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Die Situation auf den griechischen Inseln ist schwieriger geworden, sagte EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos am Montag. Vergangene Woche wiederholte er seine Bitte an die Mitgliedsstaaten, 50.000 Flüchtlinge aus Afrika aufzunehmen. Ein schwieriges Thema in der EU.

Foto: ap/Virginia Mayo

Nach den Bundestags- beziehungsweise Nationalratswahlen in Deutschland und Österreich sind die Bemühungen um eine Regierungsbildung in vollem Gang. Das aktuelle Scheitern der Sondierung zwischen CDU/CSU, Grünen und der FDP zeigt sinnbildlich, dass Migration in Europa ein Thema ist, das nicht nur in der EU, sondern auch innerhalb der Nationalstaaten für tiefgreifende Konflikte sorgt. Auch um diesen Tendenzen entgegenzuwirken, gibt es intensivere Bemühungen um Leitlinien für eine neue europäische Migrationspolitik, vor allem bei der EU-Kommission und einzelnen Mitgliedsstaaten. So arbeiten etwa Deutschland und Frankreich an einer Lösung, bei der Asylverfahren beschleunigt und an die Mitgliedsstaaten mit Außengrenzen verlegt würden. Auch das EU-Parlament hat im Oktober der Idee zugestimmt, die Dublin-Verträge zu überarbeiten und in eine umfassende europäische Migrationspolitik zu integrieren.

Den zentralen Akteuren in Deutschland und Österreich könnte dies etwas Spielraum verschaffen. Sollte es in Deutschland zu Neuwahlen oder – unwahrscheinlicher – einer CDU/CSU-SPD-Koalition beziehungsweise einer Minderheitsregierung kommen, wird es für Angela Merkel die oberste Priorität sein, zügig eine gemeinsame europäische Vereinbarung zu schaffen, um ihre Reputation nicht weiter zu schwächen und das Thema in Deutschland abräumen zu können. Auch in Österreich könnten europäische Lösungen die vermutliche Kanzlerpartei ÖVP für den EU-Ratsvorsitz in der zweiten Hälfte 2018 zumindest moralisch entlasten. Jedoch gibt es zahlreiche Gegenspieler: Ungarn, Polen und die Slowakei haben sich vehement gegen eine neue europäische Flüchtlingspolitik positioniert. Die Gefahren einer weiteren Zersplitterung der EU sind nicht zu leugnen.

Zwischen Humanität und Xenophobie

Eine europäische Migrationspolitik muss einerseits politische Lösungen in den Bereichen Asylverfahren, Verteilungsregelungen, Arbeitsmarktzugang, Anerkennung von Abschlüssen, aber auch in den Politikfeldern Bildung und soziale Sicherung schaffen. An dieser Stelle gab es in den vergangenen Jahren eine Vielzahl von guten Empfehlungen aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft. Vorschläge wären also genügend da.

Dieser Rahmen, und hier wird es diffiziler, muss aber zudem auf die vielfältigen Erwartungen der Bevölkerungen der Mitgliedsstaaten gesellschaftspolitisch eingehen. Angesichts von Humanität und Willkommenskultur einerseits und Skepsis, Angst und Xenophobie andererseits, die der Zustrom an Flüchtlingen aus dem arabischen Raum und Afrika seit 2015 ausgelöst hat, zeigt sich, dass politische Maßnahmen auf europäischer Ebene auch nationale historische, soziokulturelle und zivilgesellschaftliche Differenzen berücksichtigen müssen.

Parallelen in nationalstaatlichen Diskursen

Eine europaweite Studie mit dem Titel "The Migrant Crisis – European Perspectives and National Discourses" trägt dieser Perspektive Rechnung. Sie vereint Beiträge aus 18 europäischen Ländern und zeigt die jeweiligen sozial-historischen und aktuellen sozio-politischen Diskurse auf. Zum Vorschein treten dabei viele Parallelen, aber auch gravierende Unterschiede zwischen Transitländern wie Mazedonien, Kroatien oder Griechenland und Staaten wie Schweden, Belgien, Deutschland oder Österreich, die vielfach Ziel von Migration sind.

In allen Ländern spielten Migration und Flucht in den vergangenen Jahren eine zentrale Rolle in der Öffentlichkeit, am prominentesten in jenen, in denen seit 2015 Wahlkämpfe anstanden. Ebenso zeigt sich übergreifend, dass die öffentliche Kommunikation über die sogenannte Flüchtlingskrise sich in die jeweiligen historischen Diskurse zu Flucht, Asyl und Migration einbettet. Diese bereits vorhandenen Argumentationsmuster werden meist "top-down" durch die politischen Eliten re-aktualisiert. Dabei finden sich erstaunliche Parallelen in den Diskursen.

Kulturelle Identität

Trotz der starken ökonomischen Unterschiede zwischen den untersuchten europäischen Staaten werden Flüchtlinge zu großen Teilen als volkswirtschaftliche Gefahr und als Risiko für den individuellen ökonomischen Status wahrgenommen. Während Migration in den west- und mitteleuropäischen Staaten in der Vergangenheit durchaus mit ökonomischen Vorteilen assoziiert wurde – Stichwort Gastarbeiterbewegung –, bestehen heute Forderungen nach einer restriktiven Migrationspolitik, um Wirtschaftsmigration effektiv zu begrenzen, Arbeitslosigkeit zu senken und die sozialen Sicherungssysteme zu stabilisieren. Das gilt auch für einzelne Staaten, die sowohl eine Emigrations- als auch eine Immigrationsgeschichte vorweisen (Polen).

Fragen von kultureller Identität sind insbesondere in Ländern mit einer christlichen Prägung relevant. Hier werden auf der Basis religiöser Einstellungen kulturelle Werte als Argument genutzt, um restriktivere Politiken durchzusetzen. Fragen von innerer Sicherheit werden in der Regel ereignisbezogen, etwa nach terroristischen Anschlägen, diskutiert. Humanitäre Fragen finden sich insbesondere zu Beginn der Flüchtlingsbewegungen, sie lassen sich über die Zeit aber nur noch vereinzelt und vor allem in jenen Ländern beobachten, die von der Flüchtlingskrise sehr intensiv betroffen sind (Italien und Spanien). Generell zeigt sich, dass wirtschaftliche und kulturelle Begründungen dazu genutzt werden, die Ansprüche der eigenen Bevölkerung über die Bedürfnisse von Flüchtenden zu stellen.

Aufgabe der EU

Migration und Flucht werden übergreifend diskutiert als Gradmesser für das Potenzial der EU, divergierende Interessen integrativ zu bearbeiten. Insofern ist es erstaunlich, dass Kommission und Parlament in den nationalstaatlichen Diskursen kaum als aktive Akteure in der Kommunikation präsent sind. Man könnte nun einwerfen, dass EU-Stimmen in nationalen Debatten generell unterrepräsentiert sind. Gleichzeitig wird aber gerade die "Flüchtlingskrise" als "europäische Krise" etikettiert.

Zieht man die nationalen Wahrnehmungen der EU in Betracht, wird es ihr bei allen Anstrengungen, verantwortungsvolle Politik zu entwerfen, schwerfallen, sich zu positionieren. Um aber als Kommission erfolgreiche Vorschläge machen zu können, die auch von den Mitgliedsstaaten im Rat mitgetragen werden, braucht es ein intensives Verständnis der jeweiligen nationalstaatlichen Befindlichkeiten. Die EU hat die Aufgabe, nicht nur im Rat und im Parlament, sondern auch in den nationalen Zivilgesellschaften für ihre Vorschläge zu werben, um nicht wieder als dankbarer Sündenbock zu enden. (Melani Barlai, Birte Fähnrich, Christina Griessler, Markus Rhomberg, 22.11.2017)