Was hat mehr Gewicht, Umweltschutz oder neue Investitionen in Österreich? Die türkis-blaue Regierung will neue Akzente setzen und überlange Genehmigungsverfahren künftig verhindern.


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Die Regierung macht ernst mit der angekündigten Beschleunigung von Genehmigungsverfahren für Großprojekte. Mit dem am Donnerstagnachmittag vom Wirtschaftsministerium in Begutachtung versandten Gesetzentwurf soll offenbar ein Turbo gezündet werden. Behörden haben demnach für Umweltverträglichkeitsprüfungen nur noch eineinhalb Jahre Zeit – sofern es sich um für den Wirtschaftsstandort relevante und im öffentlichen Interesse liegende Projekte wie Straßen- oder Bahntunnels, Autobahnen, Mülldeponien oder andere Großverfahren handelt. Der Ablauf erfolgt in mehren Stufen.

  • Standortentwicklungsbeirat Welches Projekt das Gütesiegel "öffentliches Interesse" bekommt, darüber befindet die Bundesregierung per Ministerratsbeschluss. Sie stützt sich dabei auf die Expertise eines – im Ministerialentwurf nicht näher bestimmten – fünfköpfigen Expertenbeirats, dessen Mitglieder von Bundeskanzleramt, Wirtschafts-, Verkehrs-, Sozial- und Landwirtschaftsministerium nominiert werden. Dieser ehrenamtlich bestellte Standortentwicklungsbeirat, der notabene der Amtsverschwiegenheit unterworfen ist, prüft anhand der wesentlichen Eckpunkte des geplanten Projekts, ob es die Kriterien für Standortrelevanz erfüllt.
    Ein Rechtsmittel gegen diese Höherstufung eines Projektes ist im Gesetzentwurf ebenso wenig vorgesehen wie Akteneinsicht oder eine Auskunftspflicht, auf welcher fachlichen Grundlage die Entscheidung erfolgt. Es entscheidet allein die Bundesregierung, welche Großinvestition Arbeitsplätze schafft, für den Wirtschaftsstandort gut ist, also im öffentlichen Interesse liegt, und Vorrang bekommen soll im Verwaltungsverfahren.
  • Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) Der gewünschte Verfahrensturbo setzt bei der im Regelfall aufwendigen Umweltprüfung an. Ist das Gütesiegel einmal beschieden, sollen die zuständigen Behörden nach Wunsch der Regierung künftig nur noch ein Jahr Zeit haben für ein UVP-Verfahren, müssen nach der mündlichen UVP-Verhandlung auch keine Tatsachen oder Beweismittel seitens Anrainern oder Projektgegnern mehr zulassen. Wird ein solcher Genehmigungsantrag nicht binnen eines Jahres ab Kundmachung des Vorhabens zurück- oder abgewiesen, "ist das standortrelevante Vorhaben gemäß UVP-Gesetz 2000 genehmigt" und binnen acht Wochen ein Bescheid auszufolgen. "Die Behörde muss also nichts tun, und am Schluss ist das Verfahren automatisch genehmigt", kritisiert der auf Umwelt- und Verwaltungsrechts spezialisierte Rechtsanwalt Andreas Manak. "Eine Genehmigungsautomatik, das geht gar nicht", sagt auch der emeritierte Verfassungsrechtsprofessor Heinz Mayer. In Kombination mit abgespeckten Beschwerdemöglichkeiten sei das EU- und verfassungsrechtswidrig.

  • Beschwerdeverfahren Für die auf einen UVP-Bescheid üblicherweise folgenden Beschwerden bei Landesverwaltungsgerichten oder Bundesverwaltungsgericht sieht das Standortentwicklungsgesetz Sonderbestimmungen vor. Wohl können die Gerichte künftig in der Sache selbst entscheiden (im Fall, dass eine Behörde dies unterlassen hat). Eine Beschwerde gegen einen Bescheid soll aber nur zulässig sein, "wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt", heißt es in §12 des Gesetzentwurfs. "Ein Projekt hat lauter negative Gutachten, die Frist läuft ab, und ein schlechtes Projekt ist genehmigt. Das kann nicht sein", warnt Mayer.
    Sind etwa für eine Mülldeponie Schadstoffemissionen falsch berechnet oder liegen einem Bahntunnel völlig unrealistische Verkehrsprognosen zugrunde, bliebe dies unberücksichtigt, warnt ein Verwaltungsrichter, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. "Es bliebe ohne Folgen, weil dies keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung darstellt, sondern immer eine Einzelfallentscheidung ist."
  • Aus für Öffentlichkeit Als Schikane für Anrainer und Umweltorganisationen kritisiert wird weiters, dass das Verwaltungsgericht bei Beschwerden gegen einen Bescheid keine öffentliche mündliche Verhandlung mehr abhalten muss. Auch damit werde das Recht auf ein faires Verfahren massiv eingeschränkt.

Kommen nach der bis 17. August laufenden Begutachtung keine Änderungen, sind Klagen gegen das neue Gesetz gewiss. Mayer und Manak sehen gute Chancen beim Verfassungsgerichtshof, weil das Beschwerderecht eingeschränkt und der Gleichheitsgrundsatz verletzt wird. Auch würden Wirtschafts- über Umweltinteressen gestellt.

"Mit diesem Gesetz sind in nächster Zeit keine Projekte mehr genehmigungsfähig", sagt Anwalt Wolfram Proksch, der Kläger gegen die dritte Flughafenpiste vertritt. Denn kein Projekt könne nach dem neuen Verfahren rechtskonform abgehandelt werden. "Beim ersten Anlassfall wird eine Klagsflut auf Verfassungsgerichtshof, Europäischen Gerichtshof und dem Europäischen Gerichtshof für zuommen", sagt Proksch. "Dafür muss man eigentlich dankbar sein." (Luise Ungerboeck, 6.7.2018)