Seit 2000 ist Bernd Mayländer Fahrer des Safety-Cars in der Formel 1. Sein aktuelles Gefährt ist ein Mercedes-AMG GTR, Spitze: 318 km/h.

Foto: FIA/DPPI

Bernd Mayländer lenkt seit 2000 das Safety-Car (SC) in der Formel 1. Jenes Auto, das nach brenzligen Vorfällen das Fahrerfeld sicher und geordnet über die Strecke führen soll, bis die Lage wieder beruhigt ist. Im Regen-Grand-Prix von Hockenheim war der Deutsche im Dauereinsatz – zur Freude der Zuseher: Denn nach einer SC-Phase fängt das Rennen wieder bei null an. Spannung, die die Formel 1 in dieser Saison schmerzhaft vermisst. "So gesehen wäre es schön, wenn man mich am Sonntag auf der Strecke sieht", sagt Mayländer vor dem Grand Prix von Ungarn am Sonntag (15.10 Uhr, ORF 1).

STANDARD: Wie wird man Safety-Car-Fahrer?

Mayländer: Der Job wird nicht ausgeschrieben. 1999 haben Charlie Whiting (damaliger Renndirektor des Weltautomobilverbands Fia, Anm.) und Herbie Blash (dessen Vize, Anm.) beim Großen Preis von San Marino einen Ersatzfahrer für das Safety-Car in der Formel 3000 gesucht. Dessen Stammfahrer, Oliver Gavin, hatte selbst einen Renneinsatz und ging dann am Ende des Jahres in die USA in die American Le Mans Series. Damit übernahm ich auch seinen Job in der Formel 1.

STANDARD: Welchen Spielraum haben Sie bei einem Einsatz?

Mayländer: Keinen großen. Die Race-Control bestimmt alles, was ich im Safety-Car mache. Wann ich auf die Strecke rausmuss, wann rein. Mein Beifahrer übernimmt den Funk. Ich höre mit und agiere dementsprechend.

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Das Safety-Car im Einsatz, hier beim GP von Österreich im Jahr 2016.
Foto: REUTERS/Ronald Zak/Pool

STANDARD: Wo sind Sie während eines Rennens, wenn nicht auf der Strecke?

Mayländer: Im Fahrzeug bei laufendem Motor. Wir wollen nicht riskieren, dass es im Ernstfall nicht anspringt, weil so viele Systeme hochfahren müssen, etwa GPS und Fernsehen. Sobald eine gefährliche Situation entsteht, schalte ich auf Standby. Wenn die Rennleitung das Zeichen gibt, versuche ich so schnell wie möglich auf die Strecke zu kommen. Im Idealfall komme ich direkt vor das Führungsauto. Dann muss ich niemanden passieren lassen, um sich rückzurunden. Ich kitzle nicht wie F1-Autos im Qualifying-Modus das letzte Prozent raus, aber fahre in zügigem Renntempo.

STANDARD: Fahrer kritisieren Sie immer wieder dafür, zu langsam zu fahren. Wie reagieren Sie darauf?

Mayländer: Ich nehme es mit Humor. Ich kann die Fahrer verstehen, ich würde als Führender ähnlich reagieren, wenn mir das Safety-Car den Vorsprung wegnimmt. Meine Aufgabe ist jedoch, das Fahrerfeld so schnell wie möglich zusammenzuführen. Die ersten Runden sind daher relativ langsam. Wenn das nächste Auto hinterm Führenden 70 Sekunden hinten ist, muss ich noch langsamer fahren, auch wenn ich gerne manchmal selbst schneller fahren würde. Aber Emotionen sind im Sport wichtig. Deshalb bin ich auch keinem Fahrer böse.

STANDARD: Gab es schon brenzlige Momente fürs Safety-Car?

Mayländer: Ich würde lügen, wenn ich Nein sage. Bei starkem Regen war's manchmal heikel. Deshalb muss hier auch ein professioneller Rennfahrer drinnen sitzen.

STANDARD: Beeinflusst Sie die sportliche Situation?

Mayländer: Als Nico Rosberg und Lewis Hamilton 2016 im letzten Rennen in Abu Dhabi um die Weltmeisterschaft kämpften, habe ich mir wirklich gewünscht, nicht raus zu müssen. Es war auch schon so spannend genug. Ich war froh, dass es sportlich fair entschieden wurde.

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Mayländer ist froh, dass der WM-Kampf zwischen Rosberg und Hamilton ohne Safety-Car auskam.
Foto: REUTERS/Paulo Whitaker

STANDARD: Was hat sich seit 2000 in Ihrem Job geändert?

Mayländer: Die Aufgabenstellung ist gleich geblieben, die Anzahl der Aufgaben ist aber gewachsen. Früher bin ich am Freitag zur Fahrerbesprechung um 17 Uhr gekommen. Heute bin ich schon um 7 Uhr Früh auf der Strecke. So zieht sich's leider durchs ganze Wochenende.

STANDARD: Wie sieht ihr typisches Rennwochenende aus?

Mayländer: Donnerstagfrüh komme ich an, Techniker überprüfen das Fahrzeug. Ich erhalte die letzten Streckeninfos, etwa ob die Boxeneinfahrt oder manche Curbs umgestaltet wurden. Um 14 Uhr teste ich die Rennstrecke eine Stunde lang und überprüfe Funk und GPS. Als Rennfahrer blickt man auch auf die Rundenzeit und tastet sich in den Kurven ans Limit ran. Am Freitag, Samstag und Sonntag habe ich morgens noch kurze Testfahrten, um die Elektronik zu überprüfen. Am Setup wird nicht mehr viel gearbeitet. Man muss die Kirche im Dorf lassen, das ist ein Safety-Car und kein Race-Car.

STANDARD: Was ist Ihre Rolle in der Fahrerbesprechung?

Mayländer: Ich höre mir gerne an, was die Fahrer über die Strecke sagen, um mir selbst ein Bild davon zu machen. Letztlich sind wir Rennfahrer alle gleich. Und durch meine Erfahrung kann ich auch Tipps geben, über welche Curbs man abkürzen kann. Zudem muss ich auch manche Dinge kommunizieren. In Bahrain kann man etwa von Kurve eins direkt auf Kurve drei abkürzen. Sollte also in Kurve eins etwas passieren, müssen die Fahrer wissen, dass sie mir hinterher direkt in Kurve drei folgen sollen – nicht dass ich plötzlich allein fahre und alle anderen in die andere Richtung. Ich bin nicht für mich da, sondern für die anderen. Für mich ist letztlich nicht wichtig, wer gewinnt. Ich will ein tolles Rennen sehen.

STANDARD: Von denen gab's heuer nicht viele. Ist die Formel 1 aufgrund der Mercedes-Dominanz zu langweilig?

Mayländer: Solche Phasen hat es schon immer gegeben, mit Ferrari, McLaren oder Williams. Man sollte den Fehler jedoch zuerst bei den langsameren Teams suchen. Mercedes weiß, was es tut, viele andere wissen nicht, was sie tun müssen. Langweilig ist aber der falsche Ausdruck. Im Mittelfeld gibt's tolle Zweikämpfe. Man darf nicht immer nur die Spitze sehen.

STANDARD: Salopp gesagt: Die Fans müssen auf Ihren Einsatz hoffen. Dann passiert etwas.

Mayländer: Richtig, eine unerwartete Safety-Car-Phase kann eine neue Rennsituation schaffen. Teams und Fahrer müssen umdenken. So gesehen wäre es am Sonntag schön, wenn man mich auf der Strecke sieht.

STANDARD: Was waren Ihre bisher schönsten Momente im Safety-Car?

Mayländer: Normalerweise müsste ich jetzt sagen: die Rennen, in denen ich nicht rausmusste. Aus emotionaler Sicht jene Rennen, in denen ich lange draußen war. In Japan 2007 28 Runden, in Kanada 2011 30 Runden (bis heute Rekord, Anm.). Ich brauche keine Trophäe. Aber wenn mir mein Chef nach solchen Rennen sagt: "Good job. Well done", fahre ich zufrieden heim. Ein anderes Highlight: 2001 durfte ich Michael Schumacher mitnehmen, nachdem er ausgefallen war. Er hat sich dann nach meinem Auto informiert, weil er es noch nicht kannte. Das war damals die Weltpremiere vom SL 55 AMG. Acht Tage später hat Michael die WM gewonnen.

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GP von Kanada 2011: Der Start unter widrigen Bedingungen erfolgt hinterm Safety-Car.
Foto: REUTERS/Chris Wattie

STANDARD: An welche Momente erinnern Sie sich nicht so gern?

Mayländer: Der Unfall von Robert Kubica beim GP von Kanada 2007 war sicherlich der spektakulärste. Als ich vorbeifuhr und das zerstörte Auto sah, hätte ich nicht an so einen glimpflichen Ausgang gedacht. Der tödliche Unfall von Jules Bianchi in Japan 2014 war natürlich besonders schlimm. Das hinterlässt Spuren, mit denen man im Rennsport leben muss. Auch in diesem Jahr. Zuerst Charlie Whitings Tod, dann jener Niki Laudas, den ich auch gut kannte.

STANDARD: Ihre Lieblingsstrecke?

Mayländer: Ich bevorzuge mehr den Old Style, also Suzuka oder Spa. Inzwischen gibt's aber neben Monaco auch weitere tolle Stadtkurse wie Baku und Singapur. Österreich gehört auch zu meinen Lieblings-GPs. Ich reise extra mit meinem Auto an, um die Landschaft zu genießen. Gasthäuser, Wein, Bier, Wandern, Berge – man fühlt sich sehr willkommen.

STANDARD: Haben Sie auch die Einführung des Virtual Safety Car 2015 willkommen geheißen – oder hatten Sie eher Jobangst?

Mayländer: Anfangs Letzteres. Ich dachte, dass künftig alles nur noch elektronisch geregelt werden könnte. Das virtuelle Safety-Car entpuppte sich aber schnell als gute Lösung. Man kann damit schnell reagieren, ohne das Feld durcheinanderzubringen. Es ist sinnlos, ein Safety-Car für eine halbe Runde auf die Strecke zu schicken. Ich sage immer: Ich werde nicht pro Runde bezahlt.

STANDARD: Wird's das Safety-Car in 20 Jahren noch geben?

Mayländer: Wenn Menschen hinter Lenkrädern agieren, läuft nicht immer alles nach Plan. Ein autonomes Safety-Car wäre aber zu unflexibel, um dann schnell genug zu reagieren. Deshalb bin ich sicher, dass es auch noch in 20 Jahren Sicherheitsfahrzeuge geben wird. Sie werden nur anders aussehen.

STANDARD: … und schneller sein? Ihr aktuelles Gefährt hat 318 km/h drauf.

Mayländer: Ich habe schon 2004/05 gedacht, dass wir das Plateau erreicht hätten. Genauso, als wir 2010 den SLS AMG bekamen oder 2015 beim AMG GT S und 2018 beim aktuellen AMG GT R. Ich sage jetzt nicht mehr, dass etwas nicht mehr machbar sei. Wir fahren heute Rundenzeiten, die vor 15 Jahren Sportautos in der Deutschen Tourenwagen-Masters (DTM) gefahren sind. (Andreas Gstaltmeyr, 3.8.2019)