Mit indischen Eigentümern im Rücken kann Jaguar leicht mit Abwanderung aus Großbritannien drohen

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London/Wien – Britische Konzerne erhöhen den Druck auf ihre Regierung. Nach Airbus, BMW und Siemens warnte am Donnerstag auch der Autobauer Land Rover Jaguar vor einem "schlechten" Brexit-Deal und drohte mit Rückzug vom Vereinigten Königreich (UK). Im Fall eines "harten Brexits" drohten Gewinneinbußen in Milliardenhöhe, warnte Ralph Speth, Vorstandschef des Luxusautobauers, der seit 2008 zum indischen Industriekonglomerat Tata Motors gehört.

Ein "schlechter Brexit" – mit Handelsbarrieren zwischen Großbritannien und seinen größten Handelspartnern – könne für Jaguar Land Rover Gewinneinbußen von mehr als 1,2 Milliarden Pfund (1,36 Mrd. Euro) pro Jahr bedeuten. Das "Herz und die Seele" von Jaguar Land Rover lägen im Vereinigten Königreich. "Allerdings stehen wir und unsere Partner in der Lieferkette vor einer unberechenbaren Zukunft, wenn die Brexit-Verhandlungen keinen freien und reibungslosen Handel mit der EU aufrechterhalten", so der deutsche Manager. Man benötige "dringend" größere Sicherheit, "um weiter erheblich im Vereinigten Königreich zu investieren und unsere Zulieferer, Kunden und 40.000 in Großbritannien ansässige Beschäftigte abzusichern."

Investitionen prüfen

Andernfalls werde man das 80 Milliarden Pfund schwere "Investitionsprofil" (binnen fünf Jahren), "drastisch anpassen", warnte Speth. 2017 verkaufte Jaguar Land Rover 621.000 Fahrzeuge – rund 80 Prozent davon außer Landes. Das europäische Festland gehört zu den wichtigsten Absatzmärkten.

Alarm schlug auch die größte britische Gewerkschaft. Sie wirft der Regierung in London unter Premierministerin Theresa May vor, mit zehntausenden Arbeitsplätzen "russisches Roulette" zu spielen. Die Regierung solle endlich einen Brexit-Deal aushandeln, "der zum Vorteil der arbeitenden Menschen in diesem Land ist", appellierte Gewerkschaftschef Len McCluskey an die konservativen Tories.

Ihre Geduld überstrapaziert sehen auch die britischen Handelskammern. "Die Wirtschaft war geduldig", sagte der Chef des britischen Handelskammerverbands BCC, Adam Marshall. Nun sei das Fass am Überlaufen.

Krisensitzung am Freitag

"Weniger als neun Monate vor dem Brexit-Tag sind wir den Antworten, die Unternehmen brauchen, wenig näher als am Tag nach dem Referendum", sagte Marshall. Von einer BCC-Liste mit 24 wichtigen Fragen zum Brexit seien gerade einmal zwei beantwortet. Viele Unternehmen dächten bereits über Alternativen zu Investitionen in Großbritannien nach. Zuvor hatten Airbus, BMW und Siemens gewarnt, sie müssten für das Schlimmste planen, sollte nicht bald ein vernünftiger Plan stehen.

Die Regierung ist in dieser Frage gespalten. Am Freitag will May ihr zerstrittenes Kabinett zu einem wichtigen Treffen zum Brexit versammeln, der gemäß Volksentscheids vom Juni 2016 bereits am 29. März 2019 vollzogen werden soll. Kernstück sind Handels- und Zollabkommen mit der EU. Dabei kommt May kaum voran. In der Kabinettssitzung könnte es laut britischen Medien zum Showdown zwischen Brexit-Hardlinern und EU-freundlichen Kräften in der Regierung kommen. Bei den Zöllen tendiere May zur Variante "maximale Erleichterung": Dabei würden EU-Zölle beibehalten und Grenzkontrollen – mit Blick auf Irland und die britische Provinz Nordirland – vermieden werden

Kurz will notfalls länger verhandeln

Findet das Kabinett erneut keinen Konsens, der auch in Brüssel besteht, steigt die Gefahr für einen "harten Brexit" und Großbritannien würde ohne Abkommen aus der EU schlittern. Damit wäre auch die eigentlich schon verabredete Übergangsphase von knapp zwei Jahren hinfällig.

EU-Ratspräsident Bundeskanzler Sebastian Kurz schließt nicht aus, dass die stockenden Brexit-Verhandlungen im Notfall verlängert werden könnten. Falls eine Einigung über die Bedingungen nicht rechtzeitig erzielt werde, sei es gut, weiterzuverhandeln, sagte der ÖVP-Politiker am Donnerstag in Wien.

Einen klaren Deal, und zwar bis zum Sommer, hatten zuvor auch der deutsch-französisch-spanische Luftfahrt- und Rüstungskonzern Airbus und der bayerische Elektromulti Siemens gefordert. Ein Ausstieg aus der EU, mit dem mehrere Minister drohen, müsse mit Rückzug aus Großbritannien beantwortet werden. Bis Sommer müsse Klarheit herrschen, sonst sei man gezwungen, Alternativpläne zu entwickeln, warnte BMW, die mit rund 8.000 Beschäftigten in UK mit den Marken Mini und Rolls-Royce präsent sind. Siemens beschäftigt rund 15.000 Mitarbeiter in Großbritannien. (dpa, Reuters, ung, 5.7.2018)