Der Chef der Deutschen Bundesbank Jens Weidmann spricht in Wien über die Zukunft der Eurozone. Als EZB-Ratsmitglied will er Mario Draghi an der Spitze der Europischen Zentralbank 2019 ablösen.

APA/AFP/dpa/SUSANN PRAUTSCH

Wien – Schuldest du der Bank 100 Euro, hast du ein Problem. Schuldest du der Bank 100 Millionen Euro, hat sie ein Problem. Diese alte Weisheit trifft heutzutage auf ganze Volkswirtschaften zu. Seit Beginn des Anleihekaufprogramms vor fünf Jahren ist die Europäische Zentralbank zum größten Gläubiger der Eurostaaten geworden. Der Bilanzwert der EZB hat heuer vier Billionen Euro überschritten. Derzeit kaufen die Euro-Notenbanken im Kollektiv jeden Monat um 60 Mrd. Euro zusätzliche Papiere.

Der Präsident der Deutschen Bundesbank, Jens Weidmann, ist einer der wichtigsten Kritiker der expansiven Geldpolitik: Der ehemalige Merkel-Berater gilt als geldpolitischer "Falke" und somit als Widersacher von EZB-Gouverneur Mario Draghi, der die "Tauben" im EZB-Rat anführt. Am Donnerstag war Weidmann bei der Oesterreichischen Nationalbank zu Gast in Wien, wo er über die Zukunft der Währungsunion referierte. Der Bundesbankpräsident sprach sich zwar nicht für eine unmittelbare Erhöhung der Leitzinsen aus, plädierte aber für mehr Zurückhaltung bei den Anleihekäufen. Eine expansive Geldpolitik stehe weiterhin außer Zweifel, aber die EZB sollte auf dem Weg zu einer monetären Normalisierung den Fuß vom Gaspedal nehmen, erklärte Weidmann. Anleihekäufe seien ein "reines Notfallinstrument".

Offener Geldhahn

Es bestehe die Gefahr, dass die wichtige Grenze zwischen Geldpolitik und Fiskalpolitik verschwimme. Ist die Tragfähigkeit der Staatsschulden in manchen Ländern der Eurozone nur noch durch den offenen Geldhahn der EZB aufrechtzuerhalten, könnte der politisch Druck auf die formal unabhängige Zentralbank wachsen. Außerdem sei es problematisch, dass die disziplinierende Wirkung der Kapitalmärkte durch die Anleihekäufe unterwandert werde. Schließlich zahlten die Euro-Länder der EZB in etwa gleich wenig Zinsen, unabhängig von ihrer Bonität, sagt Weidmann.

Die Tauben in der EZB hätten trotzdem gute Argumente, sagt der Ökonom Mario Holzner vom Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche. Das angestrebte Inflationsziel von knapp unter zwei Prozent werde derzeit nur wegen des stärkeren Ölpreises erreicht.

Weidmann sprach aber auch über Alternativen zur Geldpolitik. In Europa, aber vor allem in Deutschland sei der demografische Wandel eine Wachstumsbremse. Die Regierungen müssten daher in Bildung und digitale Infrastruktur investieren. Die Reformbereitschaft habe allerdings seit Beginn der Staatsschuldenkrise arg nachgelassen, meinte er.

Im Mai berichteten deutsche Medien, dass der Bundesbankchef von der Regierung ins Rennen um Draghis Nachfolge im Herbst 2019 geschickt werde. Mit der Aufstellung Weidmanns sendet Kanzlerin Angela Merkel vor der Bundestagswahl im Herbst ein Signal an die eigene Bevölkerung. Die lockere Geldpolitik ist vielen Deutschen ein Dorn im Auge. Um EZB-Chef zu werden, muss ein Kandidat aber über die nationale Perspektive hinaus Konsensfähigkeit beweisen. Wien ist für Jens Weidmann jedenfalls ein guter Ort, um den Spagat zu üben. Nicht nur geografisch, sondern auch bei der Geldpolitik liegt Österreichs Position zwischen Deutschland und Italien. (Leopold Stefan, 6.7.2017)