Soll Ratspräsident werden: Charles Michel.

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Aus Kommentaren internationaler Zeitungen bezüglich der Vorschläge der Staats- und Regierungschefs für das künftige EU-Spitzenpersonal: Ursula von der Leyen soll EU-Kommissionspräsidentin werden, Christine Lagarde EZB-Präsidentin, Charles Michel EU-Ratspräsident und Josep Borrell Fontelles Außenbeauftragter.

"De Standaard" (Brüssel): Machtpolitisches Schlachtfeld

"Keiner der Spitzenkandidaten, die von ihren Parteien als europäische Galionsfiguren aufgestellt wurden, überlebte das zynische Kräftemessen, das die Verteilung der Spitzenjobs in Europa darstellt. (...) Stattdessen kam in der letzten Minute die Ersatzspielerin von Angela Merkel, Ursula von der Leyen, von der Bank. Es wirkte wie eine schlechte Imitation eines Agatha-Christie-Thrillers, in dem sich auf der letzten Seite eine bisher unbekannte böse Zwillingsschwester als Täter erweist. Deutsch, christdemokratisch, Merkel-treu und weiblich waren ihre entscheidenden Trümpfe.

Die Verteilung der Macht gleicht immer einem Schlachtfeld aus fragilen Gleichgewichten, rohen Interessen, unvereinbaren Rivalitäten und persönlichen Ambitionen. Das ist nie ein schöner Anblick. Es ist normal, dass es hart zugeht, wenn 28 Länder am Tisch sitzen. Aber wenn das politische Europa auf diese Weise die Kluft zu seiner halben Milliarde Bürgern schließen will, ist es davon weit entfernt."

"La Repubblica" (Rom): Superfrau von der Leyen

"In Europa sind nun zwei Eiserne Ladys an der Macht. (...) Von der Leyen ist ohne Zweifel die zweitmächtigste Frau in Deutschland und immer weniger beliebt gewesen als die erste – auch wegen Fehlern, die die Kanzlerin Angela Merkel nie gemacht hätte. Im Skandal um Neonazis in der Bundeswehr sagte sie, dass der Fisch vom Kopf her stinke. Jemand wies sie dann darauf hin, dass sie die Chefin der Bundeswehr sei. Aber nicht nur deshalb scheint von der Leyen oft übertriebene Kritik auf sich zu ziehen. Wie an allen Superfrauen, die (...) eine scharfe und sogar aggressive Sprache sprechen, scheiden sich an der neuen Präsidentin der Europäischen Kommission die Geister."

"Libération" (Paris): Frauen profitieren

"Zwei Frauen in zwei Schlüsselpositionen: Die Europäische Union hat zweifellos gerade gepunktet, indem sie bei der Aufteilung der kontinentalen Zuständigkeiten spektakuläre Fortschritte in Richtung Parität gemacht hat. Die (Europäische) Union wird auf der Weltbühne daher das angenehme doppelte Gesicht von Ursula von der Leyen und Christine Lagarde haben. Sie sind sicherlich keine linken Frauen, aber haben in ihrer bisherigen Verantwortung Kompetenz bewiesen (...). Davon profitieren die Anliegen von Frauen, das ist offensichtlich."

"De Volkskrant" (Amsterdam): Verliererin Merkel

"Die größte Verliererin ist Bundeskanzlerin Angela Merkel. Zwar soll ihre Parteifreundin Ursula von der Leyen Kommissionspräsidentin werden, die erste Deutsche auf diesem Posten in 52 Jahren. Aber es war nicht ihre Wahl. Von der Leyen ist für Merkel eine bittere Pille, ein 'Geschenkchen' von Macron. (...)

Am Ende haben alle 'Spitzenkandidaten' verloren (nicht nur Frans Timmermans). Das System, bei dem der Wähler mit seiner Stimme beeinflussen kann, wer Kommissionspräsident wird, scheint begraben worden zu sein. Unter die Erde gebracht von Regierungschefs, die überhaupt nicht angetan waren von dem, was sie als Machtübernahme des Parlaments betrachteten."

"Rzeczpospolita" (Warschau): Triumph für Merkel

"Das vereinbarte Paket zeigt, dass zwei verbreitete Thesen nicht stimmen. Erstens, dass bei den Verhandlungen zur Besetzung der Spitzenämter der französisch-deutsche Antrieb kaputt gegangen ist und die Länder in einen Konflikt geraten sind. Letztendlich haben Paris und Berlin eine Vereinbarung ausgearbeitet, mit ausgezeichneten Effekten für beide Seiten. Emmanuel Macron erhält das Amt der EZB-Chefin für eine Französin und (Angela) Merkel das Amt der Chefin der Europäischen Kommission für ihre vertraute Mitarbeiterin.

Als unwahr erwies sich auch eine zweite These, die am Dienstag von vielen europäischen Medien verbreitetet wurde. Und zwar, dass das Fiasko des Pakets mit Timmermans ein Beweis für Angela Merkels politisches Ende ist. Das nun vereinbarte Szenario ist für Merkel ein Traum, mit dem sie ohne die mit Timmermans verbundene Krise nie hätte rechnen können. Doch der Widerstand einiger Länder gegen den Niederländer war so stark, dass die Kandidatur von der Leyens als ein gemäßigter Kompromiss erschien. (...) Merkel hat diese Partie meisterhaft gespielt – von der Niederlage zum vollen Triumph. Insbesondere, da auch Christine Lagarde immer als eine Person galt, die sich der Sympathie Merkels erfreut."

"El Periódico" (Madrid): Die EU – ein Club von Staaten

"Das Abkommen der Staats- und Regierungschefs verhindert das Gefühl der Lähmung, das den Bürgern der EU vermittelt worden wäre, falls sich die politische Blockade fortgesetzt hätte. Die Tatsache, dass zwei Frauen an der Spitze der Kommission und der EZB stehen werden, sendet eine starke Botschaft der Erneuerung und der Gleichheit, und das muss als positiv betrachtet werden (...).

Aber man kann auch nicht die Tatsache übersehen, dass keiner der wichtigsten Spitzenkandidaten Kommissionschef wird. Das vergrößert das demokratische Defizit der EU, die Distanz zwischen der Stimmabgabe der Bürger und der Führung der Union. Ein weiteres Mal wird klar, dass die EU ein Club von Staaten ist und dass es diese sind, die die Entscheidungen von großer Tragweite treffen. Das neue Team wird jedenfalls ab sofort die wichtigen Herausforderungen bewältigen müssen, die der EU bevorstehen: Der Brexit und das Gespenst einer wirtschaftlichen Abschwächung. Zwei konservative Frauen führen nun vor diesem Hintergrund die Union."

"Magyar Nemzet" (Budapest): Durchsetzung nationaler Interessen

"Der Brüsseler Gipfel brachte eine weitere Grundwahrheit ans Tageslicht. Was da auch immer heruntergebetet wird von 'gemeinsamen europäischen Werten', von 'Solidarität' und was sonst noch, am Ende kommt heraus, dass die drei wichtigsten Führungsposten (in der EU) an eine Deutsche, eine Französin und einen Belgier gehen sollen – an Politikerinnen aus den zwei wichtigsten EU-Mitgliedsstaaten sowie an einen Dritten aus einem Land, das der EU als Sitz dient.

Diese Lösung ist das Ergebnis beinharter Durchsetzung nationaler Interessen. Deshalb gebührt der moralische Sieg jenen, die schon immer ehrlich über die Durchsetzung nationaler Interessen gesprochen haben."

"Lidové noviny" (Prag): Soziale Intelligenz

"Die Verhandlungen der 28 EU-Staats- und Regierungschefs über die Besetzung der Schlüsselposten der Gemeinschaft haben an eine Papstwahl erinnert. (...) Erstmals haben sie den Mut gefunden, eine Frau für die Kommissionsspitze zu nominieren. Wie sich von der Leyen in ihrer neuen Rolle verhalten wird, wissen wir in diesem Moment nicht.

In allen bisherigen politischen Ämtern, die sie in Deutschland vertreten hat, zeichnete sie sich durch eine hohe soziale Intelligenz aus. Wir werden nun nicht länger Zeugen der Gönnerhaftigkeit eines Jean-Claude Juncker sein, der die Premiers abwechselnd geküsst, an der Wange getätschelt oder halb im Scherz als Diktator begrüßt hat."

"Neue Zürcher Zeitung": Stützende Hand

"Für die Zukunft des Euro-Raums und für die europäische Gemeinschaftswährung verheißt dies nichts Gutes. (...) Die EZB ist zu einer Erfüllungsgehilfin überschuldeter Staaten geworden, indem sie den Regierungen deren Schuldpapiere abkaufte und quasi deren Ausgaben finanzierte. Wenn nun eine Ex-Finanzministerin ohne geldpolitische Expertise an die Spitze der formell unabhängigen Währungsbehörde stößt, erhält diese Politisierung des Euro gleichsam ein Gesicht.

Der Entscheid nährt die Erwartung, dass sich die Staaten auch in Zukunft bei allen möglichen Problemen auf die stützende Hand der EZB werden verlassen können. Diese Aussicht dürfte kaum dazu führen, dass die Regierungen unbequeme Reformen endlich in Angriff nehmen. Für den seit Jahren dringend nötigen Aufbruch im Euro-Raum ist es das falsche Signal."

"Tages-Anzeiger" (Zürich): Euroturbo

"Eine neue Ära kann beginnen. (...) Die voraussichtliche Nachfolgerin von Jean-Claude Juncker ist in Bezug auf die Schweiz ein unbeschriebenes Blatt. Aus ihrer Zeit als Ministerin in Berlin gibt es kaum Berührungspunkte oder konkrete Aussagen. (...)

Die Christdemokratin kommt aus Deutschlands Norden, wo man die Schweiz weniger auf dem Radar hat. Das spricht zumindest für einen unbelasteten Start. Allerdings gilt von der Leyen für Schweizer Verhältnisse als Euroturbo: als überzeugte Verfechterin der europäischen Integration. Für Schweizer Sonderwünsche dürfte sie also nicht unbedingt offene Ohren haben. Unwahrscheinlich also, dass ein Neustart beim Rahmenabkommen unter ganz neuen Vorzeichen möglich sein wird." (APA, 3.7.2019)