"Stella"-Autor Takis Würger versteht sich als Vortragender bestens auf den gekonnten Einsatz von Sensibilität und Mitgefühl.

Foto: Sven Döring / Agentur Focus

Jungautor Takis Würger (33) hat das verbürgte Schicksal der Jüdin Stella Goldschlag zu einem von der Lust am Tabubruch durchzitterten Roman zusammengepresst. Die historische Person Stella Goldschlag wurde Anfang der 1940er dazu genötigt, Angehörige des jüdischen Volkes an die Vollzieher der NS-Massenvernichtung auszuliefern. Würgers fiktive Stella ist blond, schön und von großer Lüsternheit. Das Handwerk des Verrats, dem sie insgeheim nachgeht, beherrscht sie fast ebenso gut wie den Jazz-Gesang und die Kunst, auf Nazi-Partys Cocktails zu schlürfen.

Die Rezeption des im Jänner bei Hanser erschienenen Romans fiel beinahe einhellig aus. Man lastete dem Autor nicht nur seine vor Kitsch triefende Sprache an. Die Empörung galt der Unbedenklichkeit, mit der Würger Kolportage und Faktizität zusammengeknetet hatte.

Handwerk der Vermarktung

Der hauptberufliche Spiegel-Reporter verweigerte fortan Interviews. Das Handwerk der Vermarktung heischt ohnedies, auf Lesereise zu gehen und den eigenen Namen auf möglichst viele Vorsatzblätter zu malen. Die Ochsentour führte Würger jetzt auch nach Wien, in das Nibelungen-Viertel von Rudolfsheim-Fünfhaus. Dort, an einem lauschigen Platz, wo Hunde schläfrig in die Sonne über dem Stadthallenbad blinzeln, liegt eine der honorig-sten Buchhandlungen der Stadt.

Was soll man sagen: Das Buchkontor rief, und viele, viele kamen, Würger zu schauen. So bedeutend war der Andrang, dass man die Stella-Leserinnen lieber gleich in die gegenüberliegende Pfarrgemeindehalle bat. Die Christkönigskirche soll einmal die sterblichen Überreste von Engelbert Dollfuß beherbergt haben. Heute eilt der Besucher des Pfarrhauses vor allem durch lange Korridore.

Girlanden und Schlangen

Man blickt im Vorbeigehen in einige Zimmer. Formationstänzer quietschen zu Rise like a Phoenix über das Parkett: Der Pfarrball, die närrischste Zeit in Rudolfsheim, wirft seine Schatten voraus.

Im Saal selbst: Girlanden und Papierschlangen. Die Seniorentanzgruppe hat sich schon um 18 Uhr in den Feierabend verabschiedet. Der baumlange Dichter verspricht eine besondere Einleitung. Er liest seine eigene Spiegel-Reportage über den Auschwitz-Überlebenden Josef Salomonovic: die in der Tat wunderbare Geschichte einer Errettung gegen alle Wahrscheinlichkeit.

Würger, der unglaublich rasch liest, wird zum Ende seines eigenen Vortrags von Rührung übermannt. Er kann nun endlich, nachdem er den anwesenden Salomonovic freundlich begrüßt hat, zur Lektüre seiner Stella übergehen. Das bisschen Nazi-Mord und Totschlag? Ach, er habe doch bloß die Frage "nach individueller Schuld" stellen wollen. Die sei für jemanden wie ihn naturgemäß nicht zu beantworten. Nach Verlesen einiger ausgesucht magerer Stücke aus seinem Sex-and-Crime-Schinken bittet er hinüber in die Buchhandlung, zum Signieren. Aber wie heißt es nicht schon bei Kardinal Brecht: Das Pfarrheim zu, und alle Fragen offen. (Ronald Pohl, 26.2.2019)