Sachsens CDU-Chef, Ministerpräsident und Wahlsieger Michael Kretschmer (rechts), gönnte sich am Abend erst einmal ein Bier. Vor ihm liegen nun schwierige Koalitionsverhandlungen.

Foto: APA / AFP / Ronny Hartmann

Berlin/Potsdam/Dresden – Bei den deutschen Regierungsparteien überwog am Montagmorgen nach den Wahlen in Brandenburg und Sachsen noch immer das Aufatmen. Die CDU hatte am Vortag die Landtagswahl in Sachsen gewonnen, die SPD hat sich in Brandenburg behauptet. Viel Grund zur Freude haben sie aber nicht: Die AfD wurde am Sonntag in beiden Ländern zweitstärkste Kraft und erzielte Rekordergebnisse, während die langjährigen Regierungsparteien auf historische Tiefstände stürzten.

Birgit Schwarz analysiert für die "ZiB" um 8 Uhr die Wahlen in Deutschland.
ORF

Sie müssen sich nun nach neuen Koalitionspartnern umschauen, in beiden Bundesländern werden dis bisherigen Zweierkoalitionen keine Mehrheiten mehr haben. In Brandenburg entfielen bei den Wahlen am Sonntag auf die SPD 26,2 Prozent, die AfD kommt auf 23,5 Prozent. In Sachsen kommt die CDU auf 32,1 und die AfD auf 27,5 Prozent.

In beiden Ländern erlitt die CDU damit ein Minus um die sieben Prozentpunkte, leicht darüber sind noch die Verluste, die die Linkspartei hinnehmen musste. Die SPD musste zwischen vier und fünf Prozent abgeben. Die Grünen konnten in beiden Bundesländern dazugewinnen. Großer Sieger war aber auch in der Gewinn-/Verlustrechnung in Sachsen ebenso wie in Brandenburg die AfD. Sie legte in Sachsen um 17, in Brandenburg um elf Prozentpunkte zu.

Nachdem Umfragen lange Zeit in beiden Ländern ein Kopf-an-Kopf-Rennen der Regierungsparteien mit der AfD vorausgesagt hatten, reagierten die Spitzenkandidaten in erster Linie erleichtert. "Das freundliche Sachsen hat gewonnen", sagte Ministerpräsident und CDU-Chef Martin Kretschmer. Brandenburgs Regierungs- und SPD-Chef Dietmar Woidke meinte: "Ich bin erst einmal froh, dass das Gesicht Brandenburgs auch in Zukunft ein freundliches bleiben wird."

Ärger bei der AfD

Ärger gibt es bei der AfD noch immer wegen eines Formalfehlers, der der Partei bei ihrer Listenerstellung unterlaufen war. Sie bekommt deshalb im neuen Landtag nämlich weniger Sitze, als ihr nach dem Ergebnis der Zweitstimmen zustehen würden. Konkret kommt die Partei auf 38 Sitze. Das sächsische Landesverfassungsgericht hatte der AfD nach einem Streit über die Nominierung ihrer Bewerber im Vorfeld der Wahl insgesamt 30 Listenplätze zugebilligt, was sich nun auf die Verteilung von Listen- und Direktstimmen auswirkt.

Die 38 Sitze der AfD setzen sich demnach aus 23 Listenstimmen und 15 Direktmandaten zusammen. Da sieben der Direktbewerber auch auf der Landesliste stehen, finden diese Stimmen dort keine Berücksichtigung. Insgesamt hat der neue Landtag dem vorläufigen amtlichen Ergebnis zufolge 119 Abgeordnete. AfD-Spitzenkandidat Jörg Urban hatte bereits angekündigt, gegen die Listenkürzung weiter rechtlich vorzugehen. Er will damit eine Neuwahl erzwingen.

Umstrittene Koalitionen

Dennoch sind die 38 Sitze deutlich mehr, als ursprünglich vermutet worden war. Eine anfangs mathematisch möglich scheinende Zweierkoalition zwischen CDU und den Grünen ist daher nun ebenso wenig umsetzbar wie eine Fortsetzung der schwarz-roten Zusammenarbeit. Ausgegangen wird in Dresden davon, dass Ministerpräsident Kretschmer nun Verhandlungen mit SPD und Grünen zur Bildung einer schwarz-rot-grünen "Kenia-Koalition" aufnehmen wird. Diese ist wegen der Einbeziehung der Grünen in der sehr konservativen sächsischen CDU umstritten.

Wegen des starken Abschneidens der AfD und der großen Verluste der beiden ehemaligen Volksparteien CDU und SPD, die in Berlin gemeinsam regieren, waren vor dem Urnengang auch bundesweite Folgen möglich erschienen. Diese scheinen nun aber unwahrscheinlicher, nachdem beide mit einem blauen Auge davongekommen sind. Eine Zusammenarbeit mit der AfD hatten in Sachsen ebenso wie in Brandenburg, wo Rot-Rot-Grün eine knappe Mehrheit hätte, alle anderen Parteien ausgeschlossen.

Beschwörungsformeln in Berlin

Die Vertreter der Bundesparteien äußerten sich am Montag in Richtung einer Fortsetzung ihrer Zusammenarbeit. Der kommissarische SPD-Chef Thorsten Schäfer-Gümbel nannte die große Koalition stabil. Er sagte der "Rheinischen Post": "Anders als es viele vor den Wahlen im Osten vorausgesagt haben, wird die Groko nicht in Chaostage stürzen." Auch beim Koalitionspartner nehme er ein großes Interesse wahr, konstruktiv an der Sache zu arbeiten.

Die CDU-Chefin und deutsche Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer betonte ebenfalls ihren Willen zur Fortsetzung der Zusammenarbeit. Zudem schloss auch sie eine Kooperation mit der AfD aus. Sie sei überzeugt, dass viele Menschen genau deshalb die CDU gewählt hätten, sagte sie im ARD-"Morgenmagazin". Kramp-Karrenbauer schrieb den Wahlsieg der CDU bei der Wahl in Sachsen vor allem Regierungschef Kretschmer zu. Ihm sei das Ergebnis dort zu verdanken, sagte die CDU-Bundesvorsitzende. Er habe den Umschwung vorangetrieben. (mesc, APA, Reuters, 2.9.2019)