Bernhard Wurzer, der neue Generaldirektor der Österreichischen Gesundheitskasse, hat viel vor.

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STANDARD: Sie haben am 1. Juli Ihren Job als neuer Generaldirektor der Österreichischen Gesundheitskasse angetreten. Gleich zu Beginn waren Sie mit massiver Kritik konfrontiert: Ein neues Logo für 400.000 Euro, Beraterkosten in Millionenhöhe. Da geht es um das Geld von Versicherten. Die könnten darüber verärgert sein. Können Sie das nachvollziehen?

Bernhard Wurzer: Die ÖGK und auch die Gebietskrankenkassen haben in der Vergangenheit jeden Euro umgedreht. Daran halten wir uns weiter. Aber eine Fusion in dieser Größe kann man nur mit externen Beratern absolvieren. Das ist eine Fusion europäischer Dimension, die ÖGK ist einer der größten Versicherungsträger im deutschsprachigen Raum: Wir haben künftig 12.000 Mitarbeiter und 7,2 Millionen Versicherte. Wir werden jetzt investieren müssen, damit wir in den kommenden Jahren Geld lukrieren können, das den Versicherten zukommt.

STANDARD: Dennoch sind die Kosten für das Logo erschreckend hoch.

Wurzer: Das Logo selbst kostet nicht 400.000 Euro. Wir haben einen Gesamtrahmen für ein Corporate Design für die ÖGK beschlossen. Wir hatten früher neun Logos, jetzt machen wir eines daraus. Wir wollen sichtbar machen, dass etwas Neues entsteht, wir wollen unseren Versicherten die schöne, neue ÖGK zeigen. Da geht es aber auch darum, für die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen eine neue Identität zu schaffen. Das kostet natürlich Geld. Wir werden aber bestimmt sehr sorgsam damit umgehen.

STANDARD: Sie sprechen über Investitionen. Angepriesen wurde dieses türkis-blaue Prestigeprojekt aber als Entlastung: Aus der Funktionärsmilliarde sollte eine Patientenmilliarde werden. Wie geht das?

Wurzer: Das Gesamtvolumen der ÖGK macht über 15 Milliarden Euro aus. Da wir in den Verwaltungskosten bei drei Prozent liegen, haben wir nicht nur eine Patientenmilliarde, sondern sogar 15. Das Einsparungspotenzial muss man in den nächsten Jahren immer von der Seite betrachten, wie sich die Kosten entwickelt hätten, wenn die neun GKKs weiter als Einzelkämpfer geführt worden wären, und wie sich die Kosten bei der fusionierten ÖGK entwickeln. Natürlich hat man anfangs einen Investitionsaufwand, aber danach werden Einsparungen eintreten: im Verwaltungsbereich, aber auch durch eine neue Einkaufsphilosophie.

STANDARD: Dennoch war auch dem Rechnungshof unklar, wo dieses Einsparungspotenzial liegen soll. Wo sind die Milliarden versteckt?

Wurzer: Sowohl der Rechnungshof als auch ich als Generaldirektor sind es gewohnt, die fertigen Zahlen zu analysieren und nicht die Prognosen zu bewerten. Alles andere ist Kaffeesudleserei. Man muss sich die Zahlen nach einer Periode anschauen, wir haben erst jetzt einen Fusionsplan erstellt. Nach fünf Jahren kann man sich dann anschauen, was wir alles eingespart haben und was wir an neuen Leistungen gebracht haben.

STANDARD: Sie haben selbst darauf verwiesen, dass die Verwaltungskosten bei drei Prozent liegen. Sie kommen aus dem Hauptverband. Stört es Sie, dass Türkis-Blau die Verwaltung als ineffizient dargestellt hat?

Wurzer: Politische Diskussionen werden immer emotional geführt, denk ich. Die Verwaltung ist an sich von der Struktur her schlank, aber Einsparungen sind selbstverständlich immer möglich. In unserer ersten Analyse sehen wir bereits, dass wir derzeit viele Dinge neun Mal machen, die wir künftig nur noch ein Mal machen werden.

STANDARD: Bedeutet das auch, dass Sie Stellen kürzen, wie es in einer internen Studie der Ex-Sozialministerin Hartinger-Klein (FPÖ) vorgeschlagen wurde?

Wurzer: Ich will den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen keine Angst machen, hinsichtlich der Frage, wer alles eingespart werden soll. Natürlich ist Spielraum drinnen, aber vielleicht können wir auch durch Umschichtungen Mitarbeiter für den unmittelbaren Kundenkontakt einsetzen. Wir haben auch einen Generationenwechsel in der Belegschaft. Wir werden in den nächsten Jahren ein Drittel der Belegschaft allein durch den natürlichen Abgang in die Pensionierung verlieren.

STANDARD: Aber werden 1500 Stellen eingespart, wie es in der Studie empfohlen wird?

Wurzer: Ich weiß nicht, wie die Autoren der Studie auf diese Zahl gekommen sind. Wir haben in den nächsten Jahren eine gewaltige Fluktuation, wir werden die eine oder andere Stelle nicht nachbesetzen, andere Mitarbeiter können wir aber von ihren bisherigen Tätigkeiten freischaufeln, damit sie etwas im Unternehmen machen können, wofür es bisher keine Zeit gab.

STANDARD: Kommen wir von den internen Strukturen zu den Versicherten: Was wird sich für diese verändern?

Wurzer: Vom Bodensee bis zum Neusiedler See wird es die gleichen Leistungen geben. Wenn Sie bei der WGKK versichert sind, gibt es noch eine Bewilligungspflicht für CT und MRT, bei der NÖGKK aber nicht. Das wird zukünftig einheitlich geregelt sein.

STANDARD: Die Leistungsharmonisierung wurde doch schon vor zwei Jahren angestoßen, auch ohne Fusion.

Wurzer: Die Leistungsharmonisierung ist tatsächlich schon weit fortgeschritten, aber der Teufel steckt im Detail: Es geht um den Zugang zu den Leistungen. Es gibt Kassen, bei denen sehr restriktiv bewilligt wird, bei anderen Kassen gibt es überhaupt keine Chefarztpflicht. Um das anzugleichen, muss man sich die Prozesse der einzelnen Kassen genau anschauen.

STANDARD: Welche konkreten Ziele gibt es noch?

Wurzer: Ich möchte zum Beispiel den chefärztlichen Dienst ganz neu denken. Die Frage ist, ob ein Stempel auf einer ärztlichen Verordnung noch das geeignete Steuerungsinstrument ist. Fakt ist: Es werden zu viele Leistungen verordnet. Vielleicht wäre es sinnvoller, wenn der chefärztliche Dienst stärker mit den verschreibenden Ärzten kommuniziert, um sich mit diesen zu beraten. Ich glaube nicht, dass man durch Bewilligung und Bewilligungsverweigerung ein System steuern kann.

STANDARD: Chefärzte sollen nicht mehr über Verordnungen entscheiden?

Wurzer: Das Grundprinzip darf nicht sein, dass ein Facharzt eine Verordnung ausstellt, und dann ein Chefarzt, der eine andere Ausbildung hat, über die Leistung entscheidet. Wir müssen Fachärzte dazu bringen, hochqualitative Leistungen zu verordnen, aber gleichzeitig auch vermitteln, wie die Sozialversicherung tickt. Das tun wir zu wenig. Unsere Vertragspartner wissen kaum, was unsere Anliegen sind. Das könnte aus meiner Sicht der chefärztliche Dienst übernehmen.

STANDARD: Da geht es aber doch zum Teil auch um sehr teure Medikamente und Therapien, oder?

Wurzer: Die Tumorbehandlung mittels Teilchenbeschleuniger, die sehr teuer ist, muss etwa von einem Tumorboard, bestehend aus einem Onkologen, einem Chirurgen und aus einem Strahlentherapeuten, verordnet werden. Derzeit muss das noch ein Chefarzt bewilligen. Aber welcher Chefarzt traut sich, eine Empfehlung eines Tumorboards abzulehnen? Das ist eine Bürokratieebene, die ich hinterfrage.

STANDARD: Die Sozialversicherung ist insgesamt mit steigenden Medikamentenkosten konfrontiert. Wie wollen Sie in Zukunft garantieren, dass alle Versicherten Zugang zur bestmöglichen Therapie haben werden?

Wurzer: Dazu bedarf es auch einer strategischen Partnerschaft mit Pharmafirmen. Wir müssen planen können, was auf den Markt kommt und was gerade entwickelt wird. Letztlich ist es ja nicht sinnvoll, Patienten Therapien und Medikament aus Kostengründen zu verweigern. Gleichzeitig sind alle Beteiligte im System, ob Ärzte oder Pharmafirmen, darauf angewiesen, dass die Sozialversicherung nicht finanziell überfordert ist. Die Hand, die einen füttert, sollte man niemals beißen.

STANDARD: Die ÖGK ist ja nicht nur der größte Versicherungsträger in Österreich, sondern hat auch die größten Risikoposten, weil jeder Arbeitslose automatisch in der ÖGK versichert wird. Das hat auch finanzielle Auswirkungen.

Wurzer: Die Frage der gemeinsamen Steuerung aller Träger stellt sich nicht mehr. Der erste große Risikostrukturausgleich ist bereits mit der Fusion der GKKs gelungen.

STANDARD: Für den Versicherten ist das aber in Leistungsunterschieden spürbar. Die BVA hat deutlich bessere Leistungen als die ÖGK.

Wurzer: Natürlich, aber die Beamten bezahlen auch einen Selbstbehalt. Das schließe ich für die Versicherten der ÖGK aus. Insofern sollte man diese Leistungsunterschiede auch beibehalten.

STANDARD: Apropos Selbstbehalt. Es gibt mittlerweile mehr Wahl- als Kassenärzte. Wie wollen Sie gegensteuern?

Wurzer: Die Zahl ist auch deshalb gestiegen, weil durch das Ärztearbeitszeitgesetz mehr Krankenhausärzte die Möglichkeit haben, nebenher eine Ordination zu betreiben. Nicht alle Wahlärzte sind daher versorgungswirksam, viele haben eine Ordination, um ihren Bereich zu forcieren. Wir sollten daher Wahlärzte nicht bekämpfen, sondern Kassenverträge attraktiver machen. Das System, so wie es jetzt ist, ist einfach nicht mehr attraktiv genug.

STANDARD: Woran liegt das?

Wurzer: Da geht es nicht nur ums Geld, denn wenn es rein um die Honorierung gehen würde, müssten die Allgemeinmediziner die Landarztpraxen stürmen und die Stadtpraxen wären verwaist. Es ist eine Frage des Arbeitsablaufs. Wir brauchen neue Modelle, müssen aber auch die Modelle, die es bereits gibt, viel besser kommunizieren: mehr Information, mehr Möglichkeiten zur Zusammenarbeit, mehr Unterstützung bei Ordinationseinrichtungen und bei der Bürokratie – etwa auch durch den chefärztlichen Dienst. (Marie-Theres Egyed, CURE, 26.8.2019)