Viele Häuser in Casteldaccia wären zu nahe am Bach gebaut, sagt Bürgermeister Giovanni Di Giacinto.

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Rom/Palermo/Belluno – Nach Unwettern auf Sizilien, bei denen am Wochenende zwölf Menschen ums Leben gekommen sind, ist eine Diskussion über Bausünden ausgebrochen. Bei der Überschwemmung eines Hauses am Ufer eines Baches im Dorf Casteldaccia nahe Palermo starben neun Personen derselben Familie. Die Justizbehörden leiteten Ermittlungen ein, weil offenbar Bauvorschriften missachtet worden sind.

Die Familie aus Palermo hat das Wochenende in dem gemieteten Gebäude verbracht. Der Bach Milicia trat nach schweren Regenfällen am Samstagabend über die Ufer und flutete das Haus mit Wasser und Schlamm. Unter den Toten waren Kinder im Alter von einem, drei und 15 Jahren, die anderen Opfer nach Angaben der Feuerwehr 32 bis 65 Jahre alt. Drei weitere Familienangehörige konnten sich Medienberichten zufolge in Sicherheit bringen, einer von ihnen rettete sich auf einen Baum.

Zu nahe am Bach gebaut

Der Bürgermeister von Casteldaccia, Giovanni Di Giacinto, berichtete, dass die Gemeinde 2008 einen Befehl erlassen hatte, das Landhaus abzureißen, da es ohne Genehmigungen zu nahe an dem Bach gebaut worden war. Dieser sei jedoch nie ausgeführt worden. Weitere Häuser seien in den vergangenen Jahren ohne Erlaubnis dem Bach entlang errichtet worden.

Das Bachbett hätte längst gereinigt gehört. Außerdem befindet sich in dem Gebiet eine große Anzahl illegal errichteter Gebäude, klagte Giuseppe Virga, Bürgermeister der in der Nähe des Unglücksorts gelegenen Ortschaft Altavilla Milicia. Im ganzen Raum um Palermo seien schwere Bausünden begangen worden, sagte der Bürgermeister.

Missachtung der Baunormen

Umweltschutzverbände kritisierten den "verantwortungslosen Städtebau und die Missachtung der Baunormen". In Italien werde überall und ohne Rücksicht auf europäische Standards gebaut. Nach Angaben des Zivilschutzes sind 70 Prozent der italienischen Gemeinden wegen nicht genehmigter Bauten und abgeholzter Wälder von Überschwemmungen bedroht.

Die Bausünden in Italien rächen sich bitter. Erdrutsche und Überflutungen fordern immer mehr Tote. Durch Naturkatastrophen sind im Land allein in den vergangenen fünf Jahren Schäden in Höhe von neun Milliarden Euro entstanden. Unermüdlich warnen italienische Geologen vor den Gefahren. Doch ihr Ruf verhallt unbeachtet.

Niemand kontrolliert die Hänge

Nicht nur Bausünden und Klimawandel werden für die zunehmende Zahl verheerender Erdrutsche und Überschwemmungen verantwortlich gemacht. Auch Abwanderung spielt eine Rolle. In den vergangenen Jahrzehnten seien ganze Gebirgsregionen verlassen worden, niemand kontrolliere mehr die Hänge, warnten Geologen. Es fehle an einer Raumplanung. Instandhaltung und Kontrolle von Mauern, Dämmen und Kanälen, die jährlich oder sogar saisonal erfolgen sollten, würden total vernachlässigt werden.

Laut Experten wären für die Sicherung der Hänge in Italien rund 40 Milliarden Euro notwendig, eine riesige Summe, die der Staat nicht locker machen könne. Je mehr in Vorbeugung investiert werde, desto weniger werde man für die Schäden durch Erdrutsche ausgeben müssen. "Wenn man die Finanzierungen für Bodenschutz kürzt, ist das so, als würde man im Land die Gesundheitsausgaben reduzieren. In beiden Fällen steht das menschliche Leben auf dem Spiel", sagte ein Sprecher der italienischen Geologen.

Unterstützung aus Rom

Inzwischen will die Regierung in Rom die von den Unwettern betroffenen Gebiete unterstützen. Bei einer für diese Woche geplanten Ministerratssitzung sollen 250 Millionen Euro für diese Regionen locker gemacht werden. Eine weitere Milliarde soll im Rahmen des Budgetplans 2019 für räumliche Sicherheitsmaßnahmen zur Verfügung gestellt werden – eine Priorität, wie Premier Giuseppe Conte sagte, der am Sonntag die von den Unwettern betroffenen Gebiete auf Sizilien besucht hatte.

Italien war in den vergangenen Jahren mehrmals von schweren Erdrutschen heimgesucht worden. Das schlimmste Unglück ereignete sich im Mai 1998. Damals sind 137 Personen in der süditalienischen Ortschaft Sarno südlich von Neapel ums Leben gekommen, als nach sintflutartigen Regenfällen eine Schlammlawine Dutzende Gebäude unter sich begraben hatte. (APA, 5.11.2018)