Der erste Tag des Streiks war laut Gewerkschaften erst der Anfang. Bis Ende Juni stellt man sich auf einen Arbeitskampf ein.

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In französischen Bahnhöfen herrschte am Dienstag gähnende Leere – oder ein unglaubliches Gedränge, wenn doch einmal ein Vorortezug einfuhr, in dem Arbeitspendler wie Sardinen feststeckten. An der Gare de Lyon in Paris sprangen Ankommende über die Geleise; andere balancierten sich über schmale Bretter auf andere Bahnsteige, als wären sie auf dem Zirkusseil.

Diese Bilder aus dem größten französischen Bahnhof illustrierten ein landesweites Verkehrschaos. Die allermeisten Verbindungen fielen aus. Nur jeder achte TGV-Zug verkehrte. Dazu fiel bei Air France wegen eines zusätzlichen Streiks ein Drittel der Flüge aus. Auf den Straßen kam es dafür zu Monsterstaus. Allein im Großraum Paris bildeten sich am Morgen Autokolonnen von insgesamt 420 Kilometer Länge. Und das, obwohl viele Reisende Mitfahrdienste wie Blablacar oder Low-Cost-Busse wie Flixbus benützten.

In den Internetforen wurden Fragen diskutiert wie: "Hat man das Recht, zu Hause zu bleiben und nicht arbeiten zu gehen?" (Antwort: nein) oder "Kann der Arbeitgeber mein Salär für diesen Tag zurückhalten, wenn ich nicht zur Arbeit erscheine?" (ja). Viele Firmen richten allerdings für ihre Büroangestellten das "télétravail" ein – das Arbeiten von zu Hause aus.

Erst der Anfang

Denn dieser erste Streiktag, den die Hälfte der 140.000 "cheminots" und drei Viertel der Lokführer befolgten, war erst der Anfang. Die vier wichtigsten Gewerkschaften CGT, SUD, CFDT und Unsa stellen sich auf einen langen Arbeitskampf bis Ende Juni ein. Auf jeweils zwei Streiktage lassen sie drei Arbeitstage folgen. Am Mittwoch wird ebenfalls gestreikt, dann wieder am Sonntag und Montag. Damit wollen die Eisenbahner die Lohneinbußen in Grenzen halten und die Regierung von Präsident Emmanuel Macron zermürben.

Der Einsatz in dieser politischen Machtprobe ist hoch. Die Gewerkschaften brauchen nach ihrem flauen und vergeblichen Widerstand gegen die Arbeitsmarktreform von letztem Herbst unbedingt einen Erfolg, um nicht als zahnlos zu gelten. Für Macron wiederum geht es um den gesamten Reformkurs seiner fünfjährigen Amtszeit.

Eisenbahnerstatut soll abgeschafft werden

Seine für Ende Juni geplante Bahnreform schafft das Eisenbahnerstatut mit all seinen Vorteilen für Neueintretende ab: lebenslange Jobgarantie, Rente mit 52, materielle Vorteile, 50 Urlaubstage. Die Eisenbahngesellschaft SNCF soll zudem in eine Aktiengesellschaft verwandelt werden; damit verlöre sie die Staatsgarantie und müsste namentlich für ihre horrende Verschuldung von über 50 Milliarden Euro selber aufkommen.

Verkehrsministerin Elisabeth Borne erklärte am Dienstag, die SNCF werde keinesfalls privatisiert. Die von der EU verlangte Marktöffnung bis 2020 werde in einzelnen Fällen – etwa beim Nahverkehr im Großraum Paris – bis 2033 aufgeschoben.

Mit solchen Konzessionen sucht die Regierung Druck wegzunehmen und einen sozialpolitischen Flächenbrand zu verhindern. Neben SNCF und Air France streikten am Dienstag in einzelnen Städten auch die Müllabfuhr und die Energiedienste.

Streik von Mehrheit in Bevölkerung abgelehnt

Die Ansteckungsgefahr scheint fürs Erste beschränkt, zumal der Bahnstreik von einer knappen Bevölkerungsmehrheit abgelehnt wird. In einer Umfrage bezeichneten 46 Prozent der Befragten die Bahnreform als "ungerecht", was im reformresistenten Frankreich eher wenig ist. "Niemand kann derzeit absehen, wie es ausgehen wird", meinte der Verkehrsexperte Gilles Dansart am Dienstag.

Diverse Medien sagen einen "Abnützungskrieg" voraus. Abgeordnete der Macron-Partei "La République en marche" berichten, Premierminister Edouard Philippe habe ihnen eingebläut, zusammenzuhalten und "eine römische Schildkröte zu bilden, statt wie einzelne Sniper herumzuschießen".

Macron meinte zu einem Bürger, der ihm eine Durchhalteparole zurief: "Haben Sie keine Sorge!" Genau das haben aber viele Franzosen angesichts eines Streiks, der mit Unterbrechungen drei Monate dauern soll. (Stefan Brändle, 3.4.2018)