Warum ausgerechnet Healdsburg? Kyle Connaughton, Drei-Sterne-Koch, Zugezogener, erzählt: "Nach unserer Hochzeit waren Katyna und ich im Chez Panisse essen. Vorher haben wir haltgemacht in Healdsburg und wussten: Eines Tages wollen wir uns hier niederlassen." 2016 eröffneten die Connaughtons das Single Thread. Vom Guide Michelin gab es die Höchstwertung. Ursprünglich war dieser ja mal als Autoführer gedacht. Drei Sterne bedeutet: eine einzigartige Küche. Eine Reise wert.

So gesehen ist das Single Thread Anlass genug, Foodies aus aller Welt in eine verschlafene Kleinstadt zu locken, von der selbst viele Amerikaner noch nie gehört haben. Spätestens beim Blick auf die Teller haben sie das Gefühl, schon mal dagewesen zu sein.

Im Zeitgeist

Regional, saisonal, das machen jetzt alle. Nicht weniger prägend als Skandinavien war Amerikas glücklichster Bundesstaat. In Berkeley eröffnete Alice Waters 1971 das Chez Panisse. Statt ausgefeilter Kochtechniken standen die Nähe zu den Produzenten und deren exzellente Produkte im Vordergrund.

Schnell wurde das Chez Panisse Kult. Inzwischen gibt ihm der Zeitgeist recht. Täglich wechselnde Karten, ökologisch produzierte Zutaten, der Geschmack einer Region auf dem Teller – die Methode Waters funktioniert vom New Yorker Blue Hill at Stone Bars bis zum Wiener Steirereck. Und in einer 12.000-Einwohnerstadt in Sonoma County, eine Autostunde nördlich von San Francisco.

Häuser im "Pleasantville"-Stil und Paradies für bewusste Foodies: Im kalifornischen Healdsburg sind Bioqualität und Farm-to-Table gelebter Alltag
Foto: iStock/jmoor17

Pleasantville für Bio-Freaks

Healdsburg ist der Traum eines jeden Bio-Bobos. Saubere Straßen, Häuser im "Pleasantville"-Stil, öffentliches WLAN. Nur an die Regeln halten sollte man sich. "Das Ordnungsamt achtet penibel darauf, dass keiner länger als eine Stunde die kostenlosen Plätze nutzt." Osvaldo Jimenez trägt Kappe, Hornbrille und ein Eisbäuchlein vor sich her. Kein Wunder, schließlich macht er das beste Eis der Stadt, unweit der akkurat begrünten Healdsburg Plaza, wo Kinder zu Streichermusik Radschlag üben.

Die Noble Folk Ice Cream & Pie Bar ist ein skandinavisch-heller Raum mit einer wie von Kinderhand gezeichneten Landkarte der Region. Statt Städten sind Farmer, Bäckereien und Weingüter markiert. "Allein in der unmittelbaren Umgebung gibt es 115 Farmen", erklärt Jimenez. "Ich kenne jeden meiner Lieferanten persönlich. Wenn Mrs. O'Sullivan mir heute ein paar Eimer Pfirsiche vor die Tür stellt, gibt es morgen Dry Creek Peach Sorbet." An diesem Tag empfiehlt er Pecan Pie mit Wacholder-Honig-Eis. Ein anschließender Spaziergang täte gut, aber leider muss das Auto umgeparkt werden.

Healdsburg-Happen: Pecan Pie von Osvaldo Jimenez ...
Foto: Eva Biringer

Schon achthundert Meter weiter wartet Dustin Valette. An der einen Wand seines nach ihm benannten Restaurants hängen regionale Weinflaschen in betrunkenem Winkel, an der anderen ein Dry-Age-Kühlschrank. Der 38-Jährige wirkt wie der Inbegriff des amerikanischen Unternehmers, mit Zahnpastalächeln und festem Händedruck. Er hat Erfahrungen gesammelt in Thomas Kellers French Laundry, bevor er 2008 zurückkam in seine Heimatstadt. Im Valette gibt es klassisch französische Küche mit lokalen Zutaten, vieles davon aus dem fußläufig gelegenen Garten. "Unser Klima ähnelt dem von Südfrankreich", erklärt der Gastgeber. "In einer Stunde sind wir am Meer, in drei Stunden in den Bergen. Ideale Bedingungen für Landwirtschaft und, nicht zu vergessen, für den Weinbau. Im Gegensatz zum bekannten Napa Valley ist Sonoma County noch relativ unentdeckt." Seine Philosophie lässt sich gut an den Day Boat Scallops en croûte erklären. Unter einem Teigmantel verbirgt sich eine spezielle Sorte Jakobsmuscheln, die nur im ersten Jahresquartal gefischt wird, hauptsächlich in der Gegend um Maine. Dazu gibt es gehobelten Fenchel aus dem eigenen Garten, amerikanischen Kaviar und Champagner Beurre Blanc.

... und Cheesecake im Barndiva.
Foto: Eva Biringer

Satt und zufrieden rollt man anschließend im Schritttempo (das Parkplatzproblem!) vorbei an Weinproben und Fair Trade Coffee Shops, in denen Hipster und Rentner einträchtig nebeneinandersitzen. Könnte nicht die ganze Welt so sein wie in Sonoma County? Jil Hales schüttelt den Kopf. Als kreative Leiterin des Bistros Barndiva, das mit seinen hohen Decken und Samtvorhängen auch in Paris stehen könnte, hat auch sie sich dem Farm-to-Table-Prinzip verschrieben.

Nicht für alle

Nicht von weiter weg als vierzig Kilometer sollen die Produkte kommen. Die Pilzsorte "Gemeiner Klapperschwamm" auf dem Omelette? Gesammelt in heimischen Wäldern. Der Chardonnay im Glas? Ist ein Gemeinschaftsprojekt mit befreundeten Winzern. Die Blumen auf dem Tresen? Hat Hales, eine elegante Frau Anfang fünfzig, selbst gepflückt. Trotzdem sieht sie die Grenzen dieses Systems. "Es gibt zu viele Menschen auf der Welt, um alle auf nachhaltige Art zu ernähren. Ein anderes großes Problem ist der Klimawandel. 2017 und 2018 war die Region von verheerenden Waldbränden betroffen. Dieses Jahr macht uns der Regen zu schaffen." Verständlich, dass viele Bauern da den Mut verlieren. Ebenso wie die Tatsache, dass ein lokaler Bio-Lifestyle nicht allen zugänglich ist.

Kalifornien ist der reichste US-Bundesstaat und der teuerste. Statt auf dem Farmer's Market kaufen viele bei Walmart ein. Und doch ist es richtig und wichtig, dass das nordkalifornische Modell Schule macht. Zum Beispiel in Form eines Tischs mit dreizehn Köstlichkeiten von Wasabi-marinierten Austern aus Half Moon Bay bis hin zum kalifornischen Taschenkrebs.

"Später Winter in Sonoma County" heißt dieser Menüauftakt. Das eingangs beschriebene Single Thread hebt das Farm-to-Table-Prinzip auf eine neue Ebene. Zum großen Teil stammen die Zutaten von der hauseigenen Farm unter der Leitung von "Head Farmer" Katyna Connaughton, der Rest von Produzenten aus der Region. Obwohl die Art ihrer Zubereitung und Darreichung japanisch seien, versichert der aus Los Angeles stammende Kyle Connaughton, sei das Single Thread kein japanisches Restaurant. "Man könnte es eine kalifornische Hommage an die Kaiseki-Küche nennen." Mehr als dem Fernen Osten hat er sich dem nahen Süden verschrieben, jenem Restaurant, in dem er mit seiner Frau Hochzeit feierte – und so dafür gesorgt hat, dass die Philosophie des Chez Panisse mehr denn je in Healdsburg angekommen ist. (Eva Biringer, 9.9.2019)