Die geschätzte Überlebensdauer des Nordatlantischen Verteidigungsbündnisses bezifferte man bei seiner Gründung – exakt heute vor 70 Jahren – in etwa auf zehn Jahre. Die Nato ist mit Vollendung der siebenten Dekade nun aber in einem Alter angekommen, in dem sich ein Mensch allerspätestens um einen ruhigen Lebensabend kümmern und offene Verpflichtungen der nächsten Generation übergeben sollte. Auch die Nato sollte diesen Weg gehen und den Weg für eine EU-Armee freimachen.

Doch warum sollte man ein als so erfolgreich geltendes Bündnis in den Ruhestand schicken, wenn es weiter einen wertvollen Beitrag zum friedlichen Zusammenleben in Europa und der restlichen Welt leisten könnte?

Man könnte ja meinen, dass gerade in Zeiten einer wachsenden Ost-West-Konfrontation die Nato wichtiger sei denn je. Schließlich ist die Behauptung gegenüber Moskau nicht nur ihr eigentlicher Existenzgrund, sondern auch ihr einzig wahrer Erfolg – vor allem wenn man die geopolitischen Abenteuer der vergangenen Jahre bedenkt. Teilerfolgen wie der Absetzung von Slobodan Milošević in Serbien und der gelegentlichen Durchsetzung von Flugverbotszonen zum Schutz von Zivilisten steht eine lange Liste an Verfehlungen des Bündnisses gegenüber: vom desaströsen Versuch einer "friedenserzwingenden" Mission in Afghanistan über die Beteiligung am verunglückten Libyen-Einsatz bis hin zu den ständigen Nadelstichen gegenüber Russland, die das Vertrauensverhältnis zwischen den beiden atomaren Supermächten nachhaltig beschädigt haben.

Verteidigung Europas

Seit der russischen Aggression in der Ostukraine ab 2014 attestieren viele der Nato zwar eine Renaissance, eine neue Daseinsberechtigung. Diese ist letztlich aber auch nur ein Resultat bi- und multilateraler Fehlschläge der vergangenen Jahrzehnte.

Auch ist die Nato nur deshalb schon so lange für die Verteidigung Europas zuständig, weil die französische Nationalversammlung 1954 die Pläne für eine EU-Armee versenkte. Frankreich ist heute auf EU-Ebene kein Blockierer mehr. Die Briten, die sich in den vergangenen Jahren tatsächlich am öftesten quergelegt haben, verlassen die Union vielleicht schon bald. Gerade deshalb sollte man der Nato zum 70er für den Frieden in Westeuropa danken, Positives nachahmen und sich endlich der Schaffung einer echten europäischen Verteidigungsunion widmen.

Donald Trump ist nicht der erste US-Präsident, der den Europäern vorwirft, zu wenig für ihre eigene Verteidigung zu tun. Das hat schon mit John F. Kennedy begonnen. Der anhaltende Vorwurf ist berechtigt. Europas Zurückhaltung war aber auch immer der Sorge geschuldet, von den kriegseifrigen Amerikanern über die Nato in einen Konflikt gezogen zu werden.

Für eine Emanzipation der EU in Verteidigungsfragen hätte es jedoch nicht der Rhetorik Trumps bedurft. Innerhalb Europas sind die Werte homogener als im transatlantischen Bündnis. Die EU kann sich getreu diesem Wertekodex auch auf jene Regionen und Angelegenheiten konzentrieren, die ihr tatsächlich wichtig sind.

Die USA und die Post-Brexit-Briten werden Europa – auch in vertraglicher Form – militärisch sicherlich weiter gewogen bleiben und es im Ernstfall unterstützen. Aber die EU-Staaten müssen endlich ihre Verteidigungskräfte bündeln und Aufgaben effizient verteilen – und sich nicht länger auf die USA verlassen. (Fabian Sommavilla, 4.4.2019)