Berlin/Frankfurt – Auf dem Weg zu höheren Zinsen droht der Europäischen Zentralbank (EZB) im nächsten Jahr noch eine große Klippe. Ab Mitte 2019 müssen womöglich zahlreiche Geldhäuser zum Nulltarif erhaltene EZB-Langfristkredite in Höhe von mehreren Hundert Milliarden Euro frühzeitig zurückzahlen, ohne eine ähnlich günstige Anschlussfinanzierung an der Hand zu haben. Falls die EZB den Banken über diesen Engpass hinweghelfen will, könnte sie ihnen wie einst in Krisenzeiten wieder große Geldspritzen zur Verfügung stellen. Kritiker warnen die EZB aber davor, sich nun im Aufschwung und kurz vor der geplanten Abkehr vom Nullzins auf dieses Manöver einzulassen.

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Italiens Bankensektor ist nicht in bester Verfassung.
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Denn die von dem Italiener Mario Draghi geführte Notenbank könnte sich dem Verdacht aussetzen, im Haushaltsstreit der Regierung in Rom mit der EU in Nöte geratenen italienischen Banken gezielt beizuspringen. "Das wäre eine verkappte Hilfspolitik", konstatiert Commerzbank-Chefökonom Jörg Krämer. Er verweist darauf, dass es vor allem Banken aus Südeuropa waren, die die EZB-Tränke ansteuerten, um sich für mehrere Jahre mit superbilligem Geld vollzusaugen. Die Institute griffen bei diesen im Fachjargon "TLTRO" genannten Langfristkrediten gerne zu. Annähernd 400 Milliarden Euro waren es bei einem dieser Kreditgeschäfte, das Mitte 2020 fällig wird. Die Währungshüter hatten 2016 eine Serie dieser Geldspritzen beschlossen, um die Kreditvergabe ankurbeln. Sobald aber die Restlaufzeit eines solchen Darlehens weniger als ein Jahr beträgt, können diese Gelder nicht mehr zur Berechnung bestimmter regulatorischen Liquiditätsanforderungen herangezogen werden. Banken müssen sich deshalb bereits ab Mitte 2019 nach Ersatz umschauen.

Der EZB ist sich dieses Problems voll bewusst, wie ihr Chefvolkswirt Peter Praet deutlich macht. Er will sich aber noch nicht festlegen, ob die Notenbank neue Geldspritzen auflegen wird: "Auf jeden Fall ist es noch zu früh, um über einen neuen TLTRO zu entscheiden", sagte er jüngst dem "Handelsblatt". Dass solche Spritzen gezielt für Banken in Problemstaaten aufgelegt würden, schließt er aus: "Die Langfristkredite sind ein geldpolitisches Instrument, und wir machen Geldpolitik für den gesamten Euro-Raum." Ob auch künftig solche langfristigen Kreditlinien nötig werden, hängt nach Worten von Bundesbank-Vorstand Sabine Mauderer unter anderem davon ab, wie gut der Geldmarkt dann funktioniert.

Banken kommen nicht zur Ruhe

Schon jetzt werfen aber die drohenden Schwierigkeiten ihre Schatten voraus: "Der italienische Bankenmarkt kommt nicht zur Ruhe. Insbesondere die weiterhin hohen Bestände an heimischen Staatsanleihen und auch das bevorstehende Ende der TLTROs sorgen für Unsicherheit", sagt DZ-Bank-Chefvolkswirt Stefan Bielmeier. Normalerweise sollten sich italienische Banken Ersatz bei privaten Geldgebern besorgen. Doch dabei könnte es haken, auch wegen der Haushaltspolitik der populistischen Regierung in Rom, die darüber im Streit mit der EU-Kommission liegt.

Trotz der politischen Risiken haben die Banken zwischen Mailand und Palermo ihr Engagement in heimischen Staatsanleihen sogar noch verstärkt. So versuchten sie, den Kursverfall jener Titel einzudämmen. Denn diese hatten im Zuge wachsender Zweifel vieler Investoren an der italienischen Haushaltspolitik am Markt deutlich eingebüßt. Je tiefer die Kurse sinken, desto weniger wert ist das Anleihen-Portfolio in den Bilanzen der Banken: "So geschwächt fällt es ihnen schwer, sich bei privaten Anlegern viele Milliarden für mehrere Jahre zu leihen. In dieser Situation kämen ihnen neue Langfristkredite der EZB gelegen", erläutert Commerzbank-Experte Krämer.

Andere Konditionen

Sein Londoner Kollege Erik Nielsen von UniCredit rechnet fest mit neuen Geldspritzen, zumal der Leitzins noch über den Sommer 2019 hinweg bei null Prozent zementiert bleiben dürfte. "Ich könnte wetten, dass es wieder eine Liquiditätsspritze für die Banken à la TLTRO geben wird." Die Logik dahinter: Die EZB wolle den lange Zeit mit Nullzins gepäppelten Geldhäusern den Schock eines "unerwünschten und deutlichen" Anstiegs ihrer Refinanzierungskosten ersparen. "Und das insbesondere in Ländern, die eine solche geldpolitische Verschärfung am wenigsten gebrauchen könnten", ergänzt Nielsen.

Auch Commerzbank-Volkswirt Michael Schubert hält es für denkbar, dass die EZB die Situation zu entschärfen versucht. "TLTROs sind allerdings aus wirtschaftlicher Hinsicht nicht mehr angesagt. Denn diese sollten die Wirtschaft ankurbeln und haben ihren Zweck erfüllt", gibt er zu bedenken. Die neuen Instrumente würden wohl anders gestaltet sein. "Eine Möglichkeit wären sogenannte Indexierte Tender, bei denen der Zins mit nach oben angepasst wird, wenn die EZB die Leitzinsen erhöht." Über solche Optionen könne auch die Notenbank nachdenken. (Reuters, 26.11.2018)