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Großbritannien wird für den Brexit tief in die Kasse greifen müssen – und sucht nach Lösungen, das zu verhindern.

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Florentiner haben ein gutes Gedächtnis. In der Hauptstadt der Toskana erinnert man sich gern an die Prachtzeiten des Mittelalters und der Renaissance, als der mächtige Stadtstaat mit einer fernen Insel im Nordatlantik florierenden Textilhandel betrieb.

Weniger schön sind die Erinnerungen an den englischen König Eduard III. (1327-77), der dauernd Kriege gegen Frankreich führen musste. Er verweigerte die Rückzahlung ausstehender Schulden und trieb damit zwei Florentiner Bankhäuser in den Bankrott.

Sky News überträgt die Rede von Theresa May live ab 15 Uhr.
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Wenn an diesem Freitagnachmittag die britische Premierministerin Theresa May ihre als wegweisend angekündigte Europa-Rede hält, dürfte keiner ihrer Gastgeber so uncharmant sein, sie an die fast 700 Jahre alten Verbindlichkeiten zu erinnern.

Ums Geld geht es aber auch diesmal: Mit einer als "offen und großzügig" beschriebenen Geste will die Konservative die 27 EU-Partner beeindrucken und den zuletzt auf Grund gelaufenen Brexit-Verhandlungen mit Brüssel neue Dynamik verleihen.

Brüsseler Rechnung

Das wichtigste Detail sickerte vorab durch: Endlich sichert die Insel zu, ihren Verpflichtungen für den bis Ende 2020 laufenden EU-Haushalt nachzukommen.

Eine Summe dürfte May nicht nennen; die in London kursierende Zahl von 20 Milliarden Euro passt aber zu den britischen Verpflichtungen in Höhe von 32,6 Milliarden Euro, von denen etwa zwölf Milliarden in Landwirtschaft, Wissenschaft und Förderprojekte auf der Insel zurückfließen sollen.

Bisher hatte sich London stets taub gestellt gegenüber den diversen Brüsseler Rechnungen, die sich auf bis zu 100 Milliarden Euro addierten. Man werde seine "rechtlichen Verpflichtungen" einhalten, räumte zwar sogar der EU-feindliche Außenminister Boris Johnson ein; aber damit schien die Regierung vor allem die Pensionsansprüche tausender britischer Staatsbürger, die für die EU tätig waren, zu meinen. Die in Rechnung stehende Summe beläuft sich auf 10,8 Mrd. Euro.

Übergangsphase

May steht unter Druck der Wirtschaft, einen harten Bruch mit dem Kontinent nach dem Austrittstermin Ende März 2019 zu vermeiden. Für eine bis zu dreijährige Übergangsphase, so will es die Lobby von Industrie und Handel, soll Großbritannien Mitglied in Binnenmarkt und Zollunion bleiben und im Gegenzug dafür Milliardenzahlungen leisten.

Dazu wird May in Florenz klar Stellung beziehen müssen, wenn sie einen Exodus wichtiger Industriezweige wie der Finanzwirtschaft vermeiden will. Angestrebt wird von der Downing Street offenbar eine kürzere Phase von zwei Jahren; auch soll die Insel zwar den Binnenmarkt verlassen, aber einen weitgehend vergleichbaren Status behalten.

Denn gegen den Druck von Wirtschaft und der EU-freundlicheren Opposition stemmt sich der harte Kern der EU-Feinde in der konservativen Fraktion. In der Regierung gehören die frühere May-Rivalin Andrea Leadsom und Entwicklungshilfeministerin Priti Patel ebenso dazu wie Johnson, dessen "Brexit-Manifest" am Wochenende für Furore sorgte.

Eigens trommelte die von der UN-Vollversammlung zurückgekehrte Regierungschefin deshalb am Donnerstag ihr Kabinett zusammen, um das Team auf ihre Strategie von Florenz einzuschwören.

Außer dem Brexit-Minister David Davis und Finanzminister Philip Hammond muss auch der Außenminister die Chefin in die Toskana begleiten, als Buße für seine Aufsässigkeit. Von ihrem Trio beklatscht, wird May Florenz als Wiege europäischer Kultur umschmeicheln – König Eduards Schulden aber bleiben so ungeklärt wie der Brexit-Kurs der konservativen Partei. (Sebastian Borger aus London, 21.9.2017)