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Die teils horrend gestiegenen Gemüsepreise treffen vor allem die kleinen Leute – die Stammwähler der Regierungspartei AKP.

Foto: Reuters/UMIT BEKTAS

In der AKP rumort es. Der Führung ist klar, dass die Gründe für das schlechte Abschneiden der türkischen Regierungspartei in der wirtschaftlichen Situation zu suchen sind. Die Arbeitslosigkeit liegt mit 14,7 Prozent auf einem Rekordhoch. Die teils horrend gestiegenen Gemüsepreise treffen vor allem die kleinen Leute. Insofern war die Rede von Finanzminister Berat Albayrak in der Vorwoche vor Investoren mit Spannung erwartet worden.

Die Ratingagentur Moody's sprach vom seichten Inhalt, dem die Details fehlen. Zwar betonte der türkische Finanzminister und Erdogan-Schwiegersohn Berat Albayrak, dass die türkischen Exporte wachsen müssten, um das hohe Leistungsbilanzdefizit zu senken. Doch das dies nötig ist, wissen Türkei-Analysten schon seit Jahren. Details erwähnte der 40-Jährige aber nicht. Einziger konkreter Hinweis: Mittels zweier neu geschaffener Fonds will die Regierung die türkischen Staatsbanken mit 28 Mrd. Lira (rund 4,2 Mrd. Euro) versorgen.

Währung fällt

Die türkische Währung fällt unterdessen stetig. Nach der Rede des Finanzministers fiel die Lira von 6,40 auf 6,60 zum Euro. Abseits wirtschaftlicher Kennzahlen ist es vor allem Vertrauen, was dem Land fehlt. Und das ist eben auch politischer Natur. Nur sehr knapp hat die AKP die größte Stadt des Landes, Istanbul, an die Oppositionspartei CHP verloren. Seit zwei Wochen drängt die AKP zuerst auf eine Neuauszählung der Stimmen und jetzt sogar auf eine Wiederholung der Wahl. Investoren signalisiert dies vor allem: Das Land hat ein Demokratiedefizit und ist als Investitionsstandort nicht sicher.

Dazu trägt auch die Ablehnung des Präsidenten gegen hohe Zinsen bei. Erdogan lässt kaum eine Gelegenheit aus, gegen hohe Zinsen zu wettern, die er nicht für ein Mittel gegen, sondern für die Ursache hoher Inflation hält. Bisher ist die Zentralbank seinen Anweisungen nicht gefolgt. Doch das Gerede nährt die Befürchtung, die Währungshüter könnten ihre Unabhängigkeit verlieren.

Und schließlich hängen auch politische Risiken über dem Land. Entgegen etlicher Warnungen aus Washington hält Ankara am Kauf des russischen Raketenabwehrsystems S400 fest. Für den Fall, dass das Geschäft tatsächlich abgewickelt wird, hat die US-Regierung Sanktionen angekündigt. Als dies im vergangenen Sommer das letzte Mal geschah, stürzte die türkische Lira regelrecht ab und verlor innerhalb weniger Wochen 40 Prozent ihres Wertes.

Unternehmensschulden als Achillesferse

Dabei ist die Staatsverschuldung der Türkei eigentlich gering. Sie liegt bei 27,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts – Werte, von denen südeuropäische EU-Staaten nur träumen können. Die Achillesferse der Türkei aber sind die Unternehmensschulden. Viele Firmen haben sich in den vergangenen Jahren günstig in Dollar und Euro verschuldet. Mit einer schwächeren Währung steigt deren Zinslast. Manche Beobachter rechnen damit, dass das Land früher oder später beim Internationalen Währungsfonds (IWF) um Hilfskredite bitten muss. Das haben Präsident Erdogan und sein Schwiegersohn bisher immer wieder ausgeschlossen. Den IWF frühzeitig um Hilfe zu bitten, schrieb Türkei-Experte Timothy Ash auf Twitter, sei der am wenigsten schmerzhafte und leichteste Weg, das Vertrauen der Investoren zurückzugewinnen. (Philipp Mattheis aus Istanbul, 16.4.2019)