Wie sie mit ihren Freundinnen unter dem Sonnenschirm tratscht, lautstark mit den Nachbarn am Strand darüber diskutiert, wie viele Eier denn nun in die perfekte Carbonara-Sauce gehören, die Sandburg bauenden Enkelkinder hütet, die Füße im Meerwasser kühlt ... und dabei in jeder Situation Haltung bewahrt. Keine Frage: Die Nonna umgibt eine Aura der Souveränität.

Jahrelang habe ich dieses fast schon gnadenlos klischeehafte Treiben an der oberen Adria beobachtet – und insgeheim habe ich sie beneidet: die Nonna am Strand von Grado, die Nonna am Lido von Jesolo. Um jenes Objekt, das die zweifellos untadelige Persönlichkeit der alten Damen verstärkt: den Klappsessel. Ein Kunststoff-Thron, simpel, bodenständig und doch erhaben. Ein Luxusgut in gewisser Hinsicht.

Freiheit am Strand: hier in Rot statt Blau.
Foto: Getty Images/iStockphoto/FilippoBacci

Nur am Strand funktioniert er, überall anders schaut er mit seinen gar kurzen Haxen deppert aus. Und damit jeder, der darin Platz nimmt, zwangsläufig. Ich hab's ausprobiert – im eigenen Garten, auf der Donauinsel, in Kingstontown am Schotterteich. Es geht nicht.

Aber auf dem Strand entfaltet er seine volle, magische Wirkung. Der Sand gibt dem Outdoormöbel die nötige Standhaftigkeit, aber auch Flexibilität, die es einem ermöglicht, bequem zu sitzen. Eigentlich ist es eher eine Mischung aus Sitzen und Liegen. Der Rücken ist so gut wie aufrecht, der Hintern wird von der Sitzfläche knapp über dem Boden gehalten, die Beine sind ausgestreckt, die Füße ruhen im warmen Sand. Ideal zum Lesen. Vor allem muss man sich nicht würdelos mit der Rückenlehne der Strandliege herumquälen.

Prima fila

Während diese meist streng an ihren dazugehörigen Sonnenschirm gekettet ist, ist der Klappsessel Plastik gewordene Freiheit. Mit ihm kann man aus der Reihe tanzen, gegen die blockförmige Konformität, die an den genannten belebt-beliebten Gestaden der Adria herrscht. Man sitzt-liegt, wenn man möchte, immer prima fila, jedenfalls garantiert fußfrei. Und das ganz ohne Aufpreis.

Stimmt nicht ganz. Zehn Euro waren für das knallblaue Möbel zu berappen, das ich seit dem Sommer 2018 mein Eigen nenne. Circa fünf Jahre Bedenkzeit waren für diesen Entschluss notwendig. Aber nein, das ist maßlos übertrieben. Es waren insgesamt doch eher nur fünf Wochen über fünf Jahre verteilt, weil nur im Urlaub und nur am Ferienort macht man sich darüber Gedanken.

Die einzige Strandschönheit weit und breit ist aus blauem Kunststoff und lässt sich zusammenklappen.
Collage: Magdalena Rawicka

Dann aber nicht nur über die Anschaffung, sondern zum Beispiel auch über den Coolnessfaktor eines solch eigentümlichen Mobiliars. Wie man es auch dreht und wendet, mit Coolness hat der kurzbeinige Klappstuhl so wenig zu tun wie Jesolo mit Portofino. Aber wer hätte gedacht, dass beispielsweise Birkenstock-Schlapfen jemals hip sein könnten?

Dann ist da noch die Sache mit den Kindern. Jesolo ohne Kinder wäre witzlos, nur mit ihnen bekommt der ganze Wahnsinn Sinn: Das gemeinsame Herumgegatsche im nassen Sand, das Drama des verlorenen Eisstanitzels, die Aufgabe jeder pädagogischen Vernunft. Hat man das einmal begriffen, gibt es kein Halten mehr, nur noch die richtige Haltung: sitzend-liegend.(Markus Böhm, RONDO, 27.6.2019)