Brioni-Kreativchef Justin O'Shea in einem Boxring in Rom.

Foto: Zackery Michael

"Männer mögen keine kursiven Buchstaben", sagt Justin O'Shea. Und ersetzte den Brioni-Schriftzug durch ein Logo in Frakturschrift.

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Chinchilla, Kroko, Rubine: Männer sollten keine Pfauen sein, aber glänzen dürfen sie schon, findet Justin O'Shea. Die erste Kollektion des Australiers brach mit allen Regeln des italienischen Anzughauses Brioni.

Fotos: Brioni

Die Mode hat sich verändert. Und dieser Mann ist der beste Beweis dafür.

Justin O'Shea sitzt in einem breiten, schwarzen Ledersessel auf der Piazza San Bernardo in Rom und klopft auf die Tischplatte. Einen Tag zuvor war er noch in Los Angeles, um mit der Schauspielerin Salma Hayek auf ihren Fünfziger anzustoßen. Er sei zum Boxtraining gegangen, mit einem Celebrity-Trainer, tolle Sache. "Hat ein Schweinegeld gekostet." Er hat sich mit seinen Buddys auf den Hügeln über der Stadt fotografiert und die Fotos auf Instagram gestellt.

Über 100.000 Abonnenten hat der Australier dort. Und das, obwohl er ein Spätzünder war, was die sozialen Netzwerke betrifft, wie er behauptet. "Brioni geht es richtig dreckig", sagt er in seinem Ledersessel. "Das ist der Grund, warum ich hier sitze." Der PR-Mann zu seiner Rechten windet sich. Den Satz möchte er so nicht stehenlassen. Doch O'Shea schneidet ihm das Wort ab und erzählt von der Talfahrt, die die italienische Anzugmarke in den vergangenen Jahren hinter sich hat. Jedes zweite Adjektiv ziert er mit dem Wort "fucking". Die Anzüge seien f... toll, aber das Image sei verblasst. Donald Trump trägt einen Anzug von Brioni. Gerhard Schröder war der Brioni-Kanzler.

Surfen, Rugby, "drinks and chicks"

Und jetzt Justin O'Shea. Seine Tattoos sind sein Markenzeichen. Sein schmaler, muskelbepackter Körper. In Nhulunbuy, im Northern Territory in Australien, sei er als Kind meist mit nacktem Oberkörper durch die Gegend gepirscht. Der Vater Minenarbeiter, die Mutter Lehrerin. Fashion? Er wusste nicht einmal, wie man das Wort buchstabiert. Die Surfer-Marken Quicksilver und Billabong, das war die Mode, mit der er aufgewachsen ist. Surfen, Rugby, "drinks and chicks", für viel mehr hat er sich nicht interessiert.

Heute trägt er Dreiteiler, das Hemd drei Knöpfe offen. Roter Hipster-Bart, die Haare kurz geschoren, Brogues, kein Gürtel. Selbst wenn O'Shea die Kleidung mehrmals am Tag wechselt: Justin O'Shea sieht immer gleich aus.

Veronika und Justin

"Signature Look" nennt man so etwas in der Mode. In der Vergangenheit war an seiner Seite auch noch meist eine 1,86 Meter große, spindeldürre Deutsche zu sehen gewesen. Sie in Designerklamotten und flachen Schuhen, er in Anzug, Weste und Sonnenbrillen. Veronika und Justin. Das berühmteste Streetstyle-Paar der Mode, millionenfach fotografiert. In immer neuen Outfits, perfekt aufeinander abgestimmt. Seit einigen Monaten seien er und die deutsche "Influencerin" Veronika Heilbrunner aber "nur mehr gute Freunde", wie O'Shea sagt. Er windet sich, kommt man auf sie zu sprechen. Sein unglaublicher Aufstieg in der Modebranche wäre ohne die dunkelblonde Frau an seiner Seite wohl so nicht möglich gewesen.

Die schöne Deutsche und der coole Australier. Da schaute man gern hin, das ließ sich gut verkaufen. Vor allem in Zeiten, in denen die Mode nach immer neuen Stars verlangt. Was die den lieben langen Tag machen, ist dabei ziemlich egal. Chefeinkäufer bei Mytheresa in München? Was das bedeutet, weiß kaum einer so genau.

Sechs Jahre lang hat Justin O'Shea für die Onlineboutique in München den Einkauf gemacht. Ausschließlich Frauenmode. Zum Vorstellungsgespräch im Londoner Luxushotel Claridge's kam er im Tanktop. 29 war er damals, und Mytheresa eine Münchner Boutique mit angeschlossenem Onlinehandel. Der Boom des Onlinehandels stand noch bevor. Heute beträgt der Jahresumsatz von Mytheresa über 130 Millionen Euro, und die ehemaligen Besitzer, das Ehepaar Christoph und Susanne Botschen, haben das Unternehmen längst an die amerikanische Luxuskaufhauskette Neiman Marcus verkauft.

Riecher für Kundinnen

Ein Wachstum, wie es wohl nur in der New Economy möglich ist. Maßgeblichen Anteil am Erfolg: Justin O'Shea, während der Mytheresa-Jahre der berühmteste Einkäufer der Branche. Der Mann hat einen Riecher dafür, was die Kundinnen wollen. "Weibliche Einkäufer ordern meist, was sie selbst gerne tragen. Das ist mir komplett egal."

O'Shea konzentrierte sich dagegen auf sogenannte Key-Pieces, Produkte, die Trends auf den Punkt bringen. "Mein Mantra ist: Keep it simple. Und mach nicht das, was andere auch machen." Kaum eine Modeschau, in der Justin O'Shea nicht Saison für Saison in der ersten Reihe saß. Vor sich das Smartphone, neben sich Veronika. Das ist jetzt erst mal vorbei. Als O'Shea Anfang dieses Jahres aus heiterem Himmel zum Kreativchef von Brioni ernannt wurde, ging ein Raunen durch die Branche.

Höchste Schneiderkunst

Ein Einkäufer als Modechef? Das gab es noch nie. Sicher, auch ein Kanye West hat eine eigene Modelinie, und jemand wie das Supermodel Gigi Hadid "designt" für Tommy Hilfiger. Brioni aber ist eine Marke, die genauso elitär wie traditionsreich ist. Mit Mode hat die Marke wenig am Hut. Brioni steht für höchste Schneiderkunst, für Gentlemen mit Einstecktüchern, die das nötige Kleingeld haben, sich einen 5000-Euro-Anzug zu kaufen. So jemand wie O'Shea wäre in dieser Welt noch vor ein paar Jahren denkunmöglich gewesen.

Aber die Mode hat sich verändert. Und jemand wie Justin O'Shea soll es jetzt richten. Ein Mann aus dem Outback, der weiß, wonach Männern der Sinn steht. Richtigen Männern.

"Ich bin das Klischee von einem Mann", sagt er und erzählt wie als Beweis von seinem Fitnessprogramm. Ein Tag Boxtraining, am nächsten in die Kraftkammer. Und das an sieben Tagen die Woche. Aus dem engen schwarzen Hemd, das er auf seinem Chefsessel trägt, quellen die Brusthaare. "Ich möchte, dass Brioni der Inbegriff von maskuliner Mode wird. Kein Label für Buben, sondern für Männer."

Männermode in der High Fashion ist heute ein Synonym für ausufernde Muster und starke Farben. Für Kringel und Rüschen. Alessandro Michele ist mit seinen Aristo-Kollektionen für Gucci zum neuen Superstar der Branche aufgestiegen. Die Trennung zwischen Frauen und Männern ist in seiner Mode aufgehoben. Bei O'Shea ist es gerade andersherum: "Das, was Alessandro macht, finde ich richtig gut", sagt er. "Für mich ist seine Mode aber nichts."

O'Sheas Männer tragen eng geschnittene Dreiteiler, unter denen sich die Muskeln abzeichnen, breite Krawatten und spitze Stiefel. Sie stehen auf Krokoleder und hüllen sich auch schon mal in Chinchilla. Die Kragenecken der Hemden sind mit Metall beschlagen, manche Fersenkappen seiner Schuhe sind mit Rubinen versehen.

Metallica als Testimonials

Brioni als Anti-Gucci, dieser Gedanke gefällt Justin O'Shea. "Die allgemeine Feminisierung der Männermode hilft mir dabei, das genaue Gegenteil zu machen." Für seine erste Kampagne verpflichtete er die Haudegen von Metallica ("Die sind die besten in der Rockmusik, wir in der Schneiderkunst"), beim Schriftzug der Marke griff er auf die ursprüngliche Frakturversion zurück. Und als er seine erste Kollektion präsentierte, machte er das nicht im Rahmen der Männermodewoche in Mailand wie üblicherweise, sondern während der Haute Couture in Paris.

Um die Hochwertigkeit der Marke zu unterstreichen. Aber auch, um mit den Regeln zu brechen und dadurch mehr Aufmerksamkeit zu bekommen. Eingeladen waren genau 95 Personen, kaum Journalisten, aber dafür umso mehr Kunden. Sie sind es, denen O'Shea seine neue Version von Brioni näherbringen muss. Am Tag nach der Modeschau traf er sich mit ihnen zur Anprobe. So wie früher in den alten Zeiten, als man zur Anzugprobe nicht ins Kaufhaus, sondern ins Maßatelier ging.

"Das gibt es heute ja nicht mehr, den direkten Kontakt zum Kunden", sagt er, "weil es den meisten Designern am Arsch vorbeigeht." Als O'Shea noch für Mytheresa arbeitete, waren die Lagerarbeiter seine Kumpels. Damit sie bei der Weihnachtsfeier was zum Anziehen hatten, hat er ihnen seine Anzüge geschenkt. Weil er wusste, was ihnen steht.

Vielleicht ist es gar nicht so schlecht, dass O'Shea kein Designer ist. Und manche Sachen einfach anders macht. (Stephan Hilpold, RONDO, 30.9.2016)

Update, 4.10. 2016: Brioni gab mittels Aussendung bekannt, dass man sich von Justin O'Shea als Kreativdirektor getrennt habe.


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