Martha Bißmann fühlte sich von ihrer Partei gemobbt. Mobbing unterliegt jeweiligen Perspektiven und Wahrnehmungen.

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Die aktuellen Fallbeispiele von Martha Bißmann, die der Liste Pilz "systematisches Mobbing" vorwirft und sich durch die Androhung des Ausschlusses aus dem Klub psychisch unter Druck gesetzt fühlt, sowie von Sebastian Bohrn Mena, der sich in seiner Existenz und Reputation bedroht fühlt, lenken das öffentliche Interesse auf ein sehr relevantes Thema unserer Gesellschaft und Zeit – nämlich Mobbing.

Mobbing als Form des Psychoterrors mit dem Ziel, Personen, ob am Arbeitsplatz, in der Schule oder in anderen Bereichen, zu schikanieren und seelisch zu verletzen. Das Problem bei diesem Thema ist, dass – fernab von ganz bewusst gesetzten negativen Handlungen und antisozialen Verhaltensweisen anderen gegenüber – Mobbing auch eine Frage der jeweiligen Perspektive und der eigenen Wahrnehmung ist.

Wenn Konfliktparteien aufeinandertreffen und jede Seite sich im Recht sieht, ist es oft ohne genauere Faktenbasis schwer, zwischen Ursache und Wirkung sowie zwischen Täter und Opfer eine klare Unterscheidung zu treffen. In vielen Fällen sieht sich so mancher Täter selbst als Opfer und rechtfertigt somit seine Aktionen anderen Menschen gegenüber. Die menschliche Wahrnehmung ist subjektiv und keine allein objektiv messbare Größe. Hier spielen Interpretationen sowie Missverständnisse in der Interaktion frei nach dem Kommunikationswissenschafter Paul Watzlawick eine große Rolle. Unabhängig davon gelten in Konfliktsituationen ganz andere Spielregeln, und nicht ohne Grund werden zur Auflösung ebendieser professionelle Mediatoren eingesetzt, um den Gordischen Knoten zu lösen.

Kognitive Wende

In den 60er- und 70er-Jahren kam es in der Psychologie als Wissenschaft zur kognitiven Wende, in der zwischen reinen Reiz-Reaktions-Mustern eine zwischengeschaltete kognitive Informationsverarbeitungsebene angenommen wurde und die die rein behavioristischen Annahmen infrage stellte. Der Behaviorismus sieht das Gehirn lediglich als eine Art "Blackbox", deren innere Prozesse nicht von Interesse sind. Demnach wird Verhalten als Ergebnis von verstärkenden und abschwächenden Faktoren aufgefasst. Das Bewusstsein als auch der freie Wille seien Illusionen, und menschliches Verhalten sei ausschließlich auf gelernte Reaktionen auf Reize aus der Umwelt zurückzuführen.

Noam Chomskys Kritik an B. F. Skinners Buch "Verbal Behavior" und dessen radikalbehavioristischem Ansatz, der seiner Meinung nach das Phänomen Sprache nicht erklären könne und den Gegenstand über Gebühr vereinfache, war einer der Auslöser der Wende vom Behaviorismus zum Kognitivismus. Eng verbunden mit Chomskys Forschungen zum Sprachinstinkt nahm Marc Hauser, ein ehemaliger Evolutionsbiologe der Harvard-Universität, an, dass wir ebenso mit gewissen Moralinstinkten geboren werden.

Wo wir wieder beim Thema Mobbing wären: Der Homo sapiens ist kein reines Reiz-Reaktions-Wesen, das in einer klaren computeranalogen Dichotomie immer richtig zwischen Gut und Böse oder Richtig und Falsch unterscheiden kann. Die Perzeption von sozialen Prozessen wie zwischenmenschlichen Konflikten beinhaltet eben viele Fehlerquellen. Hier können auch neueste Erkenntnisse aus der Wahrnehmungspsychologie und dem damit verbundenen Feld der Psychophysik bis hin zu anderen neurowissenschaftlichen Ansätzen keine Patentrezepte für die Auflösung von Konflikten liefern. Eines ist aber klar: Konfliktsituationen sind immer eine Frage des Bewusstseins und des Selbst-"Bewusstseins".

Selbstwert und Selbst-"Bewusstsein"

Heute geht es mehr denn je um die Entwicklung eines gesund gewachsenen Selbstempfindens und Selbstwertgefühls. Hier spielen emotionale und soziale Intelligenz eine Rolle – sprich, wie detektiere ich meine eigene Stimmungs- und Emotionslage richtig und wie gehe ich auf der Basis einer stabilen Persönlichkeit mit anderen um. In Zeiten der großen Egos und der leider oft damit verbundenen geringen Substanz auf menschlicher und fachlicher Ebene entstehen schnell Konflikte und Reibereien. Kaum jemand ist im Sinne der sozialen Intelligenz bereit, einen Schritt zurückzutreten, denn dies könnte als Zeichen von Schwäche gedeutet und in der Folge von anderen ausgenutzt werden.

Daher gilt in unserer Gesellschaft das "The winner takes it all"-Prinzip. Jenes ist aber äußerst kurzsichtig. Selbst die scheinbar unterlegene Konfliktpartei bekommt vielleicht die Chance, dem Kontrahenten, ob im Hintergrund oder mit offenem Visier, zu schaden. So setzt sich der Teufelskreis eines immer schlechter werdenden sozialen Klimas fort. Ein Ende ist momentan leider (noch) nicht in Sicht. (Daniel Witzeling, 26.7.2018)