Über das gute Ergebnis bei der EU-Wahl herrscht auf der Wahlparty der Grünen in Berlin Freude.

Foto: imago/F.Boillot

Seit Monaten vermeinte man sie am Horizont heranrollen zu sehen. Doch als die "grüne Welle" am Sonntagabend das EU-Parlament erreichte, schien sie zuvor bereits von Sturmbarrieren abgeschwächt worden zu sein. Sicher: In einzelnen EU-Staaten erreichten grüne Parteien gute, zum Teil auch überraschende Ergebnisse. Insgesamt aber ist der Trend weniger klar als erwartet: Rund 70 Mandate werden es nach Auszählungsstand vom Montag im neuen EU-Parlament, das sind 18 mehr als bisher.

Es ist ohne Zweifel ein respektabler Erfolg für die grüne Parteienfamilie – aber es ist nicht jener überbordende Triumph, den sich viele in der europäischen Ökobewegung, beflügelt von monatelangen Fridays-for-Future-Protesten, erhofft hatten. Erwartete Lichtblicke, wie der Erfolg in Deutschland, wurden von Überraschungen wie dem wohl zweiten Platz in Irland, Zugewinnen in Frankreich und dem Erfolgen in Österreich, Luxemburg, Finnland und Großbritannien begleitet.

Östliche Sorgenkinder

Andererseits: Ausgerechnet in Schweden, Heimatland der Jugendaktivistin Greta Thunberg, taten sich die Grünen zuletzt schwer: Enttäuschende Jahre der Regierungsbeteiligung unter dem sozialdemokratischen Premier Stefan Löfven quittierten die Wählerinnen und Wähler Ende 2018 beinahe mit dem Rausschmiss aus dem Reichstag – und am Sonntag bei der EU-Wahl mit einem Minus von vier Prozentpunkten.

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Anderswo – etwa in Spanien oder am Baltikum – sind es vor allem separatistische Parteien oder solche, die eine nationale Minderheit vertreten, die zu Erfolgen der EU-Fraktion EFA beitragen. Ökologische Themen sind für sie oft höchstens zweitrangig. Vor allem aber: Die Grünen haben ein massives Ost-West-Problem – noch immer, trotz wachsender Klimasorgen auch dort. In kaum einem Land, das in den jüngsten Erweiterungsrunden der EU beigetreten ist, haben sich bisher tragkräftige grüne Parteistrukturen gebildet. Dort, wo sie kurzfristige Erfolge feierten – etwa die Regierungsbeteiligung in Tschechien 2006 –, sind sie nach kurzer Zeit an der Macht gescheitert.

Ost und West in Deutschland

Wie unterschiedlich die Erwartungen in Ost und West sind, wie verschieden die Politiktraditionen – das gibt es auch immer noch in Deutschland zu beobachten. Ihre größten Erfolge konnten die Grünen im Westen einfahren. In Berlin, Hamburg, Schleswig-Holstein wurden sie sogar stärkste Kraft. In den ostdeutschen Bundesländern hingegen liegen sie zwischen acht und zwölf Prozent.

Trotzdem: Deutschland bleibt jener Staat, von dem nun auch die anderen europäischen Grünen zu lernen hoffen. Die 20,5 Prozent vom Sonntag bedeuten eine Verdoppelung des Stimmanteils – der Mandatszuwachs der deutschen Grünen macht allein die Hälfte des EU-weiten Grünen-Plus aus.

Zum ersten Mal verwies die Ökopartei bundesweit die SPD auf Platz drei. Auch bei der Landtagswahl in Bremen stiegen sie von 15,1 auf 17,5, zudem legten sie bei den Kommunalwahlen, die Sonntag in neun deutschen Ländern stattfanden, zu. Für Grünen-Chef Robert Habeck ist klar: "Wir sind ins Zentrum der politischen Debatte gerückt." Man wisse, "dass wir mit dem Ergebnis den Auftrag bekommen haben, eine orientierungsgebende Kraft zu sein".

Er und Annalena Baerbock führen die Grünen seit Jänner 2018, die EU-Wahl war für beide der erste bundespolitische Test. Wie keine andere Partei setzen die deutschen Grünen auf das Thema Klimapolitik, nach dem Dürre- und Hitzesommer 2018 brachte ihnen das noch einmal einen Schub. Auch immer mehr liberale CDU-Anhänger fühlen sich bei ihnen gut aufgehoben.

Wahlsieger unter 30

Vor allem aber sind es – Stichwort Fridays for Future – die Jungen, bei denen die Grünen reüssierten. Bei den 18- bis 24-Jährigen wählten laut Infratest Dimap 34 Prozent die Partei; bei den 25- bis 34-Jährigen 27 Prozent; dann hoch bis zu den 60-Jährigen immer noch jeder Vierte. Zum Vergleich: In Österreich gingen 28 Prozent aller Stimmen von Wählerinnen und Wählern unter 29 an die Grünen – auch hier wäre das Platz eins vor der SPÖ gewesen. Sven Giegold, deutscher Spitzenkandidat, verspricht vor allem den Jungen: "Wir werden die Stimme der Klimabewegung von der Straße ins Parlament tragen."

Doch die neue Stärke bringt auch Probleme. In manchen Kommunen erreichten die Grünen am Sonntag 40 Prozent. Sie haben aber "nur" 80.000 Mitglieder. Das bedeutet also, so Habeck mit einem Augenzwinkern: "Alle, die bei den Grünen nicht bei drei Nein sagen, kriegen ein Amt." Mit sehr viel mehr Ernst meint er aber auch: "Wir wissen, dass wir eine Hoffnung wecken, die erfüllt werden muss. " Aber was, wenn passiert, was in Deutschland zunehmend logisch scheint – wenn die Grünen tatsächlich in Verantwortung kommen? Dann müsste sich beim Klimaschutz wirklich etwas ändern – sonst ist der Hype schon bald wieder vorbei. (Birgit Baumann aus Berlin, Manuel Escher, 27.5.2019)