Wenn es um körperliches Alter und die damit verbundenen Gesundheitsrisiken geht, gibt es zwei große Krankheitsgruppen: Krebs und Herz-Kreislauferkrankungen. Während in der Onkologie genetische Typisierung von Tumoren längst Einzug gehalten hat, spielte in der Kardiologie die Vorhersagbarkeit von Ereignissen wie Herzrhythmusstörungen oder Herzinfarkten durch genetische Analysen eine untergeordnete Rolle.

"Genanalysen können Antworten auf diese Fragen liefern und den Betroffenen viel Leid ersparen", so Eric Schulze-Bahr, Direktor des Institutes für Genetik von Herzerkrankungen, Universitätsklinikum Münster, bei der 83. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie in Mannheim. Denn Herzrhythmusstörungen und Herzmuskelerkrankungen können genetisch schon im Kindesalter festgestellt werden, obwohl sie sich erst nach Jahrzehnten dann auch klinisch zeigen. "Wir können bei Patienten mit entsprechender genetischer Veranlagung beobachten, wann sich die Krankheit entwickelt und dann frühzeitig behandeln", so Schulze-Bahr.

Zu wenig erforscht

Genetische Diagnosen geben in manchen Fällen Auskunft, wie sich der klinische Verlauf bei Herzrhythmusstörungen entwickeln kann und somit auch, wann welche Behandlung erforderlich ist. "Wir können die Therapie auf den jeweiligen Gen-Untertyp abstimmen. Liegt beispielsweise das sogenannte Lange QT-Syndrom mit dem Untertyp 3 vor, so wird das nicht nur mit einem Beta-Blocker, sondern auch mit einem Natrium-Kanal-Blocker behandelt, der das QT-Intervall normalisieren kann", so Schulze-Bahr.

Unter den erblichen und damit familiären Herzrhythmusstörungen sind bislang rund zehn verschiedene Erkrankungen aufgeklärt, darunter das Lange QT-Syndrom, die stressinduzierte polymorphe Kammerherzrhythmusstörung (CPVT), das Brugada-Syndrom, das Kurze QT-Syndrom und das idiopathische Kammerflimmern. Auch langsame Herzrhythmusstörungen, etwa aus der Vorkammer sowie des Sinusknotens, werden in manchen Fällen durch genetische Defekte verursacht.

Insgesamt ist das Interesse an der Entwicklung spezieller Medikamente aufgrund der Seltenheit der Erkrankungen noch gering. Die Aufmerksamkeit hierfür steigt jedoch, wenn auf der genetischen Ebene nachgewiesen werden kann, dass der Krankheitsmechanismus, der die seltene Krankheit verursacht, ein ähnlicher ist, der auch bei einer häufigen Herzerkrankung beteiligt ist.

Plötzlicher Kindstod

Auf der Tagung wurde kritisiert, dass Fälle von plötzlichem Herztod vor dem 40. Lebensjahr oder der plötzliche Kindstod zu wenig aufgearbeitet werden. Eine genetische Analyse könnte dementsprechender Risiken vorhersagbar machen. Zudem ist es für Patienten und ihre Angehörigen wichtig, eine Ursachen für solch tragische Ereignisse im Nachhinein zu kennen.

Ein wichtiges Thema bei der Tagung ist auch die Frage, wie Gen-Diagnosen in der Kardiologie sinnvoll und zielgerichtet eingesetzt werden können. Derzeit werden immer mehr Gene identifiziert, die zu derselben kardialen Krankheitsausprägung führen. Ein Teil dieser Entwicklung kommt daher, dass die genetischen Analysen von einer Stufendiagnostik, die auf Hauptgene ("core genes") für eine Erkrankung fokussiert, auf eine parallele Gen-Diagnostik ("next generation sequencing", NGS) umgestellt wurden und somit in einem Ansatz mehrere hundert Gene analysiert werden können.

Im Rahmen dieser NGS-Analysen werden jedoch auch nicht-indikationsbezogene – zum Beispiel für eine andere, das heißt in dem Fall nicht vorliegende Herzerkrankung ursächliche – Gene analysiert, was sowohl in der Patientenaufklärung, Ethik als auch in der bioinformatischen Auswertung spezifische Anforderungen nach sich zieht. (red/idw, 21.4.2017)