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Kanzler Kurz bei Präsident Macron.

Foto: ap/Michel Euler

Bilanziert man die bisherige Amtszeit von Präsident Emmanuel Macron, fällt unweigerlich auf, dass er sich wiederholt mit Gegensätzen umgibt. Das beste Beispiel dafür stellt in jüngster Zeit zweifellos die Art und Weise dar, den 40. Geburtstag zu feiern. Macron buchte das royale Schloss Chambord im Loiretal, wobei sich diese Feststellung hauptsächlich auf die Verkürzung in den Massenmedien bezieht; in Wirklichkeit hatte Macron eine luxuriöse aber keineswegs unerschwingliche Unterkunft in einem als Hotel geführten Nebengebäude reserviert. Die bloße Tatsache, dass er sich im königlichen Umfeld bewegte, genügte aber für erboste oder satirische Kommentare, unter anderem von dem politisch weit links angesiedelten Präsidentschaftskandidaten Jean-Luc Mélenchon.

Eine völlig konträre Seite zeigte der Politiker in einem offiziellen Foto, das er rechtzeitig zu seinem ersten Nationalfeiertag als Präsident im Juli 2017 vorstellte. Auf dem Porträt findet sich auch Stendhals berühmtes Werk Rot und Schwarz (1830). Die symbolische Dimension des Textes liegt in dessen sozialhistorischem Hintergrund, den der Autor sehr wirksam in seinen Roman übersetzt.

Macron in Pose: das offizielle Porträtfoto des Elysee-Fotografen.
Foto: afp/PRESIDENCE DE LA REPUBLIQUE FRANCAISE/Soazig de la Moissonniere

Ideen der Revolution

Dieser entstand während der französischen Restauration, einer Zeit, in der viele nostalgisch auf die napoleonische Herrschaft zurückblickten. Vor 1815 wäre es möglich gewesen, gesellschaftliche Hindernisse zu überwinden, eine niedere Herkunft hinter sich zu lassen und etwa in der Armee sozial aufzusteigen. Ideen der Revolution seien also umgesetzt, Werte wie Freiheit oder Gleichheit wären greifbar für alle gewesen. Eine solche Haltung nahm zweifellos Stendhal ein, dessen Biografie weitgehend den Aufstieg eines Kindes aus der engen Provinz spiegelt. Von Grenoble aus führt der Weg des Autors immer wieder ins Ausland, vornehmlich nach Italien oder Deutschland, wo Stendhal etwa die Funktion eines hohen Beamten für Napoleon erfüllte und somit ein aufregendes und gleichzeitig intellektuell anregendes Leben führen konnte. Dies stand in krassem Gegensatz zur Zeit der Restauration, wo frühere Privilegien zurückgenommen wurden und es zu sozialer Undurchlässigkeit kam.

Gesellschaftlicher Stillstand

An dieser stößt sich der Held Julien Sorel aus Le Rouge et le Noir, der unter dem gesellschaftlichen Stillstand der Restauration leidet, den Veränderungen und dem angeblichen Heroismus der napoleonischen Epoche nachtrauert und aus seiner engen bedrückenden Lage ausbrechen möchte. Dabei erhält er immer wieder indirekt die Sympathie des Autors, und genau diese Aspekte scheinen einen cleveren Politiker wie Macron zu faszinieren. Es geht darum, die Bereitschaft zu bahnbrechenden Modifikationen der Gesellschaft zu symbolisieren, die Bereitschaft für jeden ein besseres Leben – fern der bisherigen eingeschränkten Verhältnisse – zu ermöglichen und – ähnlich wie Sorel – an durchgreifenden Erfolg und stetes Vorankommen zu glauben.

Niveauvoller Penseur, der Umgangssprache spricht

Den Widersprüchen in gesellschaftlicher Hinsicht entsprechen kontrastreiche Aussagen auf der Ebene der Linguistik: Macron machte sich bisher – im Gegensatz zu so manchem eher biederen Politiker – auch durch einen auffälligen Sprachgebrauch einen Namen. Einerseits pflegt er das Image des niveauvollen Penseur, der auf seine Vergangenheit in den Eliteschulen des Landes und die damit verbundene herausragende kulturelle Bildung verweist. Unter anderem bedient er sich Ausdrücke, die etwa bei Molière en vogue waren; andererseits schreckt er aber nicht davor zurück, stark negativ konnotierte Begriffe aus der Umgangssprache wie etwa fainéant ("Faulpelz") zu integrieren, die mit einer präsidialen Ausdrucksweise nur wenig zu tun haben, jedoch eine gewisse Nähe zu breiteren Wählerschichten suggerieren sollen.

Taktisches Verhalten

Ein solches taktisches Verhalten zeigt sich auch im Umgang mit der Wirtschaftspolitik des Landes. Bisweilen agiert der Präsident protektionistisch und verwehrt – zumindest für eine begrenzte Zeit – den Verkauf von staatsnahen Betrieben an ausländische Firmen. Dies manifestierte sich etwa im vergangenen Sommer, wo Macron die Übernahme der wichtigen Werft von Saint Nazaire durch einen italienischen Konkurrenten verhinderte und damit scharfe Kritik bei seinen europäischen Partnern erntete.

Zum anderen aber erweist er sich als Schüler von Schumpeter (Brice Couturier in Macron, un président philosophe), kritisiert die Folgen einer zu großen Verschuldung sowie eines Wachstums durch konstant steigende Staatsausgaben. Stattdessen betont er die Bereitschaft des Einzelnen, Risiken einzugehen und innovative Modelle zu suchen.

Saint-Simonismus nach Macron

Wie lassen sich so viele Kontraste vereinen? Gibt es einen Begriff, der auf verschiedene Attribute zutrifft? In der französischen Ideengeschichte eignet sich teilweise der Begriff des Saint-Simonismus, um heterogene Elemente, die Macron bewusst setzt, zu beschreiben und zu einer Einheit zusammenzufassen (Couturier).

Der Terminus bezieht sich insbesondere auf die 1820 und 30er Jahre, in denen der Pariser Aristokrat Saint Simon gesellschaftlich revolutionär auftrat. Er initiierte eine Gegenbewegung zu einigen – zu sehr ins Transzendentale verweisende – Theorien nach der Französischen Revolution: Saint Simon gibt sich realistischer (vergleiche Sudhir Hazareesingh) und besinnt sich auf die besonderen Fähigkeiten des einzelnen Menschen, die es ihm ermöglichten, schwierigste Hindernisse zu überwinden. Dabei belässt es der Denker nicht nur bei bloßen Worten, sondern gründet auch eine Art Modellgruppe, die seine Prinzipien umsetzen will.

Emanzipation des Individuums

Dieses soziale Experiment erntet zwar in den führenden Kreisen Hohn und Spott (man spricht bereits von einer religiösen Sekte), es beeinflusst jedoch langfristig bedeutende Teile der Bevölkerung und prägt so konträre Schriftsteller wie George Sand oder Jules Verne. Letztere unterstreichen einerseits die Emanzipation des Individuums durch ausgewählte Fähigkeiten (capacités); andererseits bleiben sie aber immer noch einem paternalistischen Zug der Sozialpolitik verhaftet. Damit betonen sie indirekt die Dichotomie, die bei Saint Simons Theoremen auftritt: dort sollen Werte wie Emanzipation, Wissenschaftlichkeit oder Fortschritt dominieren. Zusätzlich existiert jedoch die konträre Tendenz, das Individuum von Verantwortung zu befreien und es an ein Leben mit fixen Ritualen und Gesten zu binden. Ein solcher Gegensatz ist geprägt von der Bereitschaft oft wagemutige Experimente einzugehen und andererseits konservativen Mustern zu folgen, wenn dies von Vorteil erscheint. (Klaus Pfatschbacher, 15.1.2018)