STANDARD: Herr Halard, wie viele Häuser haben Sie in Ihrer dreißigjährigen Karriere bereits fotografiert?

François Halard: Es müssen bestimmt tausende gewesen sein.

STANDARD: Welche davon sind Ihnen am stärksten in Erinnerung?

Halard: Gar nicht so viele! Das Studio des Künstlers Cy Twombly zum Beispiel. Es dauerte 15 Jahre, bis ich ihn und sein Atelier porträtieren durfte. Dabei haben wir kaum miteinander gesprochen. Es gefällt mir, wie wählerisch er mit den Objekten war, mit denen er sich umgeben hat.

Er war ein großer Lehrmeister. Dann ist da natürlich die Villa Malaparte an der Ostküste Capris. Curzio Malaparte war der Lieblingsautor meiner Mutter. Und ich kannte natürlich Godards Film Die Verachtung mit Brigitte Bardot und Michel Piccoli. Der wurde dort gedreht. Diese Villa ist ein Selbstporträt des Schriftstellers. Dort wurde die Moderne mit der Antike kombiniert. Es dauerte lange, bis ich die Erlaubnis bekam, zu fotografieren.

Der 58-jährige Architekturfotograf François Halard in seinem Haus im französischen Arles.
Foto: Courtesy of François Halard

STANDARD: Benötigen Sie viel Zeit für Ihre Aufnahmen?

Halard: Es ist eigenartig. Manchmal denke ich jahrelang über bestimmte Plätze nach. Bin ich aber einmal vor Ort und Stelle, dauert es manchmal weniger als eine Stunde, diesen Platz zu verewigen. Das Projekt Malaparte wurde übrigens auch zu meinem ersten Buch.

STANDARD: Inzwischen gibt es schon einen ganzen Stapel Bücher von Ihnen.

Halard: Sie bedeuten mir viel, und die Abwechslung zwischen der Arbeit für Magazine und der für Bücher ist großartig. Ich habe 20 Jahre für die Vogue gearbeitet, da hatte ich weder Kontrolle über die Bilder, die ausgewählt wurden, noch über das Layout. Ich musste die Geschichte eines Ortes auf höchstens zehn Seiten erzählen. Das schränkt ein. Ein ganzes Buch über eine Villa, ein Haus oder ein Atelier zu fotografieren ist für mich wesentlich interessanter.

Großes Foto: 1994 besuchte François Halard das Haus seines Kollegen Richard Avedon auf Long Island.
Foto: Courtesy of François Halard aus dem Buch: François Halard, Rizzoli, 2013 designed von Beda Achermann

STANDARD: Sie bekommen auch Aufträge von privaten Kunden?

Halard: Ja, das stimmt. Immer mehr Menschen wollen ihr Zuhause und ihre Sammlungen gerne dokumentiert haben. Das perfekte Beispiel ist die Arbeit, die ich für die Kunstsammlerin Maya Hoffmann realisieren durfte. Sie gab mir absolute Freiheit beim Fotografieren ihrer Häuser und Kunstkollektionen. Es wurde ein wunderschöner, sehr persönlicher Bildband. Interieurfotografie wurde immer wie ein Stiefkind behandelt. Es gab Landschaftsfotografen, Porträtfotografen, Modefotografen. Interieurfotografie wurde nie als Kunst betrachtet. Dabei hatten angesehene Fotografen wie André Kertész einen Vertrag für Haus und Garten, und auch Man Ray fotografierte viele Interieurs. Aber sie erwähnten es nicht, da es nicht als glamourös galt. Ich kämpfte dafür, dass Interieurfotografie heute als eigene Kunstform angesehen ist.

STANDARD: Was sehen Sie als Erstes, wenn Sie einen Platz betreten, den Sie dokumentieren?

Halard: Ich habe keine vorgefasste Idee. Aber ich lese mich vorher über den Platz, die Familie, den Künstler etc. ein. Diese Informationen sind meine Ausgangspunkte. Manchmal gibt es starke Einschränkungen wie zum Beispiel von Modedesigner Dries Van Noten: Mir wurde nur erlaubt, bestimmte Teile seines Gartens zu fotografieren. Was ich aber wusste, war, dass er an verschiedenste Orte der Welt reiste, um spezielle Pflanzen zu bekommen. Dries' Garten ist ein Kunstwerk und spiegelt sich in seinen Kollektionen wider.

STANDARD: Wie und wo wuchsen Sie selber auf?

Halard: In Paris, in einem wunderbaren Stadtpalais aus dem 18. Jahrhundert. Meine Eltern verkauften es. Bis heute bin auf der Suche nach einem ähnlichen Platz oder eher nach dem Gefühl, das ich an diesem Ort hatte. Ich war als Kind schwerkrank und musste monatelang im Bett liegen. Unser Familienarzt empfahl mir, Mozart zu hören. Wenn ich heute einen Raum betrete, der mich berührt, ist es, als hörte ich Musik. Mit meinen Arbeiten versuche ich, die Seele und die Schönheit meines damaligen Zuhauses wiederzufinden.

STANDARD: Häuser, Plätze, Palais haben Seelen?

Halard: Die Seele entsteht durch die Natur, durch die Architektur und die Menschen, die an einem Ort leben. Für mich haben Objekte, Kunstwerke und Möbel eine Lebendigkeit wie Menschen. Sie haben eine Stärke und Kraft. Eine Seele.

Ein- und Ausblicke auf Capri, wo das berühmte Haus Malaparte steht, das sich der Schriftsteller Curzio Malaparte Ende der 1930er-Jahre von Adalberto Libera errichten ließ.
Foto: Courtesy of François Halard aus dem Buch: François Halard, Rizzoli, 2013 designed von Beda Achermann

STANDARD: Wie fangen Sie diese auf Ihren Fotos ein?

Halard: Als junger Mann begann ich, mein Zimmer zu fotografieren. Das war meine erste Erfahrung mit Raum und Bild. Meine Eltern waren bekannte Inneneinrichter. Sie waren unkonventionell, und unser Haus war unkonventionell eingerichtet. Statt einer Tapete beklebte mein Vater das Badezimmer mit herausgerissenen Seiten aus Vogue, Elle und Harper's Bazaar. Meine Mutter arbeitete mit Helmut Newton, der in unserem Haus fotografierte, und ich schwänzte die Schule, stand heimlich unter dem Stiegenaufgang und beobachtete, wie gearbeitet wurde. Ich verstand, dass man mit der Fotografie eine eigene Welt kreiert. Dass Fotografie zugleich Schutz und Projektion ist.

STANDARD: Wie schaut ein Haus aus, das Sie nicht fotografieren würden?

Halard: Das wäre dann eines dieser typischen großbürgerlichen Häuser, von denen ich sicher auch sehr gute Bilder machen würde. Aber sie interessieren mich nicht sonderlich. Europäische Häuser haben mehr Seele. In den USA ist es oft so, dass ein Zuhause eine Darstellung des sozialen Status ist. Ich sehe dann überall die gleiche Kunst: Christopher Wool, Richard Prince etc., damit jeder gleich weiß, wie viel diese Kunstwerke gekostet haben. Das langweilt.

Objekt im Haus des Künstlers Cy Twombly, wo François Halard im Jahre 1995 fotografiert hat.
Foto: Courtesy of François Halard aus dem Buch: François Halard, Rizzoli, 2013 designed von Beda Achermann

STANDARD: Sie selbst lebten an den verschiedensten Plätzen, darunter waren ein Stadtpalais, ein kleines Appartement, auch ein Loft. Wo lebt es sich am besten?

Halard: Für mich macht es keinen Unterschied. Ein repräsentatives Zuhause, das bestimmten bürgerlichen Vorstellungen entspricht, hat mich nie interessiert. Es kam mir auch nie in den Sinn, diesen Job zu machen, um reich zu werden. Ich wollte die Erfahrung des Reisens und die Erfahrung des Zusammenkommens mit Menschen, die sich voll und ganz für das, was sie tun, engagieren und begeistern. Das ist der wahre Luxus.

STANDARD: Welche Bedeutung haben Möbelstücke für Sie?

Halard: Ich besitze seit Jahrzehnten dieselben Möbelstücke. Ich hatte sie in New York, dann übersiedelte ich sie nach Frankreich, dann wieder zurück nach New York und dann wieder nach Paris in mein Studio.

STANDARD: Waren Sie jemals an einem Ort, an dem Sie am liebsten geblieben wären?

Halard: Nein, ich erinnere mich lieber an Orte. Das verstärkt das Gefühl für sie. Dadurch entsteht ein literarischer Moment. (Cordula Reyer, RONDO Open Haus, 29.7.2019)