"Der Rückzug des Staates aus der Wohnraumversorgung war ein fataler Fehler", sagt Thorsten Schäfer-Gümbel.

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STANDARD: Sie sind am Mittwoch zu Besuch in Wien. Was kann ein Wahlkämpfer aus Hessen dort lernen?

Schäfer-Gümbel: Beim Bau von bezahlbaren Wohnungen und der Organisation der täglichen Verkehrsströme mit Auto, Bus und Bahn ist Wien beispielhaft für viele andere Städte. Ich will für Hessen davon einiges lernen. Wien ist nicht umsonst gerade vom "Economist" zur lebenswertesten Stadt der Welt gekürt worden.

STANDARD: Was interessiert Sie beim Wohnbau?

Schäfer-Gümbel: Letztlich geht es um den sozialen Frieden, denn erschwingliche Mieten sind die soziale Frage unserer Zeit. Mich interessiert der Bau, aber auch der dauerhafte Erhalt bezahlbarer Wohnungen etwa über die öffentliche Bindung. In Deutschland laufen Preisbindungen für Sozialwohnungen oft zum Beispiel nach zehn Jahren aus. Und dann darf der Eigentümer, obwohl er eine staatliche Förderung bekommen hat, die Miete frei gestalten. Das ist in Österreich anders.

STANDARD: In deutschen Städten fehlen hunderttausende Wohnungen. Was wurde hier verabsäumt?

Schäfer-Gümbel: Der wesentliche Unterschied zu Wien ist, dass in Deutschland in den vergangenen 25 Jahren nahezu alle landeseigenen Wohnungsgesellschaften an Private verkauft wurden. Der Rückzug des Staates aus der Wohnraumversorgung war ein fataler Fehler.

STANDARD: Das waren – etwa in Berlin – auch Sozialdemokraten.

Schäfer-Gümbel: Auch Sozialdemokraten haben dem gesellschaftlich dominierenden Marktradikalismus stellenweise nachgegeben. Ich kann für mich sagen, dass ich nie meine Hand für die Privatisierung von Wohnungen gehoben habe. Die "Privat vor Staat"-Ideologie hat einen großen Teil der heutigen Wohnungsnot zu verantworten.

STANDARD: Wie wollen Sie das jetzt aufholen? In Wien hat der soziale Wohnungsbau eine lange Tradition.

Schäfer-Gümbel: Das geht nicht innerhalb weniger Jahre. Aber mein klares Ziel ist, dass Menschen nicht mehr als ein Drittel ihres Einkommens für die Miete bezahlen müssen. Das bedeutet: Wir brauchen eine Mietenwende! Wir müssen bauen, bauen, bauen, mit Flächen anders umgehen, Wohnraum darf nicht länger ein Spekulationsobjekt sein, Mieterinteressen gehen vor Profitinteressen.

STANDARD: Was interessiert Sie am Wiener Verkehr?

Schäfer-Gümbel: Das Ein-Euro-Ticket ist die Konsequenz aus einer guten Infrastrukturpolitik. Bei uns in Hessen gibt es weder das eine noch das andere.

STANDARD: In Hessen liegt die SPD über dem Bundesschnitt, aber dennoch weit hinter der CDU. Wie wollen Sie beim dritten Anlauf Ministerpräsident werden?

Schäfer-Gümbel: Wir haben voriges Jahr in Rheinland-Pfalz gesehen, dass die SPD noch kurz vor der Wahl deutlich hinter der Union lag. Dann überholte sie. Und in Hessen glaubt doch kein Mensch, dass eine CDU, die in 19 Jahren keinen bezahlbaren Wohnraum geschaffen und den Stau nicht in den Griff bekommen hat, das in den nächsten fünf Jahren schafft.

STANDARD: Warum verharrt die Bundes-SPD im Umfragetief?

Schäfer-Gümbel: Vertrauen, das verspielt wurde, kommt nicht so schnell zurück. Nach der Bundestagswahl und der schwierigen Koalitionsbildung ist eine Erneuerung notwendig. Die große Koalition hat auch sehr unter den Auseinandersetzungen zwischen CDU und CSU gelitten.

STANDARD: Die SPD setzt jetzt gerade stark auf das Thema Rente. Will sie sich wieder mehr um die "kleinen Leute" kümmern?

Schäfer-Gümbel: Unser zentrales Thema ist der soziale Zusammenhalt. Wir kämpfen für viele, nicht nur für einige wenige. Dafür brauchen wir einen starken Rechtsstaat, der auch rechtsextreme Gewalt- und Straftaten mit aller Härte verfolgt. Und wir müssen vor allem soziale und öffentliche Sicherheit herstellen. Daher sind die Renten- und die Wohnungsdebatten so wichtig. (Birgit Baumann aus Berlin, 5.9.2018)