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Nach Jahrzehnten des Ansparens für den Lebensabend wechseln Pensionisten die Seite – und zehren das Ersparte sukzessive wieder auf.

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Wenn es um die Zinsentwicklung geht, blicken die meisten Anleger gebannt auf Kennzahlen wie Wirtschaftswachstum, Inflation oder Arbeitslosigkeit – und darauf, wie die Notenbanken diese volkswirtschaftlichen Datensätze interpretieren. Gemeinhin wird derzeit erwartet, dass die US-Notenbank weiterhin schrittweise die Leitzinsen anhebt und die EZB nächstes Jahr beginnen wird nachzuziehen. Das geht durchaus mit den Erwartungen des deutschen Bankhauses Metzler d'accord, wenngleich diese einem anderen Zugang zur langfristigen Entwicklung von Zinsen und Renditen folgen.

Denn wie kommt es, dass in fast allen Industriestaaten das Zinsniveau extrem niedrig ist, in den meisten Schwellenländern mit Ausnahme Chinas aber deutlich höher liegt? Demografie lautet das Zauberwort, mit dem die Metzler-Experten diese Unterschiede erklären. Denn in den westlichen Staaten und China ist das Durchschnittsalter der Bevölkerung hoch, liegt in den Emerging Markets aber deutlich tiefer.

Daher führen die Ökonomen des Bankhauses die nunmehr vier Jahrzehnte andauernde Phase tendenziell sinkender Zinsen, in der etwa in Deutschland die Verzinsung zehnjähriger Bundesanleihen von 9,3 auf nunmehr rund ein halbes Prozent gesunken ist, zu einem großen Teil auf die Bevölkerungsentwicklung zurück.

Auf die Sparschwemme ...

Angetrieben wurde diese Entwicklung hauptsächlich von der Generation der Babyboomer, also den extrem geburtenstarken Jahrgängen in fast allen Industrieländern nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Sie fanden gemäß den Metzler-Experten hervorragende Bedingungen zum Ansparen für ihren Lebensabend vor.

Während ihres Erwerbslebens kamen zwei Babyboomer auf bloß einen Erwerbslosen, den sie mitfinanzieren mussten – diese Überschüsse führten zu einer "Sparschwemme", wie es die Metzler-Experten bezeichnen. Dieser Flut an Kapital stand nur vergleichsweise geringe Nachfrage durch Investitionsvorhaben gegenüber. Die Folge: Die Zinsen als Preis für geliehenes Geld sanken über viele Jahrzehnte.

Doch zuletzt begann sich das Blatt zu wenden, da die Babyboomer sich bereits im Ruhestand befinden oder an der Schwelle zur Pension stehen. "Um das Jahr 2015 gab es – von vielen unbemerkt – einen Wendepunkt", heißt es in der Metzler-Studie. Sprich, seitdem müssen Erwerbstätige in den Industriestaaten tendenziell wieder mehr Menschen ohne Erwerbseinkommen mittragen, was ihnen weniger finanziellen Spielraum zum Ansparen lässt als den Babyboomern zuvor.

Mit dem Pensionsantritt hören Menschen in der Regel nicht nur auf, Geld auf die Seite zu legen, sondern beginnen, das Ersparte sukzessive aufzuzehren. Das bedeutet in weiterer Folge, dass sich das Angebot an Sparkapital in den Industriestaaten tendenziell verringert, was dessen Preis, also den Zins, wieder sukzessive nach oben treiben sollte.

... folgt eine Sparklemme

"Der kommende Wandel von einer Sparschwemme zu einer Sparklemme lässt sich aus einem zunehmend ungünstigeren Verhältnis der Erwerbsbevölkerung zu Erwerbslosen ableiten", so die Ökonomen des Bankhauses Metzler. Es spricht aus ihrer Sicht immer mehr dafür, dass der langfristige Zinstrend künftig eher auf- denn abwärtsgerichtet sein wird. Wie stark dieser Auftrieb ausfallen wird, darüber halten sie sich zwar bedeckt, da die Zinsentwicklung auch von anderen Faktoren beeinflusst werde – etwa wenn Regierungen das Pensionsantrittsalter erhöhen sollten. Eines ist aus Sicht der Ökonomen aber sehr wahrscheinlich: "Der jahrzehntelange Rückgang der Nominalrenditen am Anleihenmarkt dürfte schon bald Geschichte sein." (Alexander Hahn, 10.6.2018)