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Die Eisenbahner sehen wegen der geplanten Eingriffe rot: Bereits im März wurde gestreikt, jetzt dehnt die Gewerkschaft die Proteste aus.

Foto: AP / François Mori

Als wäre nichts: Lächelnd, händeschüttelnd startete Emmanuel Macron im Nobelbadeort Le Touquet (Nordfrankreich) am Montag zu seinem Osterjogging. Vielleicht wollte er der Nation damit auch bedeuten, dass es ab sofort besser sei, sich zu Fuß vorwärtszubewegen. Dienstag und Mittwoch wird der Verkehr in Frankreich weitgehend zum Erliegen kommen. Bei der Staatsbahn SNCF dürften laut ihren Prognosen vier Fünftel der Züge ausfallen. Dasselbe gilt für den TGV, der auf Hochgeschwindigkeitslinien wie Paris-Lyon- Marseille die Hauptschlagadern des Landes versorgt.

Verschlimmert wird die Lage durch einen neuen Streik des Air-France-Personals. Die Flüge der nationalen Airline werden reihenweise ausfallen. Millionen von Arbeitspendlern werden deshalb gezwungen sein, auf ihr Privatfahrzeug auszuweichen. Die Verkehrsplaner befürchten Monsterstaus auf den meisten Autobahnzubringern und städtischen Einfallachsen. Einschlägige Webseiten, die Mitfahrgelegenheiten bieten, verzeichnen Rekordumsätze, genauso wie der Fahrradverkauf.

Pension mit 52 Jahren

Die massive Streikbefolgung hat ihren Grund. Macron macht sich an das Heiligste der französischen Sozialrechtes – das Eisenbahnerstatut. Es verschafft den 140.000 "cheminots" einen lebenslangen Kündigungsschutz, 50 Urlaubstage und eine Pension mit 52 Jahren. Das geht ins Geld: Die SNCF steht mit 54,5 Milliarden Euro in der Kreide und ist schlecht aufgestellt für die Marktöffnung, die Brüssel für 2020 angeordnet hat.

Macron will aus diesem Grund nicht nur das Personalstatut bei Neueinstellungen aufheben, sondern die Bahn auch in eine Aktiengesellschaft verwandeln. Damit würde sie die finanzielle Staatsgarantie verlieren und müsste sich auf eigene Beine stellen. Die Gewerkschaften CGT, SUD, CFDT und Unsa sehen darin den "Beginn einer Bahnliberalisierung wie in Großbritannien". Sie befürchten auch die Schließung von kleinen, defizitären Regionallinien. Damit sucht die tonangebende CGT breite Kreise anzusprechen und heischt um Sympathie für einen Streik, den eine knappe Umfragemehrheit als Besitzstandswahrung privilegierter Bahnbediensteten ablehnt.

Neues Streikkonzept

Doch das Blatt kann sich noch wenden. Um das Land nicht wie 1995 wochenlang lahmzulegen, befolgen die Gewerkschaften ein neuartiges Konzept: Sie streiken jeweils zwei Tage, gefolgt von drei Arbeitstagen. Die regelmäßig aufgeschnürten Streiktage – daher der französische Fachterminus "grève perlée", Perlenstreik – dauern bis am 28. Juni, wenn die Bahnreform im Parlament verabschiedet werden soll. Ob dieses Vorgehen populär sein wird, ist fraglich. Während drei jeweiligen Arbeitstage wird der Bahnverkehr jedenfalls kaum normal ausfallen; auf der Webseite der SNCF lassen sich dafür schon jetzt nur noch ausnahmsweise Tickets kaufen.

Die Regierung hat am Osterwochenende ein gewisses Einlenken signalisiert. Entgegen früheren Ankündigungen verzichtet sie darauf, die Bahnreform teilweise per Dekret – das heißt unter Umgehung der Parlamentsabstimmungen – in Kraft zu setzen. Auch vertagt sie die Marktöffnung um mehrere Jahre: Ausländische oder private Betreiber werden zum Beispiel im Pariser Nahverkehr bis 2033 warten müssen, um Zutritt zum französischen Schienennetz zu erhalten. Will ein "cheminot" zu dieser Privatkonkurrenz wechseln, behält er von Gesetzes sämtliche SNCF-Konditionen, wie Elisabeth Borne erklärte.

Ob sie den Streik damit eindämmt? Bei den zu allem entschlossenen "cheminots" dürften diese frühen Signale eher als Schwäche ausgelegt werden. Die Regierung will aber offensichtlich einen Flächenbrand vermeiden. Denn neben SNCF und Air France streiken in Frankreich diese Woche auch die Müllabfuhr und der Energiesektor. Vereinzelt wird mit Stromunterbrechungen gerechnet. (Stefan Brändle aus Paris, 3.4.2018)