Vor kurzem habe ich in Barcelona mein Möglichstes getan, um in sechs Tagen ein Maximum an Mahlzeiten in mich hineinzubekommen, zumindest so viel, wie noch genüsslich möglich war. Weil der Gruß aus der Küche aus uninteressanten organisatorischen Gründen nun nach nur einer Woche erneut erscheint, hier ein kleiner Reisebericht samt Empfehlungen.

Eines der tollsten Dinge am Essen in Barcelona ist, mit welcher Lust und Freude die Einheimischen es oft verschlingen – mitschuld daran sind sicher die Tapas. Obwohl viele Menschen nicht müde werden zu betonen, dass das eigentliche Tapa in Barcelona nicht heimisch und üblich ist, sondern aus Südspanien stammt, hat sich die Art, viele kleine Dinge gemeinschaftlich zu essen, hier eindeutig festgefressen.

Beim Tapas-Essen kann man Artischockenblätter zupfen, frittierte Kalmare knuspern, auf fleischigen Schwertmuscheln kauen und Schnecken samt Sauce aus ihren Häusern schlürfen, und das alles bei einem einzigen Essen. Die schlanken Portionen und die vielen Mitesser erlösen einen (fast) von der Qual der Auswahl. Weil ständig Essen nachkommt und das meiste ohnehin lauwarm verspeist wird, kann man ganz stressfrei in diesem und jenem schwelgen, einen Bissen hier und einen dort machen, dazwischen reden, Wein nachgießen oder sich die Finger ablecken und kurz zurücklehnen und entspannen.

Appetitsteigerung

Messer, Gabel oder Löffel kommen nur als letzte Option zum Einsatz, was den Appetit nochmals steigert. Die strenge Trennung zwischen Küche und Speiseraum, zwischen Gast, Koch und Kellner wird zumindest ein wenig aufgehoben: Die Gäste sitzen an oder zumindest nahe bei einer Bar, auf der sich die meisten bestellbaren Dinge stapeln. Vor und während des Essens kann man dann zusehen, wie dieses und jenes entsteht und was die anderen so genießen werden.

In Wien scheint dieses Konzept nicht recht zu funktionieren, zumindest ist mir keine überzeugende Tapas-Bar bekannt (Tipps?). Nicht einmal die Chinesen und Thais, bei denen es zu Hause ja nicht anders zugeht, haben es geschafft, diese Ess-Art ihren Gästen näherzubringen. Der fabelhafte Simon Xie Hong versucht seit Jahren im On die werte Kundschaft zu überzeugen, statt einer Hauptspeise auch einmal mehrere Vorspeisen zu essen – es werde langsam üblicher, so richtig durchgesetzt hat es sich aber nicht, meint er. Sein neues Restaurant, das im April an der Wienzeile aufsperren soll, soll sich verstärkt dem Tapas-Essen (auf asiatisch) widmen, mit Bar zum Essen und speziell günstigen Angeboten für kleine Portionen – viel Glück!

Hier das Best of aus einer Woche Tapas, von nobel bis sehr bodenständig

Tickets

Das El Bulli hat geschlossen, das Tickets und das 41 Degrees haben aufgesperrt. Während Ferran Adrià derzeit hauptsächlich theoretisiert, widmet sich sein kleiner Bruder Albert hier der Praxis. Im 41 Degrees geht es eher experimentell und teuer (210 Euro pro Person) zu, im Tickets aber soll auch das gemeine Volk einmal auf den Adrià'schen Geschmack kommen.

Die Atmosphäre ist äußerst leger (die Kellner tragen Zirkusuniformen, gelegentlich fährt ein Eiswagen durchs Lokal), serviert werden traditionelle Tapas, die etwas aufgemotzt wurden. Statt Oliven gibt's die berühmten El-Bulli-Oliven-Sphären, die sich zur Olive verhalten wie Platons Ideen zu den Dingen: Wer die Sphäre einmal gekostet hat, weiß, wie die vollendete Olive schmeckt. Eine hauchzarte Haut, die im Mund unter Druck platzt, enthält die Flüssigkeit gewordene Essenz der Olive, die sich in einem Schwall in den Mund des Essers ergießt.

Foto: Tobias Müller

Thunfischtatar wird hier in kleine Stanitzel aus papierdünnem, knusprigem Teig und Algen gepackt (Thomas Keller lässt grüßen) und für die Frische mit Apfelstücken vermischt.

Foto: Tobias Müller

Das in Barcelona allgegenwärtige getoastete Sandwich interpretiert man hier als perfekt flaumig-knuspriges Brioche, mit Senf bestrichen und gefüllt mit einer sehr dünnen Scheibe äußerst schweinischen Schweins, die der Klebrigkeit nach wohl vom Fuß stammen muss.

Foto: Tobias Müller

Immer wieder wird auch hier das Noma zitiert, Herr Adrià war schließlich auch zu Gast beim letzten Cook it Raw in Polen. Die kleinen Knäckebrote mit gewürfeltem Kalb, eingelegten Zwiebeln und Essigschnee etwa erinnern sehr an eine Redzepi'sche Kreation – genauso wie die frittierten Artischockenböden, gefüllt mit weichem Wachtelei und Forellenkavier, die in einer mit Rauch gefüllten Käseglocke zum Tisch gebracht werden.

Auch wenn das Revolutionäre fehlt (vielleicht gibt's das nebenan im 41? War wer dort?), sitzt hier jeder Bissen, selten habe ich so gut gegessen. Das sehen viele so, das Tickets ist auf drei Monate ausgebucht. Für Kurzentschlossene, die sich ab sechs vor dem Lokal anstellen, werden aber oft einige Restplätze zurückgehalten. Je nach Bestellung kostet der Spaß zwischen 40 und 80 Euro pro Person ohne Wein. Wir haben nicht gezahlt, uns hat Meister Adrià eingeladen.

El Quim de la Boqueria

Der kleine Marktstand im auch gar nicht so großen Boqueria-Markt hat dem Ulterior Epicure immerhin sein sechstbestes Essen 2011 beschert, was mich zu großer Vorfreude und gleich zwei Besuchen veranlasst hat. Der Imbiss steht mitten zwischen den Verkaufsständen für Fisch, Gemüse und Bellota-Schinken, die Kundschaft sitzt an der Bar, auf der sich auch die diversen Köstlichkeiten türmen, und mampft unter massivem Hand- und wenig Besteckeinsatz, was ihr die zahlreichen Köche hinter der Budel hervorholen.

Foto: Tobias Müller

Meine Highlights: Die gekochte Artischocke – ich habe mich generell in dieses Gemüse verliebt, das den Esser durch seine bloße Erscheinung Respekt und Achtung vor Gemüse lehrt -, die Schnecken und das Ochenschlepp-Risotto. Zur Artischocke gibt es hoffentlich zu einer passenderen Jahreszeit mehr.

Foto: Tobias Müller

Die Schnecken, angeblich katalanische Traditionsspeise (wo eigentlich nicht?), werden in einer scharfen Tomatensauce mit Chorizo-Stücken aufgetischt, die sicher auch hervorragend zu Erdäpfeln passen würde. Man fischt sie mit den Fingern aus der Schüssel und schlürft genüsslich Sauce und Schnecke aus dem Haus, herrlich. Das Ochsenschlepp-Risotto war cremiger, als ich es in Italien je bekommen habe.

Bar Mundial

Die besten Meeresfrüchte aber hatten wir in der Bar Mundial, einer kleinen, recht unscheinbaren Bar in La Ribera, einem Viertel, dass stelleweise das Vorbild für die Gegend um den Karmelitermarkt gewesen sein könnte. Die beste Mitesserin von allen hat eine Cousine, die seit einigen Jahren in Barcelona lebt, und diese hat uns hierher gebracht, nochmals danke dafür.

Foto: Tobias Müller

Das Wasservieh war hier irgendwie noch eine Spur prächtiger als anderswo: Die prallen Meeresschnecken, die ein wenig nach Muscheln schmecken, nur mineralischer, im Gegensatz zu ihren Weichtier-Kollegen aber auch ordentlich Biss bieten; die hier allgegenwärtigen Schwertmuscheln, zart angegrillt, mit vollem, leicht süßlichem Eigengeschmack; die Baby-Oktopoden mit ihren knusprig gebratenen Ärmchen; und auch die nicht ganz zu den Meeresfrüchten zählenden frittierten grünen Chilis waren hier die Idee g'schmackiger.

Foto: Tobias Müller

Cal Pep

Der Vollständigkeit halber noch eine Warnung: Gehen Sie nicht ins Cal Pep. Das Ding ist zwar angeblich Thomas Kellers Lieblingslokal in Europa und steht als eine der bekanntesten Tapas-Bars Barcelonas in allen Reiseführern – das hat nur leider zur Folge, dass das Essen auch nicht besser wurde, dafür aber die Preise unverschämte Höhen erklommen haben.

Foto: Tobias Müller

Wir haben hier von allen Tapas-Bars am wenigsten gegessen und am meisten gezahlt. Die Garnelen waren zugegeben köstlich – der Eindruck, geneppt zu werden, verdirbt einem aber den Appetit.

Conesa

Wer sich mit Tapas überfressen hat, dem bietet das Conesa eine gute Snack-Alternative. Was aussieht wie eine billige Touristen-Junkfood-Abspeisung, zeigt, was Würstelstände eigentlich für ein Potenzial haben: Das Conesa verkauft zu unfassbar niedrigen Preisen erstaunlich gute Wurst-Sandwiches.

Blutwurst mit konfierten Zwiebeln, kleine Bratwürste und Chorizos mit würzigem Paprikagemüse und dazu die klassischen Erdäpfel, in Aioli ertränkt. Das Brot der Brötchen ist erstaunlich gut getoastet. Weil eines davon auch noch nicht einmal vier Euro kostet, stehen zu Mittag vor der Bude lange spanische Schlangen. Der flinke Mann am Grill sorgt aber für erträgliche Wartezeiten.

Calcots

Wen es wie mich im Winter nach Barcelona verschlägt, der sollte sich einen Tag ins Hinterland um Valls begeben und dort Zwiebel essen. Die Calcot, eine spezielle Art der Frühlingszwiebel, ist kein Tapa im klassischen Sinn, aber zu gut, um sie nicht zu erwähnen: Sie wird ins Feuer geworfen, bis sie außen verkohlt und innen gar ist. Dann kommt sie auf einer heißen Dachschindel zu Tisch und zu den Essern, die sich bis dahin bereits Latze umgebunden haben.

Foto: Tobias Müller

Die Zwiebel wird mit den Fingern von ihrer verkohlten Außenschichten befreit, ihr rauchig-süßes Inneres bei Bedarf durch eine majonäseartige Sauce gezogen und anschließend genüsslich vertilgt – ein elementares Erlebnis. Dazu gibt es Rotwein, aus speziellen Kannen direkt in den Mund gegossen.

Die traditionell auf die Zwiebeln folgende Fleischplatte hätt's nicht mehr gebraucht, aber wir haben versucht, höflich zu sein. Calcots gibt es in und um Valls überall – wir waren hier und sehr zufrieden. (Tobias Müller, derStandard.at, 24.2.2013)