Andreas Treichl geht Ende des Jahres als Bankvorstandschef in Pension und wird an die Spitze der Erste-Stiftung wechseln. Diese nimmt sich vorrangig Sozialthemen an.

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Wien – Erste-Chef Andreas Treichl hält den Bankensektor in Europa für weitgehend stabil. Nicht einmal die italienischen Banken, die in der Eurozone derzeit als Sorgenkinder gelten, bereiten ihm Sorgen. Diese wüssten, dass sie ansteckungsgefährdend seien, und hätten daher "gewisse Quarantäneprivilegien, die sie schützen", sagte der Vorstandschef der Erste Group im APA-Gespräch.

In Europa gebe es zwar einige Banken, die noch Probleme hätten. Das Bankensystem sei aber "dramatisch sicherer geworden". Sehe man von einigen wenigen ab, etwa der Deutschen Bank, seien auch Fusionen nicht mehr das große Thema. "Viele der Fusionen fanden in dem Glauben statt, dass es zum einheitlichen europäischen Bankenmarkt kommt – was es nicht gibt. Eine Bankenunion in Europa wird es in naher Zukunft nicht geben", glaubt Treichl. Global Player würden heute viel problematischer bewertet.

Für problematisch hält Treichl auch die Großwetterlage: Momentan seien es vielmehr politische Krisen, die vieles zerstören. "Die politische Krise, die wir derzeit haben, hat schon so viel Geld und Vermögen vernichtet wie die Finanzkrise", sagt Treichl. Er spricht den Handelskrieg der USA mit China, den EU-Austritt der Briten und überhaupt Tendenzen zum Nationalismus an. "Wir alle in unserer Region wissen, welch tolles Erlebnis der Fall des Eisernen Vorhangs war" – und jetzt beschäftige sich die stärkste Wirtschaftsnation der Welt damit, neue Mauern zu bauen.

Blick zurück ohne Zorn

Für sein eigenes Institut ist Treichl zuversichtlich. Die Erste Bank ist heuer 200 Jahre alt. Sie habe zwei brutale Weltkriege überlebt und zwei Weltwirtschaftskrisen, nach denen praktisch alles weg war. "Und es gibt uns immer noch." Treichl erinnert sich, in mehr als 20 Jahren an der Bankspitze öfter geglaubt zu haben, die Welt gehe unter, und wie verzweifelt er in der Finanzkrise 2009 war. Es habe gute und schlechte Entscheidungen gegeben – die spekulativen Fremdwährungskredite waren unter den schlechten. Letztlich sei man aber der Grundidee des Gründers der Ersten oesterreichischen Spar-Casse treu geblieben. Die hatte der Pfarrer Johann Baptist Weber in Wien, als er auf offener Straße einen Tisch aufstellte, und einer Fabrikarbeiterin für eine Einlage von zehn Gulden das erste "Sparbuch" gab, mit vier Prozent Zins. Nach wenigen Jahren gab es den ersten Kredit, wieder an eine Frau – mit fünf Prozent Zinsen. Damit sei etwas in Bewegung gesetzt worden, was sich damals niemand vorstellen konnte.

Ob es die Banken, wie sie heute sind, in 40 oder 50 Jahren noch geben wird, kann der Erste-Chef nicht sagen. Es werde vielleicht kein Bargeld mehr geben, wohl aber Zahlungsmittel, Vermögensbildung und Kredite. "Die Situation, wo Menschen, Firmen und Staaten Geld brauchen, wird es in 200 Jahren noch geben. Die entschuldete Welt sehe ich nicht."

Gute Beratung als Privilegienfrage

Auch eine rein digital aufgestellte Erste Group sieht Treichl nicht. Bedürfnisse von Menschen änderten sich im Grunde nicht. "Unsere Filialbeschäftigten müssen wie praktische Ärzte sein, die sich um die finanzielle Gesundheit kümmern. Ein gesunder Mensch muss nur einmal im Jahr zum Arzt." Im Ernstfall, bei komplexen Problemen, gehe es dann nicht bloß ums Fachwissen, sondern um die letzten paar Minuten, um Vertrauen. Eine der großen Gefahren in beiden Branchen sei, dass gute Beratung teuer ist und damit zu einer Privilegienfrage gerät. "Dem müssen wir uns extrem widmen." Die Türen müssten für alle offen bleiben. (APA, 28.1.2019)