Noch steht Markus Knab in Absam hinter der Fleischtheke, doch die will er gegen den tunesischen Olivenhain tauschen.

Foto: Florian Lechner

Knab mit den Produkten seines Schwiegersohns, die er in Tirol vertreibt.

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Über 40 Jahre hat der Tiroler Messer gewetzt, damit soll bald Schluss sein.

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Knab und sein Schwiegersohn bereiten in Sousse ihre gemeinsame Zukunft vor.

Foto: Knab

Kolsass – Markus Knab ist ein kerniger Tiroler. Groß gewachsen ragt der gelernte Metzger hinter der Fleischtheke in Absam hervor und scherzt im urigen Dialekt mit der Kundschaft. Obwohl erst 54 Jahre alt, blickt Knab auf ein arbeitsreiches Leben zurück. Diesen Sommer wird er 40 Dienstjahre beisammen haben. Doch anstatt zurück blickt der Metzger lieber nach vorne: "Ich mache ich mir schon länger Gedanken über die Pension." In seinem Umfeld sorgt er damit für Kopfschütteln: "Viele lachen mich aus und sagen, ich soll froh sein und Ruhe geben."

Aber für Knab ist der nahende Ruhestand gar keiner: "Seit ich mit 14 Jahren die Lehre begonnen habe, hieß es immer nur: 'Markus, du musst, du musst, du musst.'" Damit soll bald Schluss sein. Die Pension sieht er als Start in einen neuen, selbstbestimmten Lebensabschnitt und nicht als Ende.

Tirol trifft Tunesien

Knabs Zukunft liegt in Tunesien. Dort lebt seine Tochter aus der geschiedenen Ehe. Sie hat einen Tunesier geheiratet, ist zum Islam konvertiert und vor vier Jahren ausgewandert. Mittlerweile hat Knab vier Enkelkinder in Sousse, der drittgrößten Stadt des Landes. Anfangs habe er große Bedenken gehabt, als ihm die Tochter ihre Pläne eröffnete. "Ganz ehrlich, das war schon ein kurzer Schock. Ich dachte, das sind ja alles Barfußerte da unten", gesteht er seine Vorurteile ein.

Doch Schwiegersohn Khalil habe ihn schnell eines Besseren belehrt. War der Kontakt zur Tochter in den Jahren davor abgerissen, so stellte ihn Khalil wieder her: "Werte wie Familie sind in Tunesien viel wichtiger als bei uns." Bei seinem ersten Besuch in Sousse lernte Knab Land und Leute lieben. Trotz der schwierigen Lebensumstände war er begeistert von der Mentalität der Menschen. "Also habe ich mir überlegt, wie ich meine Tochter und ihre Familie am besten unterstützen könnte", erzählt er.

Den Unruhestand planen

Diese Überlegungen fielen in jene Zeit, in der sich der Metzger erstmals mit dem nahenden Ruhestand beschäftigte. Sich in der Pension als Selbstständiger ein Zubrot zu verdienen hatte er als Option erwogen. Als er in Tunesien sah, dass sein Schwiegersohn aus Olivenholz Schüsseln, Salatbesteck und allerlei anderes fertigte, um es auf lokalen Märkten zu verkaufen, kam ihm die Idee zu einem familiären Joint Venture.

Der Tourismus in Tunesien läuft nach den Wirren des Arabischen Frühlings nur schleppend wieder an. Wenn die potenziellen Kunden nicht zu Khalil kommen, müssen seine Produkte eben zu ihnen gebracht werden, so Knabs Idee. Im Sommer 2017 meldete er sein Gewerbe an und importierte die erste Palette tunesischer Produkte nach Tirol. Abends, wenn er aus der Metzgerei heimkommt, sitzt er nun in seiner Wohnung in Kolsass, hört arabische Volksmusik – "weil ich die so herrlich beruhigend finde" – und bastelt Aufsteller für Läden, die er mit seiner Ware beliefert.

Onlineshop selbst erstellt

Mittlerweile vertreiben tirolweit 19 Geschäfte seine Produkte. "Ich fahre an freien Tagen herum und suche passende Läden", beschreibt er seine Strategie. Er bietet die Ware auf Kommission an, um Vorbehalte der Ladenbesitzer zu zerstreuen: "Ich sag ihnen, sie können es ausprobieren. Wenn sie es verkaufen, rechnen wir danach ab, wenn nicht, hole ich es wieder ab." Sogar einen Onlineshop hat er mittlerweile: "Das war nicht ganz einfach, sich in meinem Alter noch in die Materie einzuarbeiten." Mittlerweile hat er auch das gelernt und betreut seinen Webshop alleine.

"Ein Leben lang war ich Bittsteller, heute entscheide ich selber. Das fühlt sich gut an", sagt Knab. Alles, was der Nebenjob derzeit abwirft, wird wieder investiert. Zusammen mit dem Schwiegersohn, der sein Gewerbe in Tunesien angemeldet hat, kaufte Knab mit den bisherigen Erlösen ein Grundstück. Auf 4,5 Hektar am Rande von Sousse haben sie nun 400 Olivenbäume gepflanzt und bauen ein Geschäftsgebäude. "In ein paar Jahren werde ich da jeden Morgen sitzen und meinen Kaffee in der Sonne genießen", malt sich Knab seine Pension unter Palmen aus.

Pension im Ausland als beliebtes Modell

Mehr als eine Viertelmillion österreichische Rentner leben im Ausland, weiß Wolfgang Panhölzl, Pensionsexperte der Wiener Arbeiterkammer. Das ist problemlos und ohne Abschläge möglich. Die Bezieher müssen nur in regelmäßigen Abständen glaubhaft nachweisen, noch am Leben zu sein. Die Zahl der im Ruhestand Weiterarbeitenden, so wie Knab es plant, beträgt derzeit rund 75.000. Vor 15 Jahren waren es noch etwa 60.000, so Panhölzl. Es sind in erster Linie Menschen aus körperlich weniger anstregenden Berufen, die nach dem Erreichen des Pensionsalters weiterarbeiten. Nur selten würden sich Arbeiter wie Knab dafür entscheiden.

Der Metzger hat sich bereits umfassend informiert. Ihm stehen viele Möglichkeiten offen, sagt er: "Mit 59 habe ich die 45 Berufsjahre voll." Im Alter von 60 Jahren könne er als Schwerarbeiter in Pension gehen, mit 62 Jahren wäre die Korridorpension eine Option. "Ich kann mir auch vorstellen, bis 65 weiterzumachen. Aber zu meinen Bedingungen, nicht denen der Firma", sagt er selbstbewusst.

Selbst entscheiden

Eine Teilzeitanstellung mit flexiblen Arbeitszeiten schwebt ihm vor, um daneben das Olivenholzgeschäft weiter aufzubauen. Solange er damit weniger als 30.000 Euro Umsatz im Jahr mache, falle nur die Unfallversicherung an. Das zweite Standbein nebenbei diene zugleich als Absicherung: "Falls die Metzgerei zusperrt, habe ich einen Plan B und muss mich nicht nach dem AMS richten." Ein Kollege, der unlängst seinen Job verloren hatte, wurde an einen großen Fleischverarbeiter vermittelt. Für Knab eine Horrorvision: "Da stehst du dann im eiskalten Kühlhaus und musst mit Ende 50 im Akkordbetrieb mit den Jungen mithalten."

Da erscheint die Alternative mit dem Olivenhain in Tunesien angenehmer. Der Lebensstandard in Sousse sei von der medizinischen Versorgung mit Europa vergleichbar. "Ich war mit den Enkerln beim Zahnarzt mit, da merkst keinen Unterschied", erzählt er. Allein an die nordafrikanische Gelassenheit musste er sich gewöhnen: "Stress darfst unten keinen haben. Aber das ist auch gut so." Ob in einer Stunde oder einem Tag, Zeitangaben sind relativ. Aber genau das wünsche er sich für die Pension, die für ihn ja kein Ende, sondern einen Neuanfang in Selbstbestimmtheit darstellt. (Steffen Arora, 25.8.2019)