Snooker begleitet Florian Nüßle auch noch in die Straßenbahn.

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Nüßle darf sich bereits mit dem Goldenen Verdienstzeichen der Republik Österreich schmücken.

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Wien – Florian Nüßle steht mit verschränkten Armen neben dem Tisch, umklammert fest seinen Queue. Der Bursche ist fokussiert. Auf die roten Bälle, auf sein großes Ziel: Der 17-Jährige will Snooker-Profi werden. Und er ist dafür "voll im Zeitplan, sogar einen Schritt weiter". Dieser Schritt führt ihn demnächst nach Sheffield, England, ins Epizentrum der Sportart. Dort steigt ab 10. April die Qualifikation für die Weltmeisterschaft. Die Bronzemedaille bei der U18-Europameisterschaft in Israel im Februar bescherte Nüßle als erstem Österreicher überhaupt diese "große Ehre und Chance".

Weiß, rot, farbig

Snooker ist eine Billard-Variante. Vereinfacht gesagt muss mit einer weißen Kugel abwechselnd eine rote (je ein Punkt) und eine farbige (zwei bis sieben Punkte) ins Loch gestoßen werden. Am Ende gewinnt der Spieler mit den meisten Punkten. Nüßle trainiert vier Stunden täglich – Minimum. Am Wochenende stehen meist Reisen und Turniere an. Oder, wie Mitte März, ein Trainingslager in Wien. Zehn österreichische Spieler, der erweiterte Nationalkader, haben sich versammelt. Während der Übungen herrscht oft Ruhe. Aufeinanderprallende Kugeln bilden den Soundeffekt – Tack. Tack. Tack. Tack.

Der 17-jährige Florian Nüßle spielt seit seiner frühen Kindheit Snooker. Die Billard-Variante erfordert taktischen Weitblick, Partien ziehen sich oft über Stunden und Tage.
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Für Nüßle bietet Wien eine Abwechslung. Ansonsten übt er nämlich allein, in einem eigens hergerichteten Trainingsraum in Salzburg, seinem Wohnort. Einsamkeit kennt er nicht. Der Trainingseifer und – ja, da wären wir wieder – der Fokus überwiegen. Müssen sie auch. Die Bälle sind nochmals kleiner als im Poolbillard. Partien ziehen sich oft über Stunden und Tage. "Auf Profiebene geht es nur noch darum, sein Spiel robotermäßig abzurufen", sagt Nüßle dem STANDARD. Der Präzisionssport zieht Perfektionisten wie ihn an. Das kann auch frustrieren und im Zweifel enden. "In früheren Jahren konnte ich noch nicht das spielen, was ich wollte. Am Anfang gab es nur: Gewinnen oder extrem schlecht."

Top-Talent in Europa

Mittlerweile lernt er aus Niederlagen am meisten und ist dieser Anfang lange her. Nüßles Vater brachte den Dreijährigen einst ins Billardcafé. Es entwickelte sich ein Zweikampf mit einem anderen weißen Ball, stand er doch auch im Golf-Nationalkader. Mit zwölf Jahren entschied sich Florian Nüßle für den grünen Tisch und gegen das Green. Seither verfolgt er den Traum von einer professionellen Karriere.

Mentor PJ Nolan (rechts) lernte Nüßle kennen, als dieser zehn Jahre alt war. Dieses Foto stammt aus 2016.
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"Florian gehört in Europa zu den zwei größten Talenten im Unter-21-Bereich", sagt P. J. Nolan. Der Ire betreibt eine Snooker-Schule in seinem Heimatland, unterstützt den österreichischen Snooker- und Billardverband (ÖSBV) als Headcoach und dient Nüßle als Mentor. Der 17-Jährige sagt: "Er ist nicht mein persönlicher Trainer, aber P. J. tut sehr viel für mich." Es sei schwer, aus der Distanz zu profitieren. Die beiden sehen einander nur zwölfmal im Jahr, kommunizieren online. Nolan schickt Trainingspläne, bei der Gelegenheit in Wien kontrollieren sie die Fortschritte. "Wirklich weiter bringen mich nur noch Turniererfahrungen."

Ziel Main Tour

Auf der angepeilten Main Tour spielen 128 Profis, 64 qualifizieren sich via Weltrangliste. Nüßle hat im Mai die Chance, sich via Q School (Q für Qualifying, Anm.) einen der restlichen Plätze zu sichern. "Die Amateurebene ist ein Kindergarten dagegen", sagt er. Für Nolan könnte die Main Tour daher noch etwas warten: "In den letzten Jahren war Florian erfolgsverwöhnt. Bei den Profis wäre das anders, zahlt man anfangs viel Lehrgeld. In zwei Jahren hätte er mehr Erfahrung, auch abseits des Tisches."

Ronnie O Sullivan ist Nüßles Vorbild. Ende 2017 durfte der Österreicher bei einer Exhibition zusammen mit dem Engländer im Doppel spielen und beendete das Frame siegreich.
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Die mangelnde Konkurrenz im Land sei für den dreifachen Staatsmeister ein Problem: "Momentan spielt Florian gegen sich selbst", sagt Mentor Nolan. Auf lange Sicht zieht es den Österreicher daher nach Großbritannien. Das familiäre Umfeld hält ihn aber derzeit in Salzburg – und die Finanzen. Eine Saison kostet bis zu 20.000 Euro. Die österreichische Sporthilfe schießt seit heuer monatlich 250 Euro zu, den Großteil stemmt jedoch die Familie. Mutter Claudia betreibt ein Kosmetikstudio in Graz und pendelt regelmäßig.

Schuldeal

Nüßle besucht zweimal wöchentlich die Abendschule. Motto: durchkommen. "Die Matura dient der Absicherung", sagt die Mutter. "Aber wir haben vereinbart: Sollte er es auf die Main Tour schaffen, kann er mit der Schule aufhören." Nicht, dass der Sohn noch zusätzliche Motivation gebraucht hätte. Zu beharrlich ist der 17-Jährige. Nur einmal hat er seinen Fokus unlängst verloren. Als er in der Straßenbahn zu sehr in sein Smartphone vertieft war und vier Stationen zu weit fuhr. Was ihn so ablenkte? Ein Snooker-Livestream. (Andreas Gstaltmeyr, 25.3.2019)

Vor zwei Jahren besuchte der STANDARD Nüßle bereits einmal. Folgender Bericht erschien daraufhin im Jänner 2017:

Florian Nüßle: Großes Talent am grünen Tisch