Sie fühle sich "überwältigt und geehrt", sagte Ursula von der Leyen im EU-Parlament nach der Wahl zur Kommissionschefin. Das Amt flöße ihr Respekt ein.

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Nach ihrer Wahl im EU-Parlament hatte die neue Präsidentin der EU-Kommission zuerst zu Hause in Deutschland eine wichtige Sache zu erledigen. "Ich kehre nach Deutschland zurück", sagte Ursula von der Leyen Dienstagabend in ihrer Pressekonferenz kurz nach dem Votum in Straßburg. Sie müsse sich im Bundestag verabschieden, ihre Funktion als Verteidigungsministerin übergeben.

Aber – so fuhr sie fort – im Prinzip beginne ihre Arbeit für Europa sofort. Sie müsse in den kommenden Tagen, Wochen und Monaten das Arbeitsprogramm für die Kommission erarbeiten, mit den Regierungen das neue Team der Kommissarinnen und Kommissare zusammenstellen: "Ich möchte Europa vereinen, will es voranbringen. Dabei sei ihr "wichtig, mit dem Parlament sehr offen und intensiv zusammenarbeiten". Denn je besser der Draht zu den Abgeordneten sei, desto besser gelinge es, bei den wirklich schwierigen Dingen gemeinsam eine Lösung zu finden. Als sie gefragt wird, wie es ihr denn jetzt persönlich gehe, wird sichtbar, wie groß der Stein ist, der ihr vom Herzen gefallen ist. Im Plenum hatte sie den Abgeordneten "Ich bin überwältigt!" zugerufen. Sie fühle sich "geehrt", habe "großen Respekt" vor dem Amt: "Es lebe Europa, vive l’Europe, long live Europe!"

In Brüssel geboren

Im Pressesaal bekannte sie, dass es sich wie eine Heimkehr anfühle: Sie sei in Brüssel als Tochter eines hohen EU-Beamten auf die Welt gekommen: "Ich fühle mich nach Hause gekommen." Sie habe auch "eine europäische Rede" halten wollen, "die aus meinem tiefsten Inneren kommt", nach "zwei intensivsten Wochen in meinem politischen Leben".

Von der Leyen erinnerte daran, dass nach der überraschenden Nominierung am 2. Juli niemand sie gekannt habe. "Es gab viele Ressentiments", aber es sei gelungen, "eine proeuropäische Mehrheit zu finden". Mit 383 Stimmen hatte sie nur mit hauchdünner Mehrheit "überlebt". Hätten nur zehn (von insgesamt 747) EU-Abgeordneten nicht für sie gestimmt, wäre sie durchgefallen; hätte es rasch einen EU-Sondergipfel geben müssen, damit die Staats- und Regierungschefs einen neuen Kandidaten vorschlagen, um eine schwere Krise abzuwenden.

Die Kommissionspräsidentin wies Spekulationen zurück, dass es ihr nun an Rückhalt für die kommenden fünf Jahre fehle: "Mehrheit ist Mehrheit", sagte sie. Sie will ohnehin "mit allen" zusammenarbeiten, die für das gemeinsame Europa eintreten, nicht aber mit den Rechtspopulisten und EU-Skeptikern. Bei ihrer Rede hatte sie im Plenum den lautesten Applaus bekommen, als sie sich gegen die Rechten abgrenzte. Dem britischen Brexit-Anführer Nigel Farage schleuderte sie entgegen, das "wir auf Reden wie die Ihre bei Gott verzichten" können. Jörg Meuthen (AfD) von der ID-Fraktion (der auch die FPÖ angehört) dankte sie für die Aussage, dass er sie nicht wählen werde.

14 Kommissarinnen gesucht

Die hauchdünne Mehrheit zeigt, dass die Kommission bei allen Gesetzesvorhaben um Mehrheiten kämpfen muss. Von der Leyen machte vor allem in Richtung Sozialdemokraten und Grüne große Zugeständnisse beim Klimaschutz und sozialen Maßnahmen. Die Grünen stimmten trotzdem gegen sie, boten am Mittwoch dann Kooperation an, sofern sie vier grüne Kommissare in ihr Team aufnehme. Von der Leyen legte sich aber nur darauf fest, dass das Kommissionsteam zur Hälfte aus Frauen bestehen müsse. Es sei denkbar, dass sie Kandidaten der Regierungen deshalb zurückweise.

Gewählt wurde von der Leyen am Ende fast geschlossen von der Fraktion der Christdemokraten (EVP), inklusive sieben ÖVP-Mandataren, Liberalen (RE) und etwa zwei Dritteln der Sozialdemokraten (S&D) – laut deren Selbstauskunft zur geheimen Wahl. Die Linksfraktion und die Rechten stimmten gegen sie.

Auffällig fiel das Votum der übrigen EU-Abgeordneten aus Österreich aus: Sowohl die fünf SPÖ- Abgeordneten wie auch die drei der FPÖ, die zwei weiblichen Grünen und die Neos-Abgeordnete Claudia Gamon stimmten gegen von der Leyen. Deren Zusagen seien zu wenig konkret gewesen, war die Begründung. (Thomas Mayer aus Straßburg, 17.7.2019)