Peter Hulsroj blickt in eine von "Unsicherheiten" geprägte Zukunft der Satellitenentwicklung.

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STANDARD: Wie kommt es, dass das European Space Policy Institute (ESPI) seinen Sitz in Wien hat?

Hulsroj: Die beiden Gründungsmitglieder sind die European Space Agency (Esa) und der Staat Österreich. Als dieser Thinktank ins Leben gerufen wurde, gab es viele Esa-Mitglieder, die gerne Gründer gewesen wären. Aber Österreich hatte dabei den Vorteil, als "kleine Weltraumnation" eine gewisse Neutralität einzubringen. Säßen wir in Brüssel, würden wir als reine EU-Institution wahrgenommen werden, was uns nicht ins richtige Licht rückt. Die ESPI verfolgt das Ziel, Entscheidungsträger mit unabhängigen Erkenntnissen zu beliefern und dabei vor allem Länder einzubinden, die in der Esa nicht so großes Gewicht haben.

STANDARD: Was können kleine EU-Staaten denn beitragen zu einer sinnvollen Weltraumpolitik?

Hulsroj: Gerade für die Esa ist der Nutzen vom Mitwirken kleiner Länder sehr groß, weil sie häufig auch soziales Know-how einbringen. Das gilt für mein Geburtsland Dänemark genauso wie für die intellektuelle Tradition in Österreich. Die Art der Teilnahme an der Raumfahrt gibt aber ebenso einen guten Einblick in die sonstigen technologischen und wissenschaftlichen Aktivitäten eines Landes. Wir dürfen da nicht nachhängen als kleine Länder, wenn wir gemeinschaftlich Probleme lösen wollen.

STANDARD: Apropos Problemlöser: Sie hatten am ESPI gerade einen "Diavortrag" mit Satellitenbildern von der Erde. Was verraten solche Aufnahmen zum Beispiel über die Ursachen der Umweltzerstörung?

Hulsroj: Das waren wunderschöne Aufnahmen vom Gesicht der Erde. Aber die Geschichte zu den Bildern ist oft weniger schön. Die intensive Landnutzung setzt diesem Antlitz sichtbar zu - kein Wunder bei sieben Milliarden Menschen.

STANDARD: Wie wichtig sind die Bilder und Daten vom System für Global Monitoring for Environment and Security (GMES), um Umweltschäden zu vermeiden?

Hulsroj: GMES ist ein Lösungsbeitrag, nicht die Lösung selbst. Auch das sind nur Daten für politische Entscheidungsträger, auf deren Grundlage sie handeln sollten. GMES im aktuellen Zustand ist zudem nur eine Ansammlung von Funktionen und Diensten, die Auskunft über Umweltschäden, Naturkatastrophen und die Klimaerwärmung geben. Erst durch den Ausbau mit den Sentinel-Satelliten werden wir als EU die globale Führungsrolle darin einnehmen, die Erde vom Weltraum aus der Umweltperspektive anzuschauen. Allerdings scheint die Finanzierung von GMES ab 2014 derzeit gefährdet zu sein. Es wäre meiner Ansicht nach eine Katastrophe, diese Form von Monitoring nicht weiterzuverfolgen. Länder außerhalb der EU würden nicht verstehen, wie man eine so gute Position sang- und klanglos aufgeben kann.

STANDARD: Dennoch belegt eine Studie aus Ihrem Haus, dass nur die Hälfte aller EU-Bürger wissen, dass Satelliten auch aus diesem Grund auf die Erde schauen.

Hulsroj: Wenn der Esa-Chef unterwegs ist, fragt er angeblich immer Taxifahrer, ob sie wissen, wie ihr Navi funktioniert. Die meisten glauben, das Gerät sei schon das gesamte System. Jetzt kann man sagen, aus der Benutzerperspektive reicht dieses Wissen. Aber wir sind natürlich abhängig von der Unterstützung der Bürger. Die Unsicherheiten um GMES sind davon auch getrieben.

STANDARD: Die Weltraumaktivitäten sind insgesamt von finanziellen Unsicherheit getrieben. Die US-Weltraumagentur Nasa ist aus den Mars-Projekten mit Europa ausgestiegen.

Hulsroj: Roosevelt hat einmal mitten in der Depression gesagt: "Das Einzige, was wir zu fürchten haben, ist die Angst selbst." Es geht also darum, trotz Geldsorgen weiterzumachen. Wir haben in der EU bereits Milliarden für GMES ausgegeben - sieht man das nur aus der Investitionsperspektive, wäre ein Stopp desaströs. Eine Infrastruktur aufzubauen, ohne von deren Diensten zu profitieren, ist nicht klug.

STANDARD: Hören Sie zurzeit nie: "Erst müssen wir Griechenland retten - die Erde kommt später dran"?

Hulsroj: So schwarz-weiß wird es zum Glück selten bei Diskussionen. Wir vergessen gern in einer Finanzkrise, wie reich die EU eigentlich ist. Wir müssen also bestimmt nicht wählen zwischen Griechenland und der Erde.

STANDARD: 2019 soll der letzte Sentinel-Satellit im Orbit sein. Ist das schnell genug, um einen Beitrag gegen den Klimawandel leisten zu können?

Hulsroj: Natürlich wäre es besser gewesen, wenn wir in den 1970er-Jahren damit angefangen hätten. Aber ich muss schon sagen, dass wir nicht bei null starten. Es gibt bereits langjährige Datenreihen von den meteorologischen Satelliten, und die Sentinels sind dabei eine enorme Verbesserung für klimaspezifische Datensätze. Die Lebenszeit alter Satelliten endet nun aber schön langsam. Kriegen wir die neuen nicht in diesem Zeitrahmen rauf, verlieren wir also auch die Kontinuität der Daten.

STANDARD: Warum finanziert die EU ein abgespecktes Umweltmonitoringsystem für den afrikanischen Kontinent?

Hulsroj: GMES spielt eine globale Rolle und dabei eine zentrale für Afrika. Dort kann man sich nicht erhoffen, in absehbarer Zeit ein vergleichbares System aufzubauen. Würden wir nicht kooperieren und ohne Daten aus Afrika auskommen müssen, wäre das gesamte Unterfangen dieses Umweltmonitorings fragwürdig.

STANDARD: Die Daten sollten also für alle da sein. Wem gehört eigentlich der Weltraum?

Hulsroj: Der Republikaner Newt Gingrich sagte erst vor kurzem am Cape Canaveral, wenn mindestens 13.000 US-Bürger am Mond leben, solle dieser der 51. Bundesstaat werden. Das ist etwas provokant und lässt sich nur schwer mit dem Outer Space Treaty vereinbaren, der seit den 1960er-Jahren regelt, dass sich kein Land den Weltraum aneignen kann. Dass die Raumfahrt per Definition nationale Grenzen überwindet, bietet die einzige Chance für deren globalen Nutzen.

(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 22. Februar 2012)