Nahrungsergänzungsmittel (NEM) dürfen nicht damit beworben werden, dass sie Krankheiten vorbeugen, behandeln oder gar heilen.

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"Ein gesunder Mensch, der sich halbwegs ausgewogen ernährt, braucht keine Nahrungsergänzungsmittel", resümiert Geschäftsführer Franz Floss die heutige Pressekonferenz des Vereins für Konsumenteninformation (VKI). "Wer es mit Vitaminen und Mineralstoffen allzu gut meint, tut sich keinen Gefallen. Ein Zuviel an Vitamin A, E und Beta-Carotin kann sogar problematisch werden. Und: So richtig billig sind Nahrungsergänzungsmittel im Grunde genommen nicht."

Zwar kann bei Schwangeren, chronisch Kranken oder Hochleistungssportlern die Einnahme einzelner konzentrierter Nährstoffe sinnvoll sein – allerdings nur unter fachlicher Aufsicht. Direktvertriebsfirmen steht Floss daher skeptisch gegenüber: "Der Verkäufer benötigt kein Fachwissen, sondern nur einen Gewerbeschein. Verdient wird hauptsächlich über Provisionen."

Der VKI testete fünf Direktvertriebsfirmen, die in einer Leserumfrage des Testmagazins KONSUMENT am häufigsten genannt wurden: Amway, FitLine, Herbalife, Juice Plus und Vemma. Mit Vemma kam trotz mehrmaliger Nachfrage kein Beratungstermin zustande.

Bei den restlichen Anbietern war in den Beratungen die Falschaussage, dass schwere Krankheiten wie Krebs mit ihren Produkten geheilt, gelindert oder vorbeugend verhindert werden, nicht zu hören. Es gab aber einige nicht wissenschaftliche belegte oder grenzwertige Aussagen. Von keinem der Berater kam der Hinweis, vor der Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln mit einem Arzt oder einer Ernährungsfachkraft zu sprechen. Stattdessen versuchten nahezu alle Verkäufer, die Kunden auch als Berater beziehungsweise Teampartner anzuwerben.

Grenzwertige Werbeaussagen

Nahrungsergänzungsmittel (NEM) dürfen nicht damit beworben werden, dass sie Krankheiten vorbeugen, behandeln oder gar heilen. In einer Beratung wurde trotzdem behauptet, dass Präparate von FitLine eine Verkühlung verhindern. Das unabhängige, deutsche Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG) hat nachgewiesen, dass die regelmäßige Einnahme vitaminhaltiger Nahrungsergänzungsmittel, nicht vor einer Erkältung schützt. Mit Produkten von Amway, so ein anderer Berater, hätte er seinen Diabetes im Griff. Auch das ist nicht nachgewiesen.

Die Böden sind ausgelaugt und das darauf angebaute Obst und Gemüse ist qualitativ nicht mehr hochwertig – die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln daher nötig. Auch dieses Argument bekamen die Testpersonen zu hören. Das ist nicht zutreffend. Wie viele Nährstoffe in Obst und Gemüse stecken, ist u.a. abhängig von Sorte und Reifungsprozess. Zum Beispiel enthält ein Berlepsch-Apfel normalerweise wesentlich mehr Vitamin C als ein Gloster. Einfluss hat auch, wie viel Sonne eine Pflanze bekommt, wann geerntet und die Frucht gegessen wird. Lagert man das Gemüse über
Tage im Kühlschrank, kommt es zu Vitaminverlusten.

Überdosiert und teuer

Der VKI erhob bei allen in der Beratung verkauften Nahrungsergänzungsmitteln den Vitamin und Mineralstoffgehalt und verglich die Ergebnisse mit den Empfehlungen des Gesundheitsministeriums. Bei FitLine gab es bei acht verschiedenen Vitaminen und Mineralstoffen Überschreitungen, bei Amway, Juice Plus und Herbalife jeweils eine.

Die Dosierungsvorschläge der Berater wurden zusätzlich mit den vereinheitlichten Empfehlungen der Ernährungsgesellschaften in Deutschland, Österreich und der Schweiz verglichen (D-A-CH-Referenzwerte). Bei FitLine waren sieben Vitamine und Mineralstoffe überdosiert, bei Amway je nach Testperson vier bzw. drei und bei Juice Plus jeweils drei.

"Die meisten der überdosierten Nährstoffe, z.B. Biotin, Folat und Vitamin C, sind zwar weniger problematisch, da sie wasserlöslich sind und über die Nieren ausgeschieden werden", so VKI-Ernährungswissenschaftlerin Katrin Mittl. „Auf Dauer ist ein Zuviel an Vitaminen, Mineralstoffen und Spurenelementen laut aktueller Studien aber nicht ungefährlich. Dazu kommt, dass es bei Nahrungsergänzungsmitteln auch zu Wechselwirkungen kommen kann. Im Vorfeld sollte daher
abgeklärt werden, ob Medikamente eingenommen werden und Allergien oder Unverträglichkeiten bestehen.

Für die empfohlenen Produkte wären monatlich folgende Kosten entstanden: Amway (rund 19 bis rund 74 Euro je nach Berater), FitLine (rund 109 Euro), Herbalife (110-124 Euro) und Juice Plus (rund 75 Euro). "Viel Geld für eine nicht bewiesene – oder unter Umständen sogar negative – Wirkung", so Mittl.

Anwerbung beim Beratungsgespräch

Bei fast allen Beratungen wurde den beiden Testpersonen gegenüber zur Sprache gebracht, ob sie nicht auch Berater bzw. Teampartner werden möchten. Als Berater bekäme man die Präparate teilweise vergünstigt. Diese lehnten ab, was nicht immer positiv aufgenommen wurde.

Zwei weitere Testpersonen verschafften sich Einblick in die Direktvertriebsfirmen (hier auch bei Vemma), indem sie mehrere Veranstaltungen besuchten und angaben, Berater werden zu wollen. Das mögliche Einkommen und die Karrierestufen wirkten auf den ersten Blick beeindruckend.

Bei genauerer Betrachtung wurde aber deutlich, dass relativ viel Zeit investiert werden muss, um tatsächlich Geld zu verdienen. Dazu kommt, dass der Bekannten- und Verwandtenkreis angesprochen werden soll, um einen Kundenstamm aufzubauen. Bei Amway und Herbalife erhielten die Testpersonen sogar ein Formular, in das bis zu hundert Freunde und Bekannte eingetragen werden sollten.

Bei Amway fiel einer Testperson zudem der Rücktritt von der getroffenen Vereinbarung innerhalb der angegebenen Frist nicht leicht: Durch langwierige Diskussionen und wiederholte Kontaktaufnahme wurde sozialer Druck aufgebaut und damit der Ausstieg bedeutend erschwert. (red, 24.1.2013)