Elisabeth Köstinger gibt an, von ihren politischen Ziehvätern stets nur gefördert worden zu sein.

Foto: Matthias Cremer

Wenn es stimmt, dass für entscheidungsbefugte Menschen in der Ruhe die Kraft liegt, dann wäre Elisabeth Köstinger vermutlich die kräftigste Türkise von allen. Köstinger leitete in der siebzehnmonatigen Ära von Sebastian Kurz ein Bundesministerium mit geheimnisvoller Agenda. "Land- und Forstwirtschaft", das klang plötzlich so uncool wie: alte Volkspartei, Sozialpartner, Reinhold Mitterlehner ... Im Abtausch gegen irgendwelche Agrartitel gab es ab dem 8. Jänner 2018 eine Bundesministerin für "Nachhaltigkeit und Tourismus" zu bewundern.

Köstinger, Schlüsselfigur im türkisen Zirkel der Macht, plagte sich im ministeriellen Alltag mit Problemen wie dem Ölkesseltausch. Heute gleicht ein Gespräch mit Köstinger der Aufgabe, eine Sphinx zum Sprechen zu bringen. Eine andere politische Partei als die ÖVP? Wäre dem weiblichen Spross einer Lavanttaler Familie von Landwirten nie in den Mostkrug gekommen. Köstinger lässt sich kaum jemals aus der Ruhe bringen. Dafür funkeln ihre Augen, wenn man sie zu ihrer politischen Sozialisation befragt.

"Der entscheidende Moment war der EU-Beitritt 1995." Der väterliche Hof mit seiner klassischen Mixtur aus Milchkühen, Schweinen, Hühnern schien nicht länger rentabel. "Rund um mich herum wurde nur negativ über unsere Zukunft gesprochen – voran natürlich von Landeshauptmann Jörg Haider!", erinnert sich Köstinger.

Haider war prägend für die angehende Bauernbündlerin. Aber eben nur insoweit, als er sie mit seinem Hang zu Provokation und Polarisierung abstieß. Köstinger denkt in Synthesen. Sie betont ihre "tiefe Verwurzelung". Sich selbst konzediert sie zum Ausgleich einen "weiten Horizont". Ihr Weltbild ist strikt heimatbezogen. Ihre Grundüberzeugung würde man vielleicht mit Fug als postideologisch beschreiben. In ihrer ungemein einnehmenden Selbstdarstellung wimmelt es hingegen vor lauter taktvollen Hinweisen auf die eigene Tüchtigkeit.

Flut von Vorzugsstimmen

Köstinger sagt: "Ich war neun Jahre in Brüssel! Ich wurde mit 38.000 Vorzugsstimmen ins EU-Parlament gewählt. Ich war als junge Frau komplett allein, eine von 751 EU-Abgeordneten: eine sagenhafte Challenge!" In Brüssel spann sie Netze, bevorzugt solche zwischen Frauen. Den Parlamentarismus hat Köstinger bei der EU von der Pike auf erlernt. Sie half mit, Gesetze zu formulieren, Allianzen zu bilden, dicke Bretter zu bohren. Köstinger kann sich zum Beispiel restlos für die Gentechnikfreiheit für europäische Mitgliedsstaaten begeistern. Sie frohlockt: "Die europäische Waldstrategie!" In ihren Ohren wohnt dem Wort Wald noch ein starker Zauber inne.

Erfolgsgeschichten also, wohin das Auge durch türkise Gläser blickt. Der elterliche Betrieb wurde in ein Bio-Mustergut umgewidmet. Die Lavanttaler gingen in die Milchschafhaltung und vergoren seltene Apfelsorten. So geht Zukunft. Nach einem weiteren Motto in eigener Sache gefragt, fällt das Wort "durchkämpfen". Dabei: Von männlicher Seite sei ihr vor allem Förderung zuteilgeworden, sagt Köstinger. In Sachen Agrarpolitik könne sie jeden Widersacher schnupfen. Und über jemanden wie Greta Thunberg freut sich die Konservative ehrlichen Herzens: "Überhaupt, dass sich die Jugend wieder auf der Straße für etwas engagiert!" Gerade dass sie nicht aus dem Lokal hinausstürzt und eigenhändig einen Pflasterstein herausreißt.

Als eine von 751 Abgeordneten, war Elisabeth Köstinger neun Jahre im EU-Parlement.
Foto: Matthias Cremer

Wenn die Leute auf einem bestimmten Themenfeld keinen Handlungsbedarf sehen, dann sei das "kein unbedingt erfolgversprechender Ansatz!". Elisabeth Köstinger besitzt bei Bedarf lapidaren Witz. Sie wird dabei nur selten laut. Das türkise Erfolgsmodell erklärt die Kärntnerin folgendermaßen: Früher sei der jeweilige Obmann der Volkspartei mit seiner Meinung in die Öffentlichkeit gegangen. Daraufhin seien die Parteifreunde über ihn hergefallen und hätten sein Anliegen so stark zerpflückt, bis von diesem nichts mehr übrig war.

Heute kommunizieren Leitungsgremien nach innen. Die Nachrichtenkontrolle der anschließenden Verlautbarung funktioniert. Köstinger streicht die Professionalität und Loyalität der heutigen Entscheidungsträger hervor. Eine "Vision für das Land" schwebe Kurz & Co vor. Man weiß nicht immer genau, was damit gemeint ist. Aber man meint, einer Sozialtechnologin zu lauschen.

Wo sieht sie sich nach der Wahl oder in einem Jahr? "Ich war für mein Leben gern Ministerin für Nachhaltigkeit und Tourismus." Die Sphinx lächelt anmutig. Und abgebrüht. (Ronald Pohl, 14.9.2019)