Rechtsextreme einst im "Club 2": Skinheads bei Rudolf Nagiller, 1988 – übrigens hier in der TV-Thek nachzusehen.

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"Talk im Hangar": Andreas Unterberger, Martin Sellner, Michael Fleischhacker, Efgani Dönmez und Johannes Voggenhuber am Donnerstag bei Servus TV, nachzusehen unter diesem Link.

Foto: Servus TV Carmen Schrettl

Wien – "Nein", sagt Alexander Wrabetz knapp wie kategorisch: Einen Sprecher der Identitären lade der ORF nicht in die Sendung "Im Zentrum". Der ORF-Generaldirektor staunt vielmehr, "dass wir am Beginn des 21. Jahrhunderts ernsthaft diskutieren, ob vom Verfassungsschutz beobachtete Neonazis an TV-Debatten einfach so teilnehmen können".

Wrabetz meint Martin Sellner, der am Donnerstagabend bei Servus TV in "Talk im Hangar-7" auf dem Podium saß. Thema: Radikalisierung junger Muslime. Kenan Güngör, Studienautor zum Thema, Jugendforscher Winfried Moser und Imam Ramazan Demir sagten ihre Teilnahme ab. Michael Fleischhacker diskutierte mit Sellner, dem rechtskonservativen Publizisten Andreas Unterberger, Exchefredakteur von "Die Presse" und "Wiener Zeitung", und den ehemaligen Grünen-Abgeordneten Efgani Dönmez und Johannes Voggenhuber. "Was ist auf einmal salon- und hoffähig geworden?" , fragt Wrabetz.

Skinheads im "Club 2"

Der ORF-General räumt ein, dass ein anderer Sprecher der Identitären Ende 2015 in einem "Bürgerforum" auftrat – "irrtümlich". Der ORF würde "vom Verfassungsschutz beobachtete Neonazis" nicht in große Diskussionen einladen. Das Thema arbeite er besser, wie zuletzt "Am Schauplatz", auf. Der ORF hätte solche Gäste auch nicht zum legendären Diskussionsformat "Club 2" geladen, einst, zu Wrabetz' "Studentenzeit".

Das stimmt so nicht ganz: Zwei Skinheads waren Gäste im "Club 2" über "gewaltbereite Jugend", und sie attackierten vor laufenden Kameras Moderator Rudolf Nagiller ("Heast, hau mas' zsamm"). Das war 1988, fünf Jahre nach Wrabetz' Promotion.

Der ORF-Chef staunte am Freitag über den "Talk im Hangar-7" zum Abschluss des Rundfunkforums in Wien. Thema: "Meinungs- und Medienfreiheit in der digitalen Ära: Eine Neuvermessung der Kommunikationsfreiheit".

Wrabetz hat kurz zuvor darüber gesprochen, dass die sozialen Medien als fünfte Säule des gesellschaftlichen Diskurses nun die vierte Säule, die klassischen Medien also, ebenso hinterfragen, "wie wir die ersten drei Säulen als Watchdog hinterfragt haben". Und er wollte "Wege finden, wie wir uns mit dem Teil der Gesellschaft auseinandersetzen, der sich über unser Tun unterhalten will". Da freilich ging es um "angemessene Präsenz" des ORF auf nichtlinearen, mobilen, interaktiven Plattformen. Die schränkt das ORF-Gesetz bisher ein – oder verlangt zumindest eine genaue behördliche Prüfung.

Mehr vom Unbequemen

Da hat Wrabetz Rundfunkrechtler wie Kommunikationswissenschafterin auf seiner Seite: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat längst einen "Integrationsauftrag", erinnert Bernd Holznagel von der Uni Münster. Er müsste sich "neu erfinden und als Moderator die verschiedenen Teilöffentlichkeiten ins Gespräch bringen".

Teilöffentlichkeiten in Silos, in Echokammern sozialer Medien, in denen Userinnen und User "bequem" nur noch zu sehen und lesen bekommen, was ihren Vorstellungen entspricht, sagt Katharine Sarikakis von der Uni Wien. Silos in der Verantwortung und unter Kontrolle von US-Firmen, verweist sie auf eine "Privatisierung" politischer Aufgaben. Sarikakis: "Wir brauchen aber mehr vom Unbequemen."

Klenk auf der Hutablage

Nun erlebt man in der digitalen und sozialen Welt keineswegs nur Bequemlichkeit. Ein Facebook-User wollte "Falter"-Chefredakteur Florian Klenk zum Beispiel verbrennen.

So offene Aggression in Userbeiträgen werde sich "in ein paar Jahren erledigt haben", vermutet Klenk, "wie das Rauchen im Auto mit Kindern". Oder wie Klenk als Kind noch "auf der Hutablage mit den Eltern nach Italien gefahren" ist.

Besuch beim Hassposter

Denn, so fragt Klenk: Wie vielen, die in dieser oder ähnlichen Tonlagen posten, ist eigentlich bewusst, dass sie das öffentlich tun? Es liege in der Verantwortung von Journalisten, ihnen das klarzumachen – statt mit diesen Tönen Reichweite und/oder Politik zu machen.

Der "Falter"-Chefredakteur hat den Herrn, der ihn verbrennen wollte, kontaktiert und ihn gefragt, warum er so gehässig ist, wo er doch eine erfolgreiche Firma hat, eine tolle Frau und nette Kinder, einen frisch renovierten Keller und segelfliegen kann. Woher wissen Sie das, staunte der Mann. Ihm war offenbar nicht bewusst, was er da alles öffentlich postet, berichtet Klenk und setzt sich nach seinem Auftritt in den Zug ins Traunviertel, um den Mann zu besuchen. Das mit dem Verbrennen will der User übrigens eh nicht ernst gemeint haben.

Positive Echokammer

ORF-General Wrabetz ist nicht nur gegen die Einladung des "Identitären" in TV-Debatten, er ist auch gegen eine breite Diskussion über die Einladung und die Absagen aus diesem Grund.

Alexandra Föderl-Schmid, die Herausgeberin des STANDARD, widerspricht vehement: "Das Thema ist da, also muss man darüber diskutieren." Mehr noch: "Wir können eine Echokammer im positiven Sinn sein", verweist Föderl-Schmid auf kontroverse Debatten auch in der Redaktion, die DER STANDARD offenlege, etwa auch mit Pro- und Kontra-Kommentaren. (fid, 23.10.2016)