Bei den Iranern und Iranerinnen ist es nicht anders als bei anderen stolzen Besitzern großer Nationalküchen: Was eigentlich eine Momentaufnahme ist – wobei so ein "Moment" durchaus etwas länger dauern kann –, wird als seit ewigen Zeiten in Töpfen und auf Tellern vorhanden angesehen. Etwa die Italiener mit ihren Paradeisern: undenkbar, dass es früher auch ohne sie gegangen ist. All die europäischen Erdäpfel- und Paprikafresser. Und im Falle der Iraner: Wie war das vor dem Reis?

Der Basmati allererster Güte, um den sich das persische Essen dreht – und der einem, wenn man zu viel davon bei der Ausreise in den Koffer packt, vom Zoll abgenommen wird –, wird im Iran erst seit Mitte des 19. Jahrhunderts angebaut. In Mode kam er um 1600, aber eher bei den Reichen – weiß, locker körnig und gebuttert, Chelou, der von der Fleischspeise begleitet wird und nicht umgekehrt.

Heute ist er der kulinarische Hegemon im Lande, ein sehr angenehmer und wohlduftender. Wenn Sie in Teheran ein Wohnhaus betreten, dann können Sie ihn riechen, irgendeine(r) kocht immer Reis. Mit oder ohne die schönen goldenen Safraneinsprengsel.

Kein Wunder, dass für einen Iraner so mancher Reis, der in Österreich ohne Widerrede gegessen wird, ganz einfach stinkt. Und wenn einem unvorbereiteten Iraner ein richtig schönes, schwappendes Risotto vorgesetzt wird, dann kann er schon einmal in Schockstarre verfallen.

Der Reis und seine Begleitung, in dem Fall Kebab.
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Also der Reis und seine Begleitung. Da ist zuerst einmal das große Universum der Kebabs. Es gibt Restaurants, die darauf spezialisiert sind, die können das besonders gut. Chelou Kebab: vorher sorgfältig marinierte Fleischstücke – alles außer Schwein –, die ebenso sorgfältig saftig auf Holzkohle gegrillt werden. Aber es gibt natürlich auch die berühmten eingedellten faschierten Spieße – Koobideh Kebab. Die bei uns (leider manchmal in beklagenswerter Qualität) üblichen Fleischstücketürme heißen im Iran Kebab Torki, also türkisches Kebab.

Keine Ahnung, ob folgendes Geschichterl stimmt, aber nett ist es allemal: Ein politischer Aktivist in Täbris, Anhänger der iranischen Verfassungsbewegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts – bei der übrigens der schiitische Klerus eine die Demokratie durchaus unterstützende Rolle spielte (anders als der unsrige damals!) –, wurde aus dem Publikum gefragt, was es denn mit diesem "Konstitutionalismus" wirklich auf sich habe, was das denn für die Menschen bringe.

Der Redner, entweder selbst unsicher oder eben ein typischer Politiker, sagte: "Chelou Kebab für jeden, und sooo groß" – Unterarmlänge von den Fingerspitzen gegemessen plus Armdurchmesser. Die Iraner bekamen ihre Verfassung 1906, eine für damalige Verhältnisse sehr moderne.

Persisches Kebab

Auch Kebab ist ein uraltes persisches Gericht: Der Kadscharenherrscher Nasir ad-Din Shah soll das Gericht nach kaukasischem Rezept von seinen Köchen verlangt und modern gemacht haben – das ist jener Schah, der 1873 die Weltausstellung in Wien besuchte und deshalb in Joseph Roths "Die Geschichte von der 1002. Nacht" landete (wo er der Mizzi Schinagl eine Perlenkette schenkt). Aber auch davor dürften die Iraner keine Probleme gehabt haben, eine Zuspeise zu ihrem Reis zu finden: Da gibt es die wundersame Vielfalt an Khoresht, am ehesten wohl zu beschreiben als Ragouts mit viel Sauce, oft eine recht einfache, aber herrliche Hausmannskost.

Nicht im Iran, sondern im Irak, wohin es bestimmt schiitische Pilger brachten, habe ich zum ersten Mal Fesenjan gegessen (Khoresht-e Fesenjan), und danach immer wieder im Iran. Die entscheidenden Zutaten der Sauce sind die Walnüsse und der Granatapfelsirup, der so eingesetzt werden muss, dass sich Säure und Süße die Waage halten. Ursprünglich stammt das Gericht ebenfalls aus dem Kaukasus, wurde zur Regionalspeise der südwestlichen kaspischen Küste und erst in den vergangenen Jahrzehnten im Restiran so richtig populär. Traditionell war die Ente das Tier, das sich in der Sauce tummelte, heute ist es sehr oft ein Henderl. "Er benimmt sich, als hätte er Rebhuhn und Fesenjan gehabt", heißt es auf Persisch über einen, der groß dran ist: also ein luxuriöses Gericht.

Hauptsache Reis: Wenn sich zu einem weißen Reis Zutaten gesellen, dann wird daraus ein Polou.
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Jeder hat sein eigenes Fesenjan-Rezept, aber meist geht es ungefähr so: Die geriebenen Walnüsse werden zu angebratenen, mit Kurkuma gewürzten Zwiebeln gegeben, kurz mitgeröstet. Dann wird Wasser angegossen, in dem die Walnüsse vor sich hin köcheln. In der zweiten Stunde wird der Granatapfelsirup zugegeben, in der dritten die – zuvor mit Zwiebeln, Kurkuma, Safran und Lorbeerblättern extra geschmorten – Fleischstücke.

Den Chelou zu so einem Festessen wollen wir natürlich mit Tah-Dig (wörtlich: Untertopf), also mit einer schönen, goldbraunen Kruste, die dazu animiert, den Reis gestürzt zu servieren (was zur irreführenden Bezeichnung "Reiskuchen" verleitet). Um diese Kruste herzustellen, gibt es ebenfalls etliche Tricks, in manchen Küchen kommt Joghurt, in anderen Dotter zum Einsatz; eine modernere Methode ist es, den Topf, in den der in viel Wasser vorgegarte Reis vulkankegelartig aufgehäuft wird, mit Erdäpfelscheiben auszulegen.

Um der für diese Seite gewählten hübschen Illustration gerecht zu werden, ist jedoch anzumerken, dass der Iran auch das Land des Polou ist: Wenn man Chelou mit Zutaten mischt – entweder gleich zusammengefügt oder auch erst nach dem Garen -, dann wird er zum Polou, und wenn Sie bei dem Wort an Pilaf und Plow und Konsorten denken, dann liegen Sie völlig richtig. Da kommt auch die berühmte Berberitze, neben dem Safran ein beliebtes Iran-Souvenir, zum Einsatz.

Kuku.
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Familienrezepte

Wenn man diesen Artikel liest, könnte man zur falschen Meinung kommen, die persische Küche sei eine reine Hauptspeisenküche. Das wäre natürlich weit gefehlt: Im Gegenteil, die Gefahr, sich in den Vorspeisen und Salaten so zu verlieren, dass man die Hauptspeise nicht mehr schafft, ist groß. Allein das Kapitel der Kuku, für die die Bezeichnung Omelette eine Beleidigung ist: Sie sollten gerade so viel Ei enthalten, um die anderen Ingredienzien zusammenzuhalten, etwa beim Klassiker Kuku-ye Sabzi, dem von Kräutern und Spinat tiefgrün gefärbten lockeren Fladen.

Wie ein Schneekönig gefreut habe ich mich, als vor drei Wochen unser Tobias Müller in seiner Kolumne "Gruß aus der Küche" Kaleh Pacheh nachkochte, die iranische Schafskopfsuppe, eigentlich ein Hacklerfrühstück. Auch ich habe schon vor Jahren einmal darüber geschrieben (ohne Nachkochen) und berichtet, dass es in "meinem Zenker" – türkisch-arabisch-persisches Wörterbuch von 1866 (Türkisch wurde damals ja auch mit arabischen Buchstaben geschrieben) – als "aus Schaafsbeinen und Kopf bereitete Gallert oder Ragout" bezeichnet wird.

Tobias hat meine Erfahrung bestätigt, dass das gekochte Lammäugl zart und vom anderen Fleisch kaum zu unterscheiden ist. Dennoch bleibe ich bei meiner Meinung, dass sich ein kräftiges Schnapserl dazu gut machen würde, an einem kalten Teheraner Wintermorgen. Spielt's halt nicht: Auch den Shiraz müssen Sie sich dazudenken, wenn Sie im Iran essen, und das ist ein Jammer. (Gudrun Harrer, RONDO, 1.7.2017)

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Kaleh Pacheh: Schafskopf zum Frühstück