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Wie viel Zeit bleibt für den Ruhestand? Das schwedische Modell nimmt auf die gestiegene Lebenserwartung Rücksicht.

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Schweden gilt als Vorzeigeland, wenn es um eine nachhaltige Altersvorsorge geht. Das war aber nicht immer so, erzählt die schwedische Ex-Ministerin Ewa Björling im Gespräch mit dem STANDARD. "Als ich 20 Jahre alt war, hat meine Mutter begonnen für meine Pension anzusparen – sie war clever und wusste, das System war nicht gut aufgestellt damals." Nach dem Weltkrieg erlebte das Land einen starken Aufschwung, in den Sechzigern war Schweden das Industrieland mit der vierthöchsten Wirtschaftsleistung pro Kopf.

Den Wohlstand nutzte das Land, um einen großzügigen Sozialstaat auszubauen. Die Geschichte kommt jedem Österreicher bekannt vor. Was dann geschah, nicht: 1990 kam der große Crash, nicht weltweit, sondern nur in Schweden, betont die 57-Jährige. Eine mehrjährige Rezession offenbarte die Schwachstellen im Sozialsystem. Die staatlichen Pensionen schienen nicht mehr für einen künftigen Ruhestand in Würde auszureichen, zu wenige Menschen arbeiteten und zahlten in den Topf ein.

"Wir brauchen eine Veränderung, fast zehn Jahre haben wir für die Umstellung des ganzen Systems gebraucht", sagt die Ex-Politikerin der Moderaten Partei. Dafür gab es einen breiten Konsens der Parteien, sonst wäre ein starker Eingriff ins Pensionssystem schwierig geworden. "Eine Pensionsreform muss man in den ersten 100 Tagen einer Legislaturperiode angehen, aber auch sorgfältig vorbereiten." Das würde auch für jedwede Ambitionen der österreichischen Regierung gelten. "Das schwedische System kann nicht eins zu eins von anderen Ländern kopiert werden, aber es ist immer gut, von anderen zu lernen", sagt Björling.

Pensionsautomatik

Der Kern des schwedischen Systems basiert auf einem Umlageverfahren so wie in Österreich. Das heißt, die heutigen Beitragszahler finanzieren direkt die heutigen Pensionisten. Umso markanter wirkt der wesentliche Unterschied: Die Pensionsansprüche der Schweden hängen nicht nur von eingezahlten Leistungen ab, sondern werden auf die verbleibende Lebenserwartung aufgeteilt. Eine Mindestpension wird aber nie unterschritten. "Man sollte der Realität ins Auge blicken: Wir sind gesünder, leben länger, können länger arbeiten. Ein Neugeborenes heute wird 102 Jahre alt. Wenn dieses Kind einmal mit 65 in Pension ginge, wäre es verdammt teuer", sagt Björling.

In Schweden dürfen Leute flexibel ab einem Alter von 61 bis 67 in Pension gehen. Wer später in Rente geht, erhält höhere Leistungen. Das tatsächliche Pensionsantrittsalter liegt in Schweden für beide Geschlechter nahe 65, während Österreicher mit knapp unter 60 in den Ruhestand treten. "Wichtig für die Schweden ist, selbst zu bestimmen, wann man aufhört zu arbeiten" betont Björling. Auch eine Teilpension neben einer Teilzeitstelle ist möglich.

Oranger Brief

Damit die Menschen sich bereits früh bewusst sind, wie es um ihre Pension steht, wurde ein kleiner Teil der Beiträge in die Hände der Zahler gelegt. Jeder Angestellte darf selbst entscheiden, in welchen Fonds dieses Geld angelegt wird. "Jedes Jahr kommt ein oranger Brief mit dem Anlageerfolg. Dann freut man sich, oder man flucht und schichtet sein Portfolio um", erklärt Björling. In dem Brief stehen auch Beispielrechnungen, was den Einzelnen erwartet, wenn er ein bisschen länger arbeitet oder die Arbeitswelt etwas früher verlässt.

Neben dem Umlagesystem setzt Schweden verstärkt auf betriebliche Pensionen. Hier kann man mit steuerlichen Anreizen und ohne viel politischen Widerstand viel erreichen, ist Björling überzeugt.

Von den Kernelementen des schwedischen Systems steht nichts im heimischen Regierungsprogramm – zu heiß, das Eisen. (Leopold Stefan, 30.9.2018)