Bei dem Anschlag wurden zehn Menschen verletzt.

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Berlin – Der Düsseldorfer Sprengstoffanschlag auf osteuropäische Sprachschüler bleibt auch nach 18 Jahren ungeklärt: Nach einem Indizienprozess sprach das Landgericht Düsseldorf am Dienstag einen 52-jährigen Rechtsradikalen vom Vorwurf des zwölffachen Mordversuchs frei.

Das Gericht habe "erhebliche Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten", begründete der Vorsitzende Richter Rainer Drees die Entscheidung. Die Staatsanwaltschaft kündigte unmittelbar nach der Urteilsverkündung Revision beim Bundesgerichtshof (BGH) an. Bestürzt reagierte der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, auf den Freispruch. Er könne das Urteil nicht nachvollziehen, doch respektiere er die Entscheidung des Gerichts.

Zehn Verletzte

Der Düsseldorfer Anschlag vom 27. Juli 2000 hatte bundesweit Entsetzen und eine Debatte über rechte Gewalt ausgelöst. Der Sprengsatz war am Düsseldorfer S-Bahnhof Wehrhahn explodiert, als eine Gruppe von zwölf osteuropäischen Sprachschülern überwiegend jüdischen Glaubens den Tatort passierten. Zehn Menschen wurden verletzt, eine junge Frau verlor ihr ungeborenes Kind.

Der als Neonazi bekannte Angeklagte Ralf S. war bereits unmittelbar nach dem Attentat ins Visier der Ermittler gerückt. Die Polizei konnte ihm die Tat aber nicht nachweisen.

S. soll sich mit Anschlag gebrüstet haben

Im vergangenen November erhob die Staatsanwaltschaft jedoch Anklage gegen den früheren Militariahändler – zuvor hatte ein früherer Mithäftling berichtet, S. habe sich mit dem Anschlag gebrüstet. S. bestritt während des Düsseldorfer Prozesses vehement jede Beteiligung an dem Attentat, bei dem am Zugang zum S-Bahnhof ein selbstgebauter Sprengsatz in einem Plastiksack ferngezündet worden war.

Mit dem Freispruch von S. folge die Strafkammer dem Schlussantrag der Verteidigung. Nach sechsmonatiger Prozessdauer und der Vernehmung von 78 Zeugen nannte der Vorsitzende Richter die Indizien gegen S. "nicht ausreichend, um den Angeklagten zu überführen". Die Staatsanwaltschaft hatte dagegen lebenslange Haft gefordert.

In der Urteilsbegründung bescheinigte Drees dem 52-Jährigen, den das Gericht wegen fehlenden dringenden Tatverdachts im Mai aus der Untersuchungshaft entlassen hatte, eine "rechtsradikale Gesinnung" gepaart mit einer ausgeprägten "Neigung zur Selbstinszenierung". S. habe während des gesamten Verfahrens gelogen – mit seinem "Hang zum Lügen und Fabulieren" habe er keinen Beitrag zur Aufklärung der Vorwürfe geleistet.

"Unbrauchbare" Zeugenaussagen

Die Aussagen zentraler Belastungszeugen in dem Prozess nannte der Richter "unbrauchbar", "unzulänglich" und "nicht belastbar". In dem Verfahren waren zwei frühere Mitgefangene von S. vernommen worden, nach deren Angaben der Angeklagte sich zu dem Wehrhahn-Anschlag bekannt haben soll. "Beiden Zeugen konnten wir nicht glauben", sagte der Vorsitzende Richter.

Auch gebe es keine Belege dafür, dass der Exsoldat S. überhaupt über die technischen Fähigkeiten zum Bau des verwendeten Sprengsatzes verfügt habe. Drees betonte, mit dem Freispruch habe die Strafkammer keineswegs ein leichtfertiges Urteil gefällt. "Wir haben es uns nicht leicht gemacht, weder bei der Entscheidung selbst noch auf dem Weg dahin."

Auch habe die Staatsanwaltschaft aufgrund der damaligen Indizienlage zu Recht Anklage gegen S. erhoben, sagte Drees. Dass der Angeklagte nach der Beweisaufnahme nun freigesprochen werden müsse, sei auch "keine Niederlage" für die Staatsanwaltschaft.

Jedenfalls wird sich auf Antrag der Düsseldorfer Strafverfolger demnächst der BGH in Karlsruhe mit dem Freispruch für S. befassen. Nach der zweistündigen mündlichen Urteilsbegründung kündigte der Düsseldorfer Oberstaatsanwalt Ralf Herrenbrück am Rande des Prozesses Revision gegen das Urteil an. Zu den nachdrücklichen Zweifeln der Richter an der Täterschaft von S. sagte Herrenbrück: "Ich teile diese Zweifel nicht." (APA, AFP, 31.7.2018)