Hat seit heuer das Wohl und Wehe der Wiener Festwochen in der Hand: Christophe Slagmuylder.

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Christophe Slagmuylder ist kein Freund der großen Formate. Auf die dicken Theater-Brummer, die regieführende Intendanten wie Luc Bondy noch großzügig gewährten, legt der Belgier weniger wert. Auch wenn seinem ersten, am Sonntag zuende gehenden Programm eine Luxusproduktion wie Mary Said What She Said mit Isabelle Huppert gut in den Kram gepasst haben muss. Sie wurde noch von Vorgänger Tomas Zierhofer-Kin angeleiert.

Der puppenhafte Höllenritt durch den leidenschaftlichen Kampf der schottischen Königin Maria Stuart mit ihren Widersachern brachte als Star-Goodie das Festwochen-Stammpublikum auf seine Kosten. Die Sehnsucht nach Großem, das populär und qualitätvoll zugleich ist, konnte gestillt werden. Und damit ist jener Teil des Publikums wieder friedlich, der sich in den vergangenen zwei Jahren um seine Theaterkunst betrogen und abgewiesen fühlte.

Doch macht Slagmuylder so vieles anders als sein Vorgänger? Eigentlich nicht. Bereits im Vorfeld hat der vormalige Leiter des Kunstenfestivaldesarts in Brüssel einbekannt, gar nicht so weit von Zierhofer-Kins Ausrichtung abrücken zu wollen. Allerdings hat er einige entscheidende "Korrekturen" vorgenommen: Er hat die Party-Schiene Hyperreality abgedreht, hat mit einem theatralen Großevent eröffnet (Diamante), hat einige Klassiker zurückgeholt (Castellucci, Keersmaeker, Liddell) und grundsätzlich mehr auf Schauspielformate geachtet. Dass die organisatorischen Abläufe wieder einwandfrei funktioniert haben, wurde ebenfalls dankend zur Kenntnis genommen.

Kurator mit Adressbuch

Fairerweise muss man sagen: Slagmuylder hatte es auch gar nicht so schwer, mit offenen Armen empfangen zu werden, so weidwund gab sich das Publikum vor seiner Bestellung. Ihm, dem versierten Kurator mit dem dicken Adressbuch, flogen alle Hoffnungen entgegen. Wer das satte Programmheft zu Beginn in Händen hielt, freute sich auf eine vielversprechende Mischung aus Bekanntem und Unbekanntem. Einzig Operngeher wurden klar enttäuscht, für eine große Oper fehlen im Moment sowohl Geld wie Zeit. Kleiner Trost: Musik war dennoch integraler und mehr als nur begleitender Bestandteil vieler Festwochenarbeiten.

Und doch bleibt nun am Ende der Festwochen 2019 auch ein etwas lauer Geschmack zurück. Die Eile, mit der diese Ausgabe sichtlich zusammengestellt wurde, tritt nun deutlich zutage. Vor allem vermittelten die vielen über das Kunstenfestivaldesarts eingeschleusten Arbeiten den Eindruck, ein später Aufguss aus Brüssel zu sein.

Einige Performances konnten nicht leugnen, schon ein paar Jährchen am Buckel zu haben. Man vermisste jedenfalls Pionierleistungen, wie sie die französische Performancekünstlerin Phia Ménard in ihrer erschütternden Show Contes Immoraux – Partie 1: Maison Mère vollbrachte. Da kann man wahrlich mit Miley Cyrus sagen: "She came in like a wrecking ball" und lehrte das Publikum mit ihrem Ikea-Parthenon als Sinnbild für Europa das Fürchten.

Geste der Betroffenheit

Ein wenig Künstlerpech war in den letzten sechs Wochen aber ebenfalls dabei: Milo Rau, dessen Orest in Mossul ein Knaller hätte werden können, blieb trotz heißem Bemühens im Betroffenheitsgestus stecken. Auch war Krystian Lupas Proces ein großer Schritt in die Vergangenheit mit eigentümlichen Männerfantasien.

René Polleschs Deponie High-field ging nicht auf, sogar Ersan Mondtags Inbetriebnahme eines Sibylle-Berg-Textes hing trotz furiosem Benny Claessens durch. Genau dies aber waren die großen Formate, die im Rampenlicht stehen, in die viel Geld fließt und über die sich Theateraficionados die Haare raufen.

Die Erfolge lagen eher im Kleinen, etwa die wundersame Spracherkundungsoper Penelope Sleeps von Mette Edvardsen und Matteo Fargio oder der filigrane Tonspurkrimi Voicelessness aus dem Iran oder die kontemplative Geschwisterstudie This Song Father Used To Sing des Thailänders Wichaya Artamat. Nur schafft das Kleinteilige nicht jenen Sog, den ein Festival dieser Größe braucht, um wirklich zu wummern.

Eifrig dabei, Publikum kennenzulernen

Über die lange Dauer von sechs Wochen hat sogar Slagmuylder selbst noch vor der Halbzeit gestöhnt; der Chef war immer und überall und nicht nur zu Premierenterminen zugegen, um sein Publikum kennenzulernen. Respekt! Gut möglich, dass er über eine kürzere Laufzeit nachdenkt, um die Spannung besser halten zu können.

Und die Erste Bank Arena? Der große Traum vom neuen Publikum an der Peripherie hat zunächst vor allem symbolischen Wert. Die Publikumsarbeit steht hier noch am Anfang und kann auch nicht von den Festwochen allein geleistet werden. Dennoch sind Arbeiten wie Beat House Donaustadt von Anna Witt Modelle dafür, wie ein Festival im großen Stil auf Menschen zugehen und sie mit Ideen konfrontieren kann. Genau darum geht es ja. In puncto Neuentdeckungen? Gibt es tatsächlich noch Luft nach oben. (Margarete Affenzeller, 14.6.2019)