Dass ich als externer Dienstleister trotzdem oder vielleicht sogar genau deswegen selbst Teil des Schulsystems bin, bestärkt mich, auch kontroversielle Themen in meinem Blog anzusprechen. Diesmal geht es um die berühmte Entscheidungsprüfung Ende Juni, die früheren Generationen auch als "Quali" bekannt ist.

Jedes Mal kommentieren schulrechtlich beschlagene User, dass es diese Prüfung ja gar nicht mehr gibt, da es sich lediglich um eine zusätzliche Note handle, die in die Gesamtbeurteilung miteinfließe. Natürlich ist mir diese rechtliche Situation bekannt. Die Praxis beziehungsweise die Realität von Schülern und Familien sieht aber anders aus. Solange also die Chance besteht, mit dieser einen Prüfung einen Nachzipf im Herbst zu umgehen, wird diese Prüfung de facto als "die entscheidende Prüfung" gesehen.Ich weiß nicht wirklich, ob sich für Schüler und Schülerinnen durch diese gesetzliche Änderung irgendwas verbessert hat. Vorher hat ein knapper Vierer gereicht und das Schuljahr war positiv. Heute bekommst du einen Motivations-Tiefschlag, wenn du erfährst, dass du mindestens einen Zweier abliefern musst, da es sich sonst insgesamt nicht ausgehen würde. Ob diese zeitlich knapp bemessene mündliche Prüfung dann ein Zweier oder leider nur ein Dreier wurde, lässt sich wohl nur sehr schwer beurteilen.  

Solche Prüfungen muss es nicht geben

Viele würden an dieser Stelle behaupten, dass es für mich als Nachhilfelehrer nur darauf ankäme, dass möglichst alle meine Schützlinge durchkommen und damit die Kunden happy sind. Natürlich sind zufriedene Kunden etwas Schönes. Aber ich werde nicht für positive Schulnoten bezahlt. Soviel dazu.

Natürlich stelle ich mir die Frage, inwieweit solche Last-Minute All-in-Prüfungen überhaupt sinnvoll sind. Wenn ich an meine Zeit als Lehrer in New York (2004-2005) zurückdenke, dann wird mir klar, dass es solche Prüfungen nicht unbedingt geben muss. Wir hatten damals sieben Tests im Semester und tägliche Hausübungen als Grundlage für das Zustandekommen eines "passing grade", das sich rechnerisch ab 65 Prozent ergab. Bis zum Schluss des Semesters wurde unterrichtet und am letzten Schultag wurden die "finals" geschrieben. Schuljahre in unserer Form gab es ja nicht, genauso auch keine Jahrgangsklassen. Die Stundenpläne ergaben sich für die Schüler individuell durch die Auswahl von Kursen. Die Mathenote in Form einer Prozentzahl stand neben den anderen Fächern auf der "report card", die ein paar Tage später per Post nach Hause kam. Keine Diskussion, keine Nachprüfung.

Nachprüngen muss es gar nicht geben. Das zeigen internationale Beispiele.
Foto: istockphoto.com/at/portfolio/smolaw11

Alles nur Show

In einzelnen Grazer Schulen ist das neue Modulsystem in der Oberstufe verankert, was – lapidar gesagt – das Aufsteigen mit Fünfern einfacher macht. Definitiv nicht einfacher ist die Umsetzung der Idee, dass dann sämtliche negativ bewertete Module "so nebenbei" bis zum Maturaantritt positiv abgeschlossen werden können. Offene Module nachholen geht ja de facto nicht, wenn du in der 7. oder 8. Klasse sitzt und parallel zu deinem Stundenplan bis zu drei wöchentliche Mathestunden in der 6. Klasse zum Auffrischen mitbesuchen solltest. Da zerbricht dann die Übertragbarkeit eines Modulsystems an der österreichischen Realität der Jahrgangsklassen.

Schlussendlich scheint mir diese (Entscheidungs-)Prüfung mehr eine "Show" zu sein: Lehrer und Lehrerinnen wissen nach einem Schuljahr (und ich wusste es damals auch), was Sache ist: Nämlich, ob ein Aufsteigen gerechtfertigt ist oder nicht. Natürlich gibt es den Gerechtigkeitsgedanken, dass noch schnell etwas nachgelernt und aufgeholt werden könnte, um dann jene Illusion zu befriedigen, alle Schüler und Schülerinnen wären wissenstechnisch auf demselben Stand. Aber Mitte Juni schnell etwas für eine fünf- bis zehnminütige Prüfung hineinstrebern und danach alles wieder in neun Wochen Ferien vergessen, ist irgendwie schräg. Im Gegensatz dazu wäre eine engagierte Wiederholungsphase am Beginn des neuen Schuljahres zielgerichteter. Paradoxerweise haben nämlich "schlechte" Schüler mit Nachzipf aufgrund des Nachlernens die Mathematik oft präsenter als jene, die im Juli mit einem knappen Vierer die Kurve gekratzt haben. Wenn sie aber Pech haben, schaffen sie den besagten Nachzipf nicht und bleiben zwar systemkonform, aber unnötigerweise sitzen. (Rainer Saurugg, 4.10.2019)

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