Mit schwerem Gerät durchsuchen Einsatzkräfte die Trümmer nach weiteren Opfern. Noch immer werden bis zu 20 Menschen vermisst.

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Nicht alle Familien wollen in der Messehalle von Genua zusammen mit Politikern trauern.

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Ganz Italien trauert heute Samstag und gedenkt der mindestens 38 Toten des Brückeneinsturzes in Genua. Präsident Sergio Mattarella und Premierminister Giuseppe Conte nehmen ebenso an der Trauerfeier auf dem Messegelände der Stadt teil wie hunderttausende italienische Haushalte. Die Veranstaltung wird nämlich auch im staatlichen Rundfunk Rai übertragen.

Rettungskräfte haben in den Trümmern der eingestürzten Autobahnbrücke in Genua weitere Todesopfer gefunden. Feuerwehrleute entdeckten die Leichen nach Angaben des Katastrophenschutzes in der Nacht zum Samstag in einem Auto, das unter einem Betonblock begraben lag. Italienischen Medien zufolge handelt es sich bei den Opfern um ein Ehepaar und seine neunjährige Tochter. Damit stieg die Zahl der Todesopfer auf 41.

Staatliche Trauerfeier

In einer Messehalle trafen unterdessen Hinterbliebene, Politiker und Einwohner Genuas zur staatlichen Trauerfeier für die Opfer des Unglücks ein. Dort waren 18 Särge aufgebahrt, darunter ein kleiner weißer mit der Leiche des jüngsten Opfers, des achtjährigen Samuele. Er war mit seinen Eltern unterwegs zur Fähre Richtung Sardinien, wo die Familie Ferien machen wollte.

Doch die Familien von mindestens 17 Todesopfern werden nicht an der offiziellen Gedenkfeier teilnehmen. Sie wollen mit ihrem Boykott auf die ihrer Meinung nach schlechte Wartung der Morandi-Brücke aufmerksam machen und eigene Trauerfeiern abhalten. Die Tageszeitung "Corriere della Sera" zitierte die Mutter eines 26-jährigen Opfers aus Torre del Greco bei Neapel mit den Worten: "Der Staat hat das verursacht; die dürfen sich nicht erlauben, sich dort blicken zu lassen. Der Auftritt der Politiker war eine Schande."

15 Tage Frist für Autostrade

Die italienischen Behörden verstärkten indes den Druck auf die Betreibergesellschaft Autostrade per l'Italia. Das Verkehrsministerium leitete eine Untersuchung ein und gab dem Unternehmen 15 Tage Zeit, um zu belegen, dass es alle vertraglichen Pflichten erfüllt hat. Der Präsident der Region Ligurien, Giovanni Toto, und Verkehrsstaatssekretär Edoardo Rixi erklärten laut der Nachrichtenagentur Ansa, Genua werde bis 2019 eine neue Autobahnbrücke haben. "Die Gesellschaft Autostrade wird sie bezahlen. Wer sie baut, werden wir abwägen", sagte Rixi.

Das Unternehmen versicherte bisher, seinen Wartungspflichten stets nachgekommen zu sein. "La Repubblica" berichtete am Freitag jedoch, dass eine von dem Unternehmen in Auftrag gegebene Studie schon im Vorjahr Schwächen in den Tragseilen der Brücke entdeckt habe. Auch ein Angehöriger der Untersuchungskommission deutet einen Riss der Seile als Unglücksursache an.

Konzessionsentzug eingeleitet

Die italienische Regierung will scheinbar aber schon früher ernst machen und entzieht dem Betreiber Autostrade per l'Italia nun die Konzession. Ministerpräsident Giuseppe Conte sagte am Freitag, das Verkehrs- und Infrastrukturministerium habe sich in einem offiziellen Schreiben an Autostrade gerichtet, um den Entzug der Erlaubnis zum landesweiten Betrieb der Autobahnen einzuleiten.

"Das Desaster verpflichtet uns neue Initiativen zu ergreifen, die drastischer sind als die vorheriger Regierungen", so Conte.

Benevento schließt Brücke

Bereits während der Errichtung der Brücke in den 1960er-Jahren war Kritik laut geworden. Es seien Verfahren zur Anwendung gekommen, die in der Praxis zu wenig erprobt gewesen seien. Experten haben in den vergangenen Jahren immer wieder vor einer Katastrophe wie dem Einsturz am Dienstagmorgen gewarnt.

Auch drei Tage nach dem Unglück durchsuchten die Einsatzkräfte mit Spürhunden und schwerem Gerät die Trümmer. Man hoffte, dass sich in den Trümmern Kammern gebildet haben, in denen Menschen überleben könnten. Am Freitag wurden noch bis zu 20 Menschen vermisst. Durch die Arbeiten mit Metallschneidern war es zu einem Brand in einem Lagerhaus gekommen, der aber wieder gelöscht werden konnte.

Die süditalienische Stadt Benevento hat unterdessen eine ihrer Brücken für den Verkehr geschlossen. Es handle sich um eine Vorsichtsmaßnahme, die möglicherweise zu Staus führen könne, schrieb Bürgermeister Clemente Mastella am Freitagnachmittag bei Facebook. Aber die Sicherheit der Bürger sei seine erste Priorität.

Andere Städte prüfen Schließungen

Die Brücke werde erst wieder öffnen, wenn ein Expertenteam ihre Stabilität geprüft habe. Wie das am Dienstag in Genua eingestürzte Viadukt ist auch die in den 50er-Jahren erbaute San-Nicola-Brücke in Benevento das Werk des Ingenieurs Riccardo Morandi (1902-1989). Auch andere Städte in Italien haben Prüfungen von Morandi-Brücken angekündigt, darunter Rom, Florenz und Agrigent auf Sizilien. Erst am Donnerstag hatte die Stadt Rom mitgeteilt, sie habe zwei Millionen Euro für außerordentliche Renovierungsarbeiten an einer Morandi-Brücke auf dem Weg zum Flughafen Fiumicino bereitgestellt.

Sorge in Venezuela

In Venezuela mehren sich indessen die Sorgen, dass eine Brücke in Maracaibo zusammenbrechen könnte. Sie wurde wie die Brücke in Genua von Riccardo Morandi entworfen. Der 8,6 Kilometer lange Bau soll nun von Experten überprüft werden. Erst vergangenen Freitag hatte ein Feuer an der Betonkonstruktion einen Stromausfall ausgelöst. Laut Ingenieuren wurde die Brücke seit mehr als zwei Jahrzehnten nicht mehr instand gehalten. Außerdem funktioniere das Gewichtsmesssystem nicht, das das Verkehrsaufkommen auf der Brücke überwachen soll. (bbl, red, 17.8.2018)