Vor 20 Jahren tobte der Krieg zwischen der Nato und dem damals noch von Slobodan Milošević beherrschten Serbien. Im jahrelang schwelenden Kosovo-Konflikt wurde damit die entscheidende Kriegswende zu Gunsten der Kosovo-Albaner durchgesetzt. Vom 24. März bis 9. Juni 1999 wurden verschiedene Ziele in serbischen Städten bombardiert. Am Ende des Krieges stand der Abzug der serbischen Armee und die Unterstellung des Kosovo unter ein internationales Protektorat.

Wie positionierten sich damals Linke, Grüne und Friedensbewegungen in Österreich und Deutschland? Welche Debatten fanden in der Linken statt und welche Folgen hatten diese für die Situation vor Ort und für die Legitimierung des Krieges?

Die Verschwundenen albanischen Opfer der serbischen Armee wurden auch Jahre nach dem Krieg gesucht.
Foto: Thomas Schmidinger

Grüne führen Krieg wegen Auschwitz

Der Kosovo-Krieg war der erste Krieg an dem sich Deutschland nach 1945 aktiv beteiligte und er war einer der ersten Kriege, der mit einer humanitären Begründung von einer Regierungskoalition unter Beteiligung der Grünen geführt wurde. Der damalige deutsche Außenminister Joschka Fischer hatte sich in seiner Rede auf dem Kosovo-Sonderparteitag der Grünen am 13. Mai 1999 zu einem Faschismus-Vergleich verstiegen, der keineswegs nur von Linken kritisiert wurde. Fischer beendete seine Rede, in der er den Nato-Angriff auf Jugoslawien verteidige, mit den Worten "Auschwitz ist unvergleichbar. Aber ich stehe auf zwei Grundsätzen, nie wieder Krieg, nie wieder Auschwitz, nie wieder Völkermord, nie wieder Faschismus. Beides gehört bei mir zusammen. Deswegen bin ich in die Grüne Partei gegangen."

Dieser implizite Auschwitz-Vergleich und die humanitäre Begründung der Kriegsführung führte insbesondere in Deutschland aber auch in Österreich zu einer sehr ausgeprägten Kriegsdebatte innerhalb der Grünen und in der Linken. Dabei zeigte sich allerdings, dass sich nur sehr wenige Einzelpersonen vor dem Krieg mit dem Kosovo auseinandergesetzt hatten. Fast alle linken Gruppen beurteilten den Krieg nicht aus einer Analyse der Situation in Serbien und im Kosovo heraus, sondern aufgrund der internationalen Akteure oder aufgrund von schematischen ideologischen Einordnungen.

Pro-serbische Linke

In der radikalen Linken dominierte 1999 eine pro-serbische Position, die interessanterweise auch ansonsten feindselige Lager innerhalb der Linken vereinte. So positionierten sich sowohl die meisten antiimperialistischen als auch die meisten sogenannten antideutschen Gruppen auf der Seite Serbiens und gegen die Militärintervention der Nato. Auch die KPÖ stimmte in diese pro-serbische Haltung ein und beteiligte sich unter anderem mit ihrem damaligen Parteivorsitzenden Walter Baier als Redner an den Kundgebungen, die von verschiedenen serbischen Organisationen in Wien organisiert wurden. War diese Ablehnung bei den antiimperialistischen Gruppen primär der Ablehnung der Nato im Allgemeinen und der USA im Besonderen geschuldet, so sahen die meisten Antideutschen im Kosovo-Krieg eine Fortsetzung des deutschen Imperialismus gegen Serbien, das schon zwei Mal historisch zum Opfer desselben geworden wäre. Auf Antikriegs-Demonstrationen in Wien oder Berlin fanden sich so während des Krieges sowohl antideutsche als auch antiimperialistische Linke mit serbischen Nationalisten ein. In Wien nahmen vieler dieser Linken auch dann nicht Abstand von den gemeinsamen Demonstrationen, als serbische Nationalisten mit Uniformen und Handzeichen der četnici - also der serbischen Rechtsextremisten - auftauchten und entsprechend nationalistische Transparente enthüllten in denen ein serbisches „Amselfeld“ (eine im serbischen Geschichtsmythos wurzelnde Bezeichnung des Kosovo) gefordert wurde.

Ich kann mich persönlich an Gespräche mit sogenannten Antideutschen erinnern, die 1999 ernsthaft behaupteten, dass man eigentlich Spenden für "Waffen für Serbien" sammeln müsste. Zu einem der härtesten Propagandisten eines pro-serbischen Kurses in der Linken gehörte im deutschsprachigen Raum der damals noch als Vordenker der so genannten Antideutschen gefeierte Jürgen Elsässer, der bereits im bosnischen Bürgerkrieg auf der serbischen Seite Stellung bezogen hatte und in einer ganzen Reihe linker Medienprojekte mit seiner Kritik an den angeblichen "Kriegslügen" Deutschland zu Wort kam. Elsässers Wandlung beziehungsweise Weiterentwicklung vom antideutschen Linken zum Querfrontaktivisten und Rechtspopulisten in den letzten Jahren, hat übrigens nichts an dessen Sympathien in Südosteuropa geändert. Seine Parteinahme für den serbischen Nationalismus ist eine der Kontinuitäten seines politischen Œuvre.

Jenseits der sich damals als "radikal" begreifenden Teile der Linken, fanden aber auch etablierte Linksliberale und Kunstsinnige wenig dabei, dass sich der kärntner Schriftsteller Peter Handke spektakulär mit seinem Text ""Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morava und Drina oder Gerechtigkeit für Serbien" dem serbischen Regime solidarisierte. Handke machte schließlich 2006 noch beim Begräbnis von Slobodan Milošević deutlich, dass er nichts von seinen politischen Stellungnahmen zu überdenken gewillt war. Manche fanden das nach dem Fall des Regimes despektierlich. Sieben Jahre zuvor konnte der Schriftsteller damit aber durchaus noch in linksliberalen Kreisen punkten. Zu viele, die sich irgendwie als "kritisch" betrachteten sahen bei den Kriegsverbrechen der Kriegsgegner der NATO einfach weg.

Pro-albanische Linke

Auf der anderen Seite standen einige Kleingruppen, die in der – ursprünglich aus der Linken kommenden – UÇK eine linke nationale Befreiungsbewegung sahen, die es in linker antikolonialer Tradition zu unterstützen gelte. In Deutschland wurde diese Position von der Gruppe ArbeiterInnenmacht und in Österreich vom ArbeiterInnenStandpunkt (ASt) eingenommen, die beide aus einer trotzkistischen Tradition stammen. Wichtiger als diese in vielfacher Hinsicht obskur wirkenden Kleingruppen waren allerdings vermutlich einzelne linke Intellektuelle, wie der Journalist, Autor und Politiker der damaligen PDS Max Brym, der sich über einen langen Zeitraum hinweg hinter die albanische Unabhängigkeitsbewegung für den Kosovo gestellt hatte und auch nach 1999 vor allem die linksnationale Strömung um Albin Kurti unterstützte.

Durch Mitrovica verlief nach 1999 die Trennungslinie zwischen serbischem und albanischem Kosovo.
Foto: Thomas Schmidinger

Antinationale Kriegs- und Nationalismuskritik

Eine dritte Position wurde von einigen Gruppen der anarchistischen, autonomen und antinationalen Linken eingenommen, die sich in abstrakter Weise "gegen Krieg und Nationalismus" äußerten und sowohl das serbische Regime als auch die UÇK ablehnten und sich sowohl gegen die Nato-Intervention, als auch gegen den serbischen Krieg und Nationalismus wandten. In Wien erkärten in einem gemeinsamen Flugblatt der ARGE Kriegsdienstverweigerung Graz, des Ernst-Kirchweger-Haus (EKH), der Freie ArbeiterInnen Union Wien (FAU), der Infoladen Wels, die Ökologische Linke (ÖKOLI), der Revolutionsbräuhof (RBH) und die Rosa Antifa Wien (RAW): "Nein zum Krieg! Nein zum völkischen Wahn!" Unter der Zwischenüberschrift "Krieg ist das größte Übel" erklärte das Flugblatt:

"Im Kosovo brennen die Dörfer, Menschen sind auf der Flucht, Frauen werden vergewaltigt, mißliebige Personen werden erschossen. In den jugoslawischen Städten sterben ZivilistInnen im Bombenhagel, auch in den Kasernen, die nach wie vor mit serbischen Flüchtlingen aus der Kraijna überfüllt sind. In einer Stadt wird eine Treibstoffabrik bombardiert, eine ökologische Katastrophe ist die Folge. Die NATO rühmt sich, mittlerweile 80% der Ziele zu treffen. Bleiben noch immer 20%, die etwas anderes treffen. Das hieße, von 1000 Bomben treffen 200 unbeabsichtigte Ziele. Dann mit den Angriffen zufrieden zu sein, ist menschenverachtender Zynismus, der nur einem Militärschädel einfallen kann."

Während der Einsatz der Nato ebenso entschieden abgelehnt wurde, wie ein möglicher Nato-Beitritt Österreichs, wurde auch klar gegen die pro-serbischen Demonstrationen Stellung bezogen. In weiterer Folge kritisierten die anarchistischen und antinationalen Kriegsgegnerinnen und -kriegsgegner sowohl die serbische als auch die albanische Kriegspropaganda und kamen schließlich zum Schluss beide abzulehnen und einen gewisse Abstand einzunehmen:

"Es ist schlichtweg nicht möglich, für irgendeine Seite Partei zu ergreifen, sowohl für die SerbInnen als auch für die AlbanerInnen, beide Seiten ergehen sich im nationalistischen Wahn. Was bleibt, ist die Politik der NATO zu verurteilen, und einmal mehr darauf hinzuweisen, daß einige österreichische Politiker (vor allem aus FPÖ und ÖVP) Österreich in ein solches Bündnis treiben wollen."

Auch wenn ich Teil dieser politischen Auseinandersetzungen war, an diesem Flugblatt 1999 mitgeschrieben habe und ich mich regelmäßig an den wöchentlich stattfindenden Mahnwachen "gegen Krieg und Nationalismus" dieser Gruppen beteiligte, so muss ich 20 Jahre später gestehen, dass wir es uns mit einer solchen Position auch relativ einfach gemacht haben. Mit Sicherheit hatten wir damals weniger daneben gegriffen als jene Antideutschen und Antiimperialisten, die gemeinsam mit serbischen Nationalisten gegen die Nato und für Milošević demonstriert hatten oder jene, die in der UÇK eine linke Befreiungsbewegung sahen. Allerdings haben auch wir uns damit auf eine weitgehend abstrakte Position zurückgezogen, die nur möglich war, da wir keinerlei Einfluss auf die realen politischen Geschehnisse hatten. Auch unsere Beschäftigung mit dem Krieg war kaum einer empirischen Beschäftigung mit der Region geschuldet, sondern vielmehr einer ideologischen Überzeugung, die eben jeden Nationalismus und Krieg ablehnte.

2018 feierte der Kosovo den zehnten Jahrestag der unilateralen Ausrufung seiner Unabhängigkeit.
Foto: Thomas Schmidinger

Heiße Debatten ohne politische Relevanz

Die Positionierung zum Kosovo-Krieg war 1999 in der deutschsprachigen Linken, sowohl in Deutschland als auch in Österreich ein relativ heiß diskutiertes Thema. Die Leidenschaft mit der dieses debattiert wurde, stand allerdings in indirekter Proportionalität mit einer Beschäftigung mit den Verhältnissen vor Ort. Im Wesentlichen wurde der Krieg überwiegend ausschließlich vor der Schablone deutscher und österreichischer Geschichte und Politik debattiert. Dabei kam es auch zu scharfen politischen Konflikten. In Österreich bildete der Kosovo-Krieg die erste politische Zäsur zwischen dem sogenannten antideutschen und dem antinationalen Lager in der Linken, nachdem sich ersteres auf die Seite Serbiens, zweiteres mit anarchistischen und antimilitaristischen Lagern gegen beide Seiten gestellt hatte. In der kleinen linksökologischen Partei Ökologische Linke (ÖKOLI) führte der Konflikt zur Trennung zwischen der von Jutta Ditfurth geführten deutschen ÖKOLI und der erst im Jahr zuvor gegründeten österreichichen ÖKOLI. Ditfurth arbeitete eng mit serbischen Gruppen zusammen, mit denen ihr 2001 unter dem Namen "ÖkoLinX-Antirassistische Liste" mit auch mit einem Mandat der Einzug in das Frankfurter Stadtparlament gelang. Ditfurth hatte sich im Krieg weitgehend mit der serbischen Seite solidarisiert. Die antinationalistische Position der ÖKOLI in Österreich erzürnte Ditfurth damals dermaßen, dass sie nicht nur jede Zusammenarbeit mit der österreichischen Gruppe einstellte, sondern auch massiv Druck ausübte den Namen zu ändern, um nur ja nicht mit solchen Positionen in Berührung zu kommen.

Umgekehrt sah es bei den Grünen aus, von denen sich die ÖKOLI ja abgespalten hatte. Hier positionierte sich die deutschen Grünen nicht nur für die Nato-Intervention. Als Regierungspartei trug sie einen wesentlichen Teil der politischen Verantwortung für die deutsche Beteiligung am Krieg und bespielte in der Person von Außenminister Joschka Fischer die humanitäre Argumentation für den Krieg. Die Beteiligung einer Partei, die maßgeblich aus der deutschen Friedensbewegung hervorgegangen war, war mit großer Wahrscheinlichkeit geradezu entscheidend dafür, dass Deutschland zum ersten Mal nach 1945 bereit war, sich wieder aktiv an einem Krieg zu beteiligen. Auch hier vertrat die österreichische Schwesterpartei eine andere Position. Zwar gab es auch innerhalb der österreichischen Grünen eine kriegsbefürwortende Fraktion um den damaligen Nationalratsabgeordneten Peter Pilz, diese konnte sich allerdings nicht als Parteilinie durchsetzen. Einigen grünen Pazifistinnen und Pazifisten galt der schwankende Kurs der österreichischen Grünen angesichts der Kriegsbeteiligung Deutschlands allerdings trotzdem als zu wenig antimilitaristisch und so kam es im Mai 1999 zu einem demonstrativen Austritt von 16 oberösterreichischen Grünen, darunter dem damaligen politischen Sekretär der Grünen in Linz, Gerald Oberansmayr. In der Austrittserklärung der Gruppe hieß es damals:

"Grüne Parteien, vor allem die Grünen in Deutschland und Frankreich, sind zu Kriegstreibern geworden. Umso notwendiger wäre es gewesen, dass die österreichischen Grünen eine klare Trennlinie zu den Kriegstreibern in der eigenen Bewegung setzen. Trotz massivem Druck von der Parteibasis hat sich die Führung der österreichischen Grünen nie zu einer klaren Verurteilung der Kriegsgrünen in Deutschland und Frankreich durchringen können. Die Forderung, sich von diesen Grünparteien auf europäischer Ebene zu trennen, wurde klar abgelehnt."

Deutsche und österreichische Linke

In den meisten Fällen verhielten sich Gruppierungen, die sowohl in Deutschland, als auch in Österreich vertreten waren, allerdings relativ ähnlich. Die Bundestagsfraktion der Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS), die Vorgängerpartei der heutigen deutschen Partei "die Linke", hatte als einzige Fraktion im deutschen Bundestag gegen die Beteiligung Deutschlands an den Nato-Angriffen gestimmt, wobei sich verschiedene Teile der Partei in Bezug auf Nähe oder Kritik an der serbischen Position unterschieden. Eine ganz ähnliche Position war bei der nicht im Nationalrat vertretenen kleinen Schwesterpartei, der KPÖ, zu beobachten.

Vereinfacht kann festgehalten werden, dass sich die Mehrheit der antiimperialistischen Linken in Deutschland und Österreich 1999 mehr oder weniger hinter die serbische Regierung stellte, den Nato-Einsatz jedenfalls ablehnte und in ihrer Mehrheit auch kein Problem damit hatte, gemeinsam mit regimetreuen und nationalistischen serbischen Gruppierungen gegen diesen zu demonstrieren. Die sogenannte antideutsche Linke vertrat eine ganz ähnliche Position und fand sich teilweise mit Gruppierungen auf den selben Demonstrationen wieder, die sie sonst zu ihren innerlinken Erzfeinden erklärt hatten. Ein kleiner Teil dissidenter antiimperialistischer Linker solidarisierte sich mit der UÇK und das autonome, anarchistische und antinationale Spektrum tendierte zu einer allgemeinen Position gegen Krieg und Nationalismus, die sich gegen alle Beteiligten richtete. Auch in den parlamentarischen Parteien der Linken waren diese Positionen grundsätzlich vertreten. Während sich die Führung der PDS allerdings gegen die Beteiligung am Kriegseinsatz positionierte, waren die deutschen Grünen ein wesentlicher Motor desselben, was zu schweren parteiinternen Konflikten in deren österreichischen Schwesterpartei führte.

Die deutschsprachige Linke hatte insgesamt wenig bis gar keinen Einfluss auf die Geschehnisse des Krieges von 1999 und im Nachhinein muss ich gestehen, darüber relativ froh zu sein. (Thomas Schmidinger, 23.5.2019) 

Literaturhinweis

"Kosovo - Geschichte und Gegenwart eines Parastaates", Thomas Schmidinger.

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