Saddam Hussein im Jahr 1979, als er die absolute Macht im Irak ergriffen hatte.
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Der Irak war 1979 – in dem Jahr, das den Nahen Osten formte – anfangs noch ein Nebenschauplatz. Aber die islamische Revolution im Iran im Februar beeinflusste die interne Entwicklung des Landes entscheidend, und der israelisch-ägyptische Friedensschluss im März stärkte Saddam Husseins Ansprüche als politischer Führer der Region. Beide Krisengipfel der Staaten der Arabischen Liga – einer nach Camp David, der andere nach der Friedensunterzeichnung in Washington – fanden in der irakischen Hauptstadt Bagdad statt. Ägypten hatte in den Augen der arabischen Welt die Palästinenser verraten, Saddam Hussein füllte die Lücke. Gleichzeitig schwang er sich zum Protektor der arabischen, sunnitischen Welt vor der politischen iranischen Schia auf.

Saddam Hussein, damals 42, war zu der Zeit noch Vizepräsident, aber bereits der mächtige Mann des Irak. Der Rücktritt "aus Gesundheitsgründen" von Präsident Hassan al-Bakr am 16. Juli 1979 kam deshalb nicht überraschend. Saddam schätzte weder Bakrs Pragmatismus dem neuen Iran gegenüber noch seine Unionspläne mit Syrien, die ihn zum dritten Mann hinter Hafiz al-Assad gemacht hätten. Das war auch deshalb unbehaglich für Saddam, weil sich in Syrien, anders als mit ihm im Irak, der militärische Zweig der Baath-Partei durchgesetzt hatte, dem er misstraute.

Die Angst vor den religiösen Schiiten

Die Revolution im Iran hatte Schockwellen in der Region ausgelöst, auch wenn erst nach und nach klar wurde, dass sie eine alleinige Machtübernahme des schiitischen Klerus bedeuten würde. In Saudi-Arabien etwa brachen später im Jahr in den Schiitengebieten im ölreichen Osten Proteste aus, bei denen Porträts von Revolutionsführer Khomeini mitgeführt wurden.

2003 ging Saddam Hussein nach der US-Invasion in den Untergrund und wurde im Dezember verhaftet. Drei Jahre später wurde er hingerichtet.
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Die Bevölkerungsmehrheit im Irak ist schiitisch, wobei bei weitem nicht alle Schiiten religiös sind und waren: So bildeten Schiiten das Rückgrat der einstmals mächtigen irakischen kommunistischen Partei. Auch die Baath-Partei hatte einen emanzipatorischen Appeal für Schiiten, viele öffentliche Bedienstete traten aber auch aus rein praktischen Gründen bei.

Den religiösen irakischen Schiiten misstraute der Sunnit Saddam Hussein zutiefst. Im Irak befinden sich die wichtigsten schiitischen heiligen Stätten, und dort, in Najaf, war Khomeini im Exil gewesen und hatte seine Thesen entwickelt. Im irakischen schiitischen Klerus hatte seine später im Iran umgesetzte Staatsidee zwar so gut wie keine Anhänger, die Revolution an sich begeisterte dennoch nicht wenige – genauso wie sie vielen anderen Angst machte.

Das erklärt auch den gewissen Gleichmut, mit dem bürgerliche Kreise, die den einfachen Mann aus Tikrit eigentlich verachteten, hinnahmen, als Saddam 1979 die gesamte Macht an sich riss. Er war ein Bollwerk gegen die religiöse Schia. Und diese Sicht teilte immerhin auch der Westen.

Neuer Präsident macht Tabula rasa

Saddam Hussein nützte 1979 die Gunst der Stunde, um Tabula rasa zu machen. Bis zu seiner Inauguration am 28. Juli sollte alles erledigt sein. Die Zahlen, wie viele Menschen in der Säuberungswelle getötet wurden, sind umstritten, es waren vielleicht hunderte. Die Vorgänge wurden nach Saddams Amtsantritt mit der Entdeckung von Umsturzplänen erklärt, die von außen – Syrien – unterstützt wurden.

Schon am 12. Juli wurde Muhyi Al-Din Abdulhussain al-Mashhadi, (schiitisches)_Mitglied des Revolutionskommandorats (RKR), verhaftet, und am 22. Juli begann das Massaker mit einer Parteiversammlung von rund tausend Delegierten. Das gefilmte "Geständnis" Mashhadis wurde vorgeführt, danach begann Saddam mit der Verlesung der Namen der angeblichen Mitverschwörer, die – mit einem Hoch auf die Partei – aufstehen mussten und abgeführt wurden. Saddam, der Zigarren rauchend vor der Versammlung saß, ließ sich viel Zeit, was zu einer Art Massenhysterie im Saal führte: Die Delegierten verlangten letztendlich schluchzend von Saddam die große Säuberung.

Bei den folgenden Hinrichtungen legte Saddam Hussein selbst Hand an und zwang einen kleinen Kreis von verbliebenen RKR-Mitgliedern mitzumachen. Jede interne Kritik war verstummt; jene, die die Weisheit der alleinigen Machtübernahme angezweifelt haben, waren tot, darunter sehr enge Mitarbeiter Saddams. Filmaufnahmen der gespenstischen Versammlung vom 22. Juli kursierten später unter Irakern auch in europäischen Ländern: eine ganz bewusste Strategie, um Kritikern klarzumachen, was ihnen blühen konnte. Gegen Oppositionelle wurden Mordkommandos losgeschickt.

Ein Jahr später begann Saddam Hussein den achtjährigen Krieg gegen den Iran. Als er ihn zu verlieren drohte, sprang ihm zumindest indirekt der Westen bei. (Gudrun Harrer, 23.7.2019)