxuriös ausgestatteten Designküchen von wenigen Topverdienern (die Kochen als Hobby begreifen und unter der Woche im Restaurant speisen) geht die Fertigkeit, Essen auf gewinnende Weise zuzubereiten, massiv zurück. Dass die Verfettung speziell bei Kindern proportional dazu zunimmt, ist kein Zufall: Wer nicht mehr kochen kann, kann ja nicht wissen, dass Essen auch ohne massig Zucker und versteckte Fette ganz wunderbar schmecken kann. (Der Standard, Printausgabe 05.09.2009)