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Kaum ein Aktienmarkt, im Bild das Frankfurter Parkett, konnte im ersten Halbjahr der Wiener Börse das Wasser reichen.

Foto: dapd/Mario Vedder

Wien – Eine sich beschleunigende Weltkonjunktur und der Anlagenotstand der Investoren durch die Niedrigstzinspolitik der Notenbanken haben an den Aktienmärkten für ein erfreuliches erstes Halbjahr gesorgt. Nahezu alle bedeutenden Märkte und Indizes befinden sich in der Gewinnzone, wobei eine Börse den meisten anderen seit Jahresbeginn merklich davongeeilt ist – nämlich jene in Wien. Nicht zuletzt wegen der brummenden Konjunktur in Osteuropa schoss der ATX, dessen Unternehmen dort einen großen Teil der Erträge erwirtschaften, in den ersten sechs Monaten um mehr als 18 Prozent nach oben.

Sowohl der private Konsum als auch Exporte und Investitionen florieren in der Region. "Wir haben einen breit aufgestellten Aufschwung", resümiert Raiffeisen-Research-Chefanalyst Peter Brezinschek. Im Unterschied zu früher werde das Wachstum in Osteuropa nicht mehr durch hohe Leistungsbilanzdefizite erkauft, was "die enorme Konkurrenzfähigkeit dieser Märkte widerspiegelt". Zudem hat zuletzt auch Österreichs Wirtschaft an Schwung gewonnen und wächst so stark wie seit 2011 nicht mehr.

Konjunktureller Rückenwind

Neben dem konjunkturellen Rückenwind unterstützen den ATX laut RCB-Chefanalyst Bernd Maurer auch die Finanzwerte, die fast ein Drittel des Index ausmachen und von künftigen Rendite- und Zinsanstiegen profitieren sollten. Zudem würden in späten Phasen der seit 2009 laufenden übergeordneten Aufwärtsbewegung der Weltbörsen die Investoren oft auf Randmärkte wie Wien ausweichen. "Man schaut wieder mehr auf Österreich", sagt Maurer. "Ich habe jetzt viel mehr Gespräche mit internationalen Investoren als vor fünf Jahren."

Die Bewertung von Wiener Aktien hält er für "angemessener als bei globalen Leitbörsen", dennoch hält der Analyst eine Korrektur im Sommer nach dem starken Anstieg der ersten Jahreshälfte für wahrscheinlich – insbesondere wenn auch an den Leitbörsen ein Sommergewitter aufziehen sollte. "Wir sind aber weiter positiv gestimmt und sagen nicht, dass die Party in Wien vorbei ist."

Auch für die internationalen Märkte hält Brezinschek vorübergehende Kursrückgänge zwischen fünf und zehn Prozent für wahrscheinlich. Dafür sprechen aus seiner Sicht die Saisonalität, also die statistische Schwäche der Märkte während des Sommers, und die angespannte Bewertung. "Wir befinden uns derzeit auf dünnem Eis", folgert der Raiffeisen-Analyst – und stellt umgehend klar: "Für uns wäre das dann tendenziell ein Einstiegsniveau."

In der Eurozone wähnt Brezinschek ebenso wie Chefvolkswirt Gerhard Winzer vom Erste Asset Management heuer die Konjunktur auf dem Höhepunkt des Zyklus. Da sich auch die Inflationsraten stabilisieren würden, sei die Basis gelegt, im Herbst für 2018 das Auslaufen des Anleihenkaufprogramms der EZB anzukündigen. "Die Geldpolitik bleibt aber unterstützend", betont Winzer, zumal die Straffung sehr vorsichtig erfolgen werde, "sodass sie die Finanzmärkte nicht beschädigt".

Seitwärts bei Anleihen

An den Anleihenmärkten erwartet er eine Fortsetzung der Seitwärtsbewegung, wie sie zehnjährige deutsche Bundesanleihen seit zwei Jahren verzeichnen. "Die Zinswende kommt nicht heuer oder 2018, wir sind noch in einer Konsolidierungsphase", sagt Winzer. Für Aktien sieht er die Ampel noch auf Grün, allerdings könne sie bald auf Gelb springen.

Zur Vorsicht mahnt auch die langjährige Statistik: Zwar verzeichnen Aktien im "7er-Jahr" eines Jahrzehnts bis in den Sommer zumeist deutliche Anstiege, danach droht es jedoch ruppig zu werden. Am 19. Oktober 1987 kam es etwa am "Black Monday" der Wall Street mit minus 22,6 Prozent beim Dow Jones zum bisher stärksten Tagesverlust, und 2007 wurde im zweiten Halbjahr bereits die Ouvertüre zur Finanzkrise angestimmt. (Alexander Hahn, 29.6.2017)