Fadenförmige Strukturen einer Protuberanz über dem Sonnenrand (unten) im Licht der roten Wasserstoff-Emission.

Foto: Eberhard Wiehr

Göttingen – Materieströme auf der Sonne, sogenannte Protuberanzen, sind oft mehrere hunderttausend Kilometer lange Plasmawolken aus elektrisch leitfähigen Ionen und Elektronen. Weil sie sich nur sehr eingeschränkt im Magnetfeld bewegen können, schweben sie bisweilen wochenlang hoch über derselben Stelle der Sonnenoberfläche.

Ein wichtiges Maß für die Beschreibung dieses Plasmas ist die Dichte der freien Elektronen – doch diese konnte bisher meist nur sehr ungenau bestimmt werden. Astrophysiker haben nun eine neue, bedeutend exaktere Methode entwickelt: Sie schließen die Elektronen-Dichte aus dem Helligkeits-Verhältnis zweier Spektral-Linien.

Natrium und Strontium

Dazu verglich das Forscherteam um Eberhard Wiehr von der Universität Göttingen eine Emissions-Linie des neutralen Natriums mit einer des ionisierten Strontiums. "Da in Protuberanzen fast alle Atome ionisiert sind, kann das Strontium-Ion seine violette Linie sofort abstrahlen. Das Natrium-Ion hingegen muss erst ein freies Elektron einfangen, bevor es als neutrales Atom die bekannte gelbe Spektral-Linie emittieren kann", erklärt Wiehr, der die Studie im Fachblatt "Solar Physics" gemeinsam mit Götz Stellmacher vom Institut d’Astrophysique in Paris verfasst hat. "Das Verhältnis der Stärke beider Emissionen ist daher ein Maß für die Elektronen-Dichte."

Erschwert werden die Messungen durch den großen Farbunterschied beider Spektral-Linien, der neben messtechnischen Problemen mit dem Spektrografen des 70-Zentimeter-Sonnenteleskops auf Teneriffa Einflüsse der Licht-Brechung in der Erdatmosphäre zum Tragen bringt: Bei optimalen Beobachtungsbedingungen am Morgen, wenn das Luftflimmern noch gering ist, wird das violette Licht des Strontiums stärker gebrochen als das gelbe des Natriums. "Dadurch scheint die Sonnenscheibe im Violetten höher zu stehen als im Gelben", sagt Wiehr.

Mehr Elektronen in leuchtschwachen Protuberanzen

Mit 20 Milliarden Elektronen pro Kubikzentimeter in hellen und 40 Milliarden in leuchtschwachen Protuberanzen fanden die Forscher eine etwa zehnmal höhere Dichte als in der umgebenden Sonnen-Korona. Während die Elektronen-Dichte in der Korona stark mit der Höhe über dem Sonnenrand abnimmt, trifft dies für Protuberanzen nicht zu. Ebenso wenig ändert sich die Dichte mit der zeitlichen Entwicklung der Protuberanz. Dies soll in weiteren Untersuchungen in diesem Sommer mit dem 45-Zentimeter-Sonnenteleskop in Locarno überprüft werden.

Die freien Elektronen der Protuberanzen stammen zum größten Teil aus der Ionisation von Wasserstoff. Da dieser sein Elektron durch Einstrahlung von hochenergetischem UV-Licht abgibt, ist die Elektronen-Dichte ein Maß für die UV-Transparenz der Protuberanzen-Wolken. "Diese hängt auch vom gegenseitigen Abstand der Protuberanzen-Strukturen ab, die fadenförmig nach unten hängen", so Wiehr. Ihr Durchmesser sei kleiner als 100 Kilometer und damit bisher nicht genau ermittelbar. Sie aber spielen offenbar eine entscheidende Rolle bei den physikalischen Vorgängen im Protuberanzen-Plasma. (red, 29.7.2017)