Martin Selmayr, höchster Beamter der EU-Kommission.

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Die Ernennung des Kabinettschefs von EU-Präsident Jean-Claude Juncker, Martin Selmayr, zum Generalsekretär der EU-Kommission schlägt hohe Wellen. Der 47-jährige Deutsche ist vor einer Woche durch einstimmigen Beschluss der Kommissare bestätigt worden. Er soll ab 1. März den Dienst als höchster Beamter der EU-Zentralbehörde antreten. Nun werden in der Behörde wie auch im EU-Parlament Stimmen lauter, bei dieser Personalie könnte politisch geschoben, Selmayr gegenüber anderen Kandidaten bevorzugt worden sein.

Einzelne Kommissare fühlen sich überrumpelt. Die Grünen fordern eine Prüfung im Haushaltskontrollausschuss: Die Stelle sei in einer "Nacht-und-Nebel-Aktion" besetzt worden. Ein Generalsekretär hat Durchgriff auf alle Abteilungen der Kommission, an ihm führt auch für die politische Führung kein Weg vorbei.

Seltsame Vorgänge bei Nachbesetzung

Formal wäre die Kür des Juristen Selmayr kein Problem, obwohl er erst 2004 in die Kommission eingetreten ist. Das Regelwerk sieht in dringenden Fällen vor, dass der Präsident "im Interesse der Behörde" einen Kandidaten ohne Vorverfahren vorschlagen kann. So einfach lief es aber nicht. Denn bis vor einer Woche war ein Rücktritt des bisherigen Generalsekretärs Alexander Italianer, drei Jahre vor Erreichen des Pensionsalters, offiziell kein Thema. Am Dienstag bestätigte ein Kommissionssprecher, dass selbst der fürs Personal zuständige Kommissar Günther Oettinger erst am Tag vor der Nachfolgeentscheidung zugunsten Selmayrs vom Rücktrittswunsch Italianers erfahren habe.

Das wirft Fragen auf, wieso Selmayr sich ab 31. Jänner einem Bewerbungsverfahren stellte, wie es für die Topjobs in der Kommission Bedingung ist. Kurz davor war die Stellvertreterin Italianers mit einem anderen Posten betraut worden; Selmayr bewarb sich um ihre Stelle, bestand alle Prüfungen, das letzte Hearing mit Oettinger war einen Tag vor der entscheidenden Kommissionssitzung. Kurz vor Beginn reichte Italianer bei Juncker seinen Rücktritt ein. Selmayr wurde "binnen Minuten", wie Libération schrieb, zuerst als Vize-, dann als Generalsekretär nominiert. Die Kommissare waren überrascht. Selmayr dürfte als Insider viel früher als sie gewusst haben, dass der Generalsekretärsposten frei werden wird, was er selbst in "Le Soir" nun bestätigte: Juncker habe ihn bereits vor Weihnachten und – dringlicher – erneut Anfang Jänner über die Jobperspektiven in Kenntnis gesetzt. (Thomas Mayer aus Brüssel, 27.2.2018)