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Anfragen von Google-Usern fließen in Analysen und Statistiken ein.

Foto: REUTERS/Dado Ruvic

Wien – Im Jahr 1993 veröffentlichte der New Yorker eine Karikatur von Peter Steiner, auf der ein Hund einem Artgenossen erklärt: "Im Internet weiß niemand, dass du ein Hund bist." Seitdem hat sich viel verändert.

Durch unser Suchverhalten können Algorithmen nicht nur auf unser Geschlecht, sondern auch auf unsere Konsum- und Wahlabsichten schließen. Eine Google-Suche verrät einiges über die Persönlichkeit von Nutzern. Wir googeln nach Krankheiten, Seitensprüngen oder Möglichkeiten zum Steuerbetrug. Der Datenwissenschafter Seth Stephens-Davidowitz schreibt in seinem Buch Everybody Lies: Big Data, New Data, and What the Internet Can Tell Us About Who We Really Are, dass Google alles über seine Nutzer wisse: Sexualpraktiken, Konsumgewohnheiten, politische Präferenzen.

Doch nicht nur auf Mikro-, sondern auch auf Makroebene liefert Googles öffentliches Statistik-Tool Trends Erkenntnisse. Aus den aggregierten Daten – Google registriert pro Monat weltweit mehr als 100 Milliarden Suchanfragen – lassen sich in Echtzeit Rückschlüsse auf das Konsumverhalten ziehen. Welches Produkt wird gerade wo nachgefragt? Google Trends ist seit 2004 in wöchentlicher Darstellung für die gesamte Welt oder einzelne Regionen verfügbar.

Googles Chefökonom Hal Varian publizierte im April 2009 ein Paper mit dem Titel "Predicting the Present with Google Trends", worin er zu dem Schluss kommt, dass Google-Daten die Genauigkeit von Wirtschaftsprognosen signifikant verbessern können. Zentralbanken, darunter die US-Notenbank Federal Reserve, die Bank of England sowie die Notenbanken in Italien, Spanien und Chile, greifen seit geraumer Zeit auf Google Analytics zurück und speisen die Daten in ihre makroökonomischen Modelle ein, um das Konsumentenverhalten zu prognostizieren.

Blick in den Rückspiegel

Traditionell rekurrieren Zentralbanken bei geldpolitischen Entscheidungen wie einer Anpassung des Leitzinses auf Wirtschaftsindikatoren wie Produktionspotenzial, Lohnentwicklung oder Geldmenge. Das Problem an diesen Indikatoren ist, dass sie statisch, sprich: nicht mehr aktuell sind, wenn geldpolitischer Handlungsbedarf geboten ist.

Der Wirtschaftswissenschafter und MIT-Professor Erik Brynjolfsson drückte es zuletzt bei Bloomberg so aus: "Wenn Notenbanker traditionelle Daten anschauten, blickten sie im Wesentlichen in den Rückspiegel." Daher entwickeln Notenbanken im Rahmen ihrer monetären Analyse inzwischen eigene internetbasierte Indikatoren, die kombiniert mit traditionellen Daten ein exakteres Abbild der wirtschaftlichen Gesamtlage geben sollen.

Die Zentralbanken Chiles und Großbritanniens etwa nutzen Daten von Google Analytics, um auf der Grundlage von relevanten Suchbegriffen zum Thema Arbeitslosenunterstützung die Zahl der Arbeitssuchenden zu prognostizieren. Die spanische Zentralbank leitet aus Suchanfragen die Zahl ausländischer Touristen ab, die rund zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmachen. Und die US-Notenbank Fed prognostiziert anhand der Google-Daten das Wachstum auf dem Wohn- und Immobilienmarkt. Die Fed führt sogar Stimmungsanalysen durch, um die Kauflaune der Konsumenten zu quantifizieren. Google hilft als Konjunkturbarometer.

Saisonbereinigte Daten

Doch es gibt auch Zweifel an der Methodik der Modellberechnungen. Der Volkswirtschaftsprofessor Roland Döhrn vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Essen schreibt in seinem Buch "Konjunkturdiagnose und -prognose", dass die Aussagekraft von Google Trends begrenzt sei. Zwar liegen die Daten wochenweise vor, was eine bessere Kurzfristprognose der Konsumausgaben privater Haushalte als direkte Konsumentenbefragungen erlaube. Doch viele Suchanfragen etwa nach dem Begriff "Parfum", die vor Weihnachten stark zunehmen, wiesen eine starke Saisonalität auf. Die Daten müssten daher saisonbereinigt werden.

Hinzu kommt, dass Google nur die relative Häufigkeit von Suchbegriffen, nicht aber die absolute Zahl anzeigt. Viel schwerer wiegt noch das methodische Problem, das nicht jede Suchanfrage nach "Parfum" auch ein Kaufinteresse signalisiert. Als im September 2006 der Film Das Parfum in den Kinos anlief, stiegen die Suchanfragen sprunghaft an. Das zeigt, wie schwierig Verfahren zur Klassifizierung von Suchbegriffen sein können. Der Algorithmus weiß nicht, ob der Nutzer nach Düften oder Kinofilmen sucht.

Google-Grippe

Das Problem zeigte sich auch beim Projekt Google Flu Trends, bei dem Algorithmen bis zu 50 Prozent mehr Grippefälle vorhersagten, als tatsächlich auftraten. Der Fehler war, dass die Daten gewissermaßen selbst infiziert waren. Nicht jeder, der nach Grippesymptomen googelt, ist tatsächlich krank. Und nicht jeder, der an einer Grippe leidet, googelt. Suchanfragen können bei der volkswirtschaftlichen Analyse daher nur eine ergänzende und keine eigenständige Datenquelle sein. (Adrian Lobe, 25.1.2018)