Hier hätte es ursprünglich um Sauerteigbrot gehen sollen. Seit ich mit dem No Knead Brot angefangen habe, bin ich etwas süchtig nach Backen im Allgemeinen und Sauerteig im Speziellen geworden. Seither essen ich und die Menschen um mich herum beachtliche Mengen Brot, ich habe mehrere Pilgerfahrten zu teils eine Stunde entfernten Bäckereien unternommen, und ein blubbernder Getreidebrei hat einen erstaunlichen Einfluss auf meinen Tagesablauf.

Ich bin trotzdem ein glücklicherer Mensch geworden. Während ich aber über den Sauerteig geschrieben habe, ist mir irgendwann auf der dritten A4-Seite aufgefallen, dass das Thema zu umfangreich ist und dass man das normalen Menschen nicht wirklich zumuten kann. Deswegen geht es heute um ein viel einfacheres, ebenfalls ganz köstliches Gebäck: den Bagel, den Lochgott unter den Broten.

Foto: Tobias Müller

Ein guter Bagel hat einen ganz eigenen Biss und eine enorm befriedigende Zähigkeit, die sonst noch am ehesten bei seinen Verwandten, dem Laugenweckerl und der Brezel zu finden ist. Noch warm mit dem Fett seines Vertrauens bestrichen, gehört er neben Rührei zu den besten Gründen, aufzustehen: Topfen, Frischkäse oder Laban schmecken auf ihm, als wären sie für den Bagel erfunden worden. Des Bagels größter Vorteil aber ist, dass er ein ewiges Dilemma des Heimbäckers löst: Es ist unmöglich, zum Frühstück frisches selbstgebackenes Brot zu essen, ohne dass der Bäcker zumindest drei Stunden vor dem Essen aufsteht – der Bagel aber macht es möglich, schmerzfrei frisches Selbstgebackenes zu genießen.

Bereits beim ersten Versuch waren meine Bagels nach weniger als einer Stunde essbereit. Sie sind, anders als Semmeln, selbst für einen Amateur sehr einfach zu formen. Bagel-Teig ist der vielleicht trockenste aller Brotteige und daher per Hand sehr gut zu kneten und zu bearbeiten.

Laut Legende soll der Bagel ein Wiener sein, viel wahrscheinlicher aber ist er – klassisches Schicksal – ein osteuropäischer Jude, der erst in den USA so richtig erfolgreich geworden ist. In Österreich finden sich heute zumindest noch seine entfernten Cousins, die (Nuss-) Beugel. Das folgende Rezept stammt aus Peter Reinhards wunderbarem Buch "The Bread Baker's Apprentice". Es macht nicht viel Arbeit, dauert aber vom Mehl-Erstkontakt bis zum Bagel-Biss mindestens 15 Stunden. Es setzt auf einen Vorteig und eine Nacht im Eiskasten: Das gibt der Hefe und all den Enzymen im Teig genau die Zeit, die sie brauchen, um ungenießbares Mehl in eine Köstlichkeit zu verwandeln.

Bevor es ans Backen geht, ein Hinweis in eigener Sache: Am Brunnenmarkt etabliert sich gerade dank Stephan Gruber und Hansi Staud, der Seele des Brunnenmarkts, eine kleine regelmäßige Streetfood-Veranstaltung. Die Australierin und ich machen wieder mit und treten diesmal in die Fußstapfen der Auskocher und Bratlbrater, der alten Wiener Garküchen. Am 11. April geht's los mit Schweineschwänzen und Bauchfleisch. Das Brot kommt dabei allerdings von jemandem, der wirklich backen kann.

Foto: Tobias Müller

Bagels, rechtzeitig zum Frühstück fertig

Der Bagel ist ein etwas seltsames Brot, weil er traditionell nicht nur gebacken, sondern auch gekocht wird. Dieser Sonderbehandlung verdankt er unter anderem seine spezielle Konsistenz: Die Stärke in seinen äußeren Schichten geliert beim Kochen und verhindert so, dass er beim Backen noch allzu sehr aufgeht. Außen bildet sich eine zähe Kruste, innen bleibt der Bagel kompakt. Industrie-Bagels, die gedämpft werden, haben diesen Vorteil nicht. Zudem ist Bagel-Teig extrem trocken: auf 100 Teile Mehl kommen nur etwa 50 bis 55 Teile Wasser – normales Brot hat etwa 65 bis 75, Ciabatta gern bis zu 80.

Der klassische Bagel-Geschmack kommt wiederum von zwei ungewöhnlichen Zutaten: einerseits vom Malzextrakt, andererseits von der Lauge, in der er gekocht wird. Malzextrakt ist eine Art Urzucker aus austreibendem Getreide und in Bioläden als Zuckerersatz zu bekommen. Es hat nicht nur Eigengeschmack, es enthält auch Enzyme, die die Mehlstärke in Zucker zerlegen und so den Beigeschmack verbessern. Eine Lauge zum Kochen kann der Heimbäcker herstellen, indem er stinknormales Backnatron ins Kochwasser kippt.

Zwei Esslöffel in einem großen Topf reichen bereits. Die Lauge bearbeitet die Oberfläche des Teigs, führt zu einer schöneren Karamellisierung und gibt dem Bagel Anklänge des typischen Laugenweckerl-Geschmacks. Sie haben weder Malz noch Natron und wollen sich auch beides nicht besorgen? Lesen Sie das hier und denken Sie noch mal drüber nach.

Für sechs Bagels brauchen Sie für den Vorteig:

250 Gramm Weizenmehl (Ideal: Finis Feinstes 700. Das hat erstaunliche 14 Prozent Protein und sorgt daher für die nötige Glutenstruktur. Wer Bio will, nimmt Spielberger Mühle 550 mit 12 Prozent Protein.)
280 Milliliter lauwarmes Wasser
1,5 Gramm Trockenhefe

Für den Hauptteig:
250 bis 280 Gramm Weizenmehl
10 Gramm Salz
1 Gramm Trockenhefe
8 bis 10 Gramm Malzextrakt
Streugut (Mohn, Sesam …) nach Belieben

Tag 1

Am Nachmittag vor Ihrem Bagel-Frühstück mischen Sie all Ihre Vorteig-Zutaten in einer großen Schüssel zusammen, sodass ein dickflüssiger Brei entsteht.

Foto: Tobias Müller

Decken Sie das Ganze ab und lassen Sie es etwa zwei, im Zweifelsfall drei Stunden bei Zimmertemperatur stehen, bis der Brei ordentlich Blasen wirft und aufgegangen ist.

Mischen Sie 200 Gramm des restlichen Mehls und all die anderen Zutaten in den Brei, rühren Sie mit einem Löffel, bis ein Teig entsteht, und kneten Sie diesen mit der Hand in der großen Schüssel, bis alles Mehl gut eingearbeitet ist und der Teig geschmeidig und ein wenig klebrig wird.

Foto: Tobias Müller

Arbeiten Sie nun nach und nach das restliche Mehl ein, so viel, wie der Teig eben aufnimmt, wahrscheinlich zwischen 50 und 80 Gramm. Kneten Sie Ihren Teig mindestens weitere zehn Minuten, genauso wie Sie Pasta-Teig kneten würden. Das Ergebnis sollte sehr fest, geschmeidig und kaum mehr klebrig sein. Wenn Sie ein kleines Stück abreißen, gegen ein Licht halten und dehnen, sollte es nicht reißen, sondern eine lichtdurchlässige Membran bilden. Wenn das passiert, wissen Sie, dass Ihr Gluten ausreichend entwickelt ist und Ihr Teig hält.

Teilen Sie Ihren Teig in sechs gleich große Stücke (eine Waage hilft), legen Sie sie auf ein befettetes Backpapier, decken Sie sie ab und lassen Sie sie 25 Minuten rasten.

Foto: Tobias Müller

Rollen Sie einen Teigklumpen zu einer gleichmäßig dicken Wurst aus, so lang, dass Sie die Wurst um Ihre Hand wickeln können und die beiden Enden in Ihrer Handfläche ein wenig überlappen. Drücken Sie die beiden Enden auf dem Brett fest zusammen und rollen Sie die Druckfläche noch kurz hin und her – fertig ist Ihr Bagel-Ring. Wiederholen Sie das ganze mit den anderen Teigstücken.

Foto: Tobias Müller

Wenn Sie fertig sind, decken Sie die Teigstücke wieder ab und lassen sie bei Zimmertemperatur so lange stehen, bis sie in einer Schüssel Wasser nicht sinken, sondern treiben – je nach Temperatur und Hefe dauert das zwischen 20 Minuten und vier Stunden. Machen Sie nach 20 Minuten erstmals den Wasserschüsseltest mit einem Bagel (und vergessen Sie nicht, ihn nach dem Versuch ordentlich abzutrocknen). Wenn er treibt, decken Sie Ihre Bagels mit Klarsichtfolie ab und packen Sie sie über Nacht in den Kühlschrank, wo sie ganz langsam vor sich hin gären dürfen und ihren köstlichen Geschmack entwickeln.

Foto: Tobias Müller

Tag 2

Wenn Sie am nächsten Morgen aufstehen, schalten Sie zuallererst das Backrohr auf 270 Grad (oder so hoch es eben geht) und heizen es ordentlich vor. Dann stellen Sie einen großen Topf mit Wasser auf, kippen ein, zwei Esslöffel Backnatron hinein und bringen das Ganze zum Kochen.

Nehmen Sie Ihre Bagels aus dem Eiskasten und packen Sie so viele in den Topf, wie gemütlich nebeneinander Platz haben. Lassen Sie sie eine Minute kochen (je länger, desto fester die Kruste), drehen Sie sie um und geben ihnen nochmals eine Minute.

Foto: Tobias Müller

Dann heben Sie sie heraus, tropfen sie ab und bestreuen oder wälzen sie umgehend in/mit Ihren gewünschten Auflagen (Hier: Mohn und Sesam)

Foto: Tobias Müller

Packen Sie Ihre Bagels auf ein Blech und backen Sie sie in der Mitte des Ofens für fünf Minuten, drehen Sie sie um 180 Grad und backen Sie erneut fünf Minuten, bis sie eine ansprechende Farbe bekommen haben.

Foto: Tobias Müller

Lassen Sie sie mindestens 20 Minuten auskühlen (decken Sie den Tisch, kaufen Sie Frischkäse, bloß essen Sie sie nicht früher, sie garen innerlich noch vor sich hin).

Genießen Sie Ihre Bagels anders als auf dem Foto ja nicht aufgeschnitten, sondern als ganzer Ring – das sorgt für einen unvergleichbar besseren Biss.

Foto: Tobias Müller

Bagels backen ist übrigens natürlich auch mit Sauerteig möglich. Aber das ist eine andere Geschichte. (Tobias Müller, derStandard.at, 29.3.2015)